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Beförderungen bei der Polizei

Keine Chance gegen Wunschkandidaten

Beförderungen bei der Polizei: Keine Chance gegen Wunschkandidaten
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Die Beförderung von Beamt:innen ist so wichtig für das Funktionieren des deutschen Staatswesens, dass die Regeln dafür Eingang ins Grundgesetz fanden: Nach "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" muss entschieden werden. In Baden-Württemberg geht’s auch anders, sogar an der Spitze der Polizei.

Eine Hoffnung musste die CDU schon begraben. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss mit dem sperrigen Titel "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren" konnte seine Arbeit nicht im Schnelldurchlauf bis spätestens Ende Februar beenden. Im Gegenteil: Nur eine Handvoll der insgesamt fast 50 Zeug:innen ist bisher gehört worden. Nach heutigem Stand wird bis tief ins nächste Jahr getagt werden.

Die zweite, noch größere Hoffnung handelt davon, dass Thomas Strobl, Vize-Regierungschef und Landesvorsitzender der Union, doch mit einem dezent blauen Auge davonkommen möge. Hier stehen die Aussichten so schlecht nicht. Viele Details des Falls sind kompliziert und kleinteilig, gravierende Verfehlungen und Missstände dringen einfach nicht so recht durch bis zum Publikum. Und: Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält seine schützende Hand weiterhin über seinen schwarzen Stellvertreter. "Die Maßstäbe sind einfach verrutscht", klagt Sascha Binder, Vize in der SPD-Landtagsfraktion und Obmann im Ausschuss. Baden-Württemberg habe einen Innenminister, der sich "praktisch alles leisten kann". Nach den Kriterien früherer Jahre hätte er "längst zurücktreten oder der Ministerpräsident hätte ihn entlassen müssen".

Längst geht es nicht mehr nur um den Auslöser der ganzen Affäre: Gegen den Inspekteur der Polizei (IdP), Andreas Renner, war ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts sexueller Übergriffe, und sein oberster Dienstherr Strobl gab einen Brief von Renners Anwalt weiter an den Journalisten Franz Feyder von den "Stuttgarter Nachrichten". Inzwischen musste der Innenminister deshalb eine saftige Zahlung über 15.000 Euro berappen. Obendrein, eine jener filigranen und zugleich – nach früheren Kriterien – rücktrittsauslösenden Erkenntnisse, hatte der Innenminister der ermittelnden Justiz monatelang verschwiegen: nämlich dass er selber den Brief durchgestochen hatte, also wissentlich ins Leere ermitteln ließ.

Noch schwerer wiegen die Umstände von Renners Beförderung. Zeugenaussagen vor dem Ausschuss ergaben, dass Strobl wenige Monaten vor der Berufung zu Baden-Württembergs ranghöchstem Polizisten nicht nur den smarten Aufsteiger zu seiner "Zielvorstellung" erklärt hatte, wie einer der Spitzenbeamten vor dem Ausschuss formulierte. Er verlangte sogar zugunsten seines Favoriten eine "rechtskonforme Besetzung", was logischerweise überhaupt nur dann erwähnenswert ist, wenn daran Zweifel bestehen könnten. Der Gipfel ist, wie allen Mitbewerber:innen, unter anderem von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz persönlich, per Telefon die Präferenz  des Ministers und die Aussichtslosigkeit der eigenen Bewerbung mitgeteilt wurde.

Eine Turbo-Karriere von Strobls Gnaden

"Auf Biegen und Brechen", kritisiert Binder, habe die "beispiellose Turbo-Beförderung an der Spitze der Landespolizei" möglich sein müssen. Von der im Grundgesetz verlangten Bestenauslese könne überhaupt keine Rede sein, denn eine "Clique von Entscheidungsträgern" sei "vorbei an Recht und Gesetz" vorgegangen, habe die Auswahl getroffen, und versuche, diese im Nachhinein als rechtmäßig hinzustellen. Es gebe sehr strenge Regeln für den Aufstieg, sagt auch die FDP-Obfrau Julia Goll, aber die seien außer Kraft gewesen.

Wunschbeförderungen rechtskonform zu organisieren, ist kompliziert, weil das System die ja eigentlich ausschließen will. Artikel 33, Absatz 2 beschreibt das Prinzip der Bestenauslese: "Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte." Dieser Anspruch könne mit Hilfe der Verwaltungsgerichte durchgesetzt werden, heißt es in einem der vielen Kommentare. Dabei gehe es nicht um einen "Anspruch auf Beförderung, sondern um einen Abwehranspruch gegen die Beförderung eines weniger geeigneten Mitbewerbers". Ziel einer Klage sei die Feststellung, "dass der ausgeschriebene Dienstposten nicht mit dem Konkurrenten besetzt und das Auswahlverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts wiederholt wird".

All dem war die Führung des Ministerium aus dem Weg gegangen, so dass Renner, gemäß dem Wunsch des Chefs, als einziger Kandidat für den Spitzenposten übrig blieb. Zum 1. November 2020 trat er sein Amt an, weil er, so Strobl bei Übergabe der Ernennungsurkunde, "genau das richtige Format" dafür habe. Ob er es damals schon hätte besser wissen müssen, kann erst in künftigen Zeugenvernehmungen geklärt werden.

Sekt zum Feierabend. Auch für die Chefin

Dass seltsame Sitten herrschten, ist bereits offenbar. Im Innenministerium gab's unter Beamt:innen schon mal Feierabendbier, wie der frühere Amtschef Julian Würtenberger bestätigt. Von den Runden hat er gehört, dabei war er nie, abgestellt hat er die Gepflogenheit aber nicht. Dabei kamen sogar Gäste von außen, darunter der CDU-Landtagsabgeordnete und Strippenzieher Siegfried Lorek, selber früher Polizist, heute Staatssekretär im Justizministerium. Und Renner ging ohnehin deutlich weiter, denn in seinem Büro wurde Sekt ausgeschenkt, wenn Mitarbeiter:innen-Gespräche fließend ins außerdienstliche Beisammensein übergingen. Auch an jenem 12. November 2021, an dem sich der Vorfall der sexuellen Belästigung einer Untergebenen ereignet haben soll.

Die Polizistin hatte sich schon einmal höher qualifizieren wollen, war aber gescheitert. Ob und wieso überhaupt ausgerechnet der IdP der Richtige sein soll, um eine Vorbereitung für einen Neuanlauf in seine Hände zu nehmen, müssen künftige Zeugenvernehmungen klären. Immerhin war er maßgeblich für Beförderungen zuständig. Bekannt ist aber der konkrete Ablauf dieses Spätnachmittags und Abends. Denn Landespolizeipräsidentin Hinz kam nach Ende des offiziellen Teils des Gesprächs in das Büro, ist wieder gegangen, dann doch wiedergekommen, eine Dreiviertelstunde geblieben, und sie habe ein Glas Sekt getrunken: "Vor dem Hintergrund der wirklich weitreichenden Folgen für die Mitarbeiterin habe ich diesen Abend und das, was da passiert ist, sehr oft hinterfragt."

Nur unzureichend erklären kann die 50-Jährige, warum sie im Wissen um die Vermengung von Dienstlichem und Nichtdienstlichem durch Renner ihm nicht auch sein Privathandy hat abnehmen lassen. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll er vor allem darüber kommuniziert haben. Nach Meinung der Landespolizeipräsidentin und einer rechtlichen Prüfung war es aber nicht beweiserheblich und konnte es nicht mehr werden, weil es inzwischen zerstört ist.

Selbst für Christine Staab, die CDU-Obfrau im Ausschuss, ist schon nach den ersten zehn öffentlichen, regelmäßig erst nach elf, zwölf oder noch mehr Stunden endenden Sitzungen klar, dass die Beförderungspraxis bei der Polizei im Land auf den Prüfstand gehört. "Über die Systemik", sagt sie, "muss man sprechen." Persönliche "Vorwerfbarkeiten" will sie noch keine erkannt haben, dabei hatte Strobl bei seinen bisher zwei Auftritten mehrfach betont, für alles, was in seinem Ministerium geschehe, verantwortlich zu sein und die Verantwortung zu tragen.

Kretschmann hält zu Strobl

Aber Staab ist nicht allein mit ihrer entlastenden Zwischenbilanz. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will weiter nichts Anstößiges finden an dem Bild, dass sich zu den Zuständen im Innenministerium Puzzlestein für Puzzlestein zusammensetzt. Details will er ohnehin am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen. Solange das alles so bleibt, kann die CDU einigermaßen beruhigt auf den Gang der Dinge schauen. Denn von sich aus nimmt ihr Landeschef Strobl den Hut gewiss nicht. Dabei müsste ihn so manches schlecht schlafen lassen. Als die Opposition schon im Herbst kritisierte, über die Besetzung des IdP sei zuerst entschieden und erst danach seien die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen worden, empörte sich der Innenminister: "Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, den ich mit aller Entschiedenheit zurückweise."

Inzwischen ist der Vorwurf belegt. Und womöglich wird schon bald über weitere Personalien bei den Top-Jobs der Polizei diskutiert, bei denen die Bestenauslese nur auf dem Papier stand – auf dem des Grundgesetzes. Und so recht interessieren für die merkwürdigen Bräuche bei den Ordnungshüter:innen wird sich wieder kaum jemand.


Der Untersuchungsausschuss tagt das nächste Mal am Montag, 27. März 2023. Als einzige Zeugin ist Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz geladen, die teils öffentlich, teils nicht-öffentlich befragt werden soll.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jens Hüsecken
    am 24.04.2023
    Antworten
    Landespolitik nach Gutsherrenart fördert die Politikverdrossenheit und hebelt die Demokratie aus!
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