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Razzien bei "Radio Dreyeckland"

Auf Geisterjagd

Razzien bei "Radio Dreyeckland": Auf Geisterjagd
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Die umstrittenen Hausdurchsuchungen bei "Radio Dreyeckland" in Freiburg beschäftigen den Landtag von Baden-Württemberg. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat sich eingeschaltet und unterstützt den Sender bei Klagen.

Notfalls soll es bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen: Vergangene Woche gab die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bekannt, den Freiburger Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) bei Klagen gegen die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu unterstützen. Diese hatte am 17. Januar dieses Jahres Razzien in den privaten Wohnungen zweier Mitarbeiter des Senders durchführen lassen. "Die Durchsuchungsbeschlüsse waren von vorne bis hinten rechtswidrig", ist sich der Jurist David Werdermann, Projektkoordinator bei der GFF, sicher. Ihm zufolge werde hier kritische Berichterstattung kriminalisiert.

Verbot bleibt ungeprüft

Mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das vereinsrechtliche Verbot von "linksunten.indymedia" wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen – insbesondere weil sich zu dem Verein keine Mitglieder bekennen. Markus Sehl, stellvertretender Chefredakteur von "Legal Tribute Online", fasst zusammen: "Um die Überprüfung des Verbots vor Gericht zu erreichen, mussten sie klagebefugt sein, also Mitglieder des Vereins bzw. durch das Vereinsverbot betroffen sein. Gleichzeitig wollten die Kläger keine strafrechtlichen Konsequenzen (129 StGB, Bildung einer kriminellen Vereinigung) riskieren und betonten in dem Verfahren, selbst nicht Mitglieder zu sein."

Spannend war der Fall, weil die Einschätzung der Plattform "linksunten.indymedia" umstritten ist. Handelt es sich bei dem Portal, auf dem alle Menschen mit Internetzugang Beiträge erstellen können, um ein Medium, das den grundgesetzlichen Schutz der Pressefreiheit genießt? Wäre es gegenüber dem Verbot der ganzen Plattform zunächst geboten, nur die strafrechtlich relevanten Beiträge zu verbieten? Diese Fragen bleiben juristisch unbeantwortet, denn die Rechtmäßigkeit des Verbots hat das Bundesverfassungsgericht nicht beurteilt. "Damit wurde die Chance verpasst, zu einer ganzen Reihe spannender und richtungsweisender Verfassungsrechtsfragen zu entscheiden", meint Sehl. (min)

Die Vorgeschichte ist komplex und voller Kuriositäten. Wer als "Rädelsführer oder Hintermann" den organisatorischen Zusammenhang einer verbotenen Vereinigung aufrechterhält oder ihre weitere Betätigung unterstützt, macht sich strafbar. So regelt es Paragraph 85 im Strafgesetzbuch, und diesen führt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe an, um die Hausdurchsuchungen zu begründen. Indem in einem RDL-Artikel ein Link auf das Archiv der seit 2017 verbotenen Plattform "linksunten.indymedia" gesetzt wurde, hätten sich die Verantwortlichen laut Staatsanwaltschaft zum "verlängerten Arm" der kriminellen Vereinigung und damit der Unterstützung schuldig gemacht.

Allerdings bleibt vage, wie genau hier eine "weitere Betätigung" unterstützt worden sein soll oder ein organisatorischer Zusammenhang aufrechterhalten wird: In dem verlinkten Archiv sind seit 2017 keine neuen Beiträge erschienen. Und laut dem Bundesinnenministerium lagen im Jahr 2023 "keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung 'linksunten.indymedia' vor".

Generell haben die Ermittlungsarbeiten gegen die kriminelle Vereinigung etwas von einer Geisterjagd. Nach den Krawallen rund um den G-20-Gipfel 2017 in Hamburg ließ der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit "linksunten.indymedia" das seiner Ansicht nach "wichtigste Medium des gewaltorientierten Linksextremismus" per Verfügung verbieten. Auf der Plattform fanden sich strafrechtlich relevante Beiträge, etwa Bastelanleitungen zum Bombenbau oder Bekennerschreiben nach militanten Aktionen. Verboten wurde "linksunten.indymedia" allerdings nicht als Medium, sondern als Personenzusammenhang. Ein Linksunten-Verein hatte zu diesem Zeitpunkt zwar formell nicht existiert, aber das Ministerium konstruierte ihn, um gegen ihn vorgehen zu können.

Unbekannte machen Unbekanntes

Doch auch sechs Jahre später ist unklar, wer hinter dem Personenzusammenhang stehen soll. Ein Ermittlungsverfahren gegen fünf mutmaßliche Betreiber:innen wurde im Juli 2022 eingestellt. Eine Razzia im linken Freiburger Kulturzentrum KTS, die 2017 Erkenntnisse über den für verantwortlich gehaltenen Personenkreis sichern sollte, wurde gerichtlich für rechtswidrig erklärt.

Wo also keinerlei Erkenntnisse über die Aktivitäten eines unbekannten Personenzusammenhangs vorliegen, soll das Setzen eines Links dessen weitere Betätigung unterstützen. Diese Argumentation hat RDL nicht überzeugen können, die Redaktion ist entschlossen, sich gegen die Maßnahmen zu wehren. Dort wertet man das Vorgehen nicht nur als unverhältnismäßig, sondern als skandalösen Eingriff in die Pressefreiheit. Ähnlich sieht das die Gesellschaft für Freiheitsrechte. In einer Stellungnahme schreibt diese: "Sehr vage und weitreichende Strafnormen wie die Unterstützung von verbotenen Organisationen sind so auszulegen, dass sie Grundrechte wie die Pressefreiheit wahren. Liegt die vermeintliche Unterstützungshandlung lediglich in der Verlinkung als Teil grundrechtlich geschützter Berichterstattung, rechtfertigt das keine Durchsuchung von Redaktionsräumen." Die GFF strebe daher an, ein "Präzedenzurteil zu erstreiten, in dem festgestellt wird, dass Journalist*innen sich nicht strafbar machen, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung über Vereinsverbote auf Archivseiten verlinken".

Abgeordnete haben offene Fragen

Auch im Landtag von Baden-Württemberg scheint es Zweifel zu geben, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft so in Ordnung war. Catherine Kern, medienpolitische Sprecherin der grünen Fraktion, kündigt an, dass sie den Fall genau verfolgen werde: "Unbestritten ist: Die Justiz ist eine unabhängige Säule unserer demokratischen Ordnung. Die bisher bekannten Informationen werfen aber viele Fragen auf." Insofern begrüße sie, dass die Rechtmäßigkeit nun gerichtlich überprüft werde.

Fragen hat auch der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann, der sicher nicht im Verdacht steht, mit "linksunten.indymedia" zu sympathisieren. Der Rechtsanwalt aus Heilbronn hat bei der Landesregierung einen Antrag auf Auskunft gestellt: Was wurde alles beschlagnahmt? Wie wurde es ausgewertet? Und wie beurteilt die Landesregierung, "dass die 2017 verbotene Vereinigung wohl nicht mehr existent ist und sich das ausgesprochene Verbot zwischenzeitlich möglicherweise 'nur noch' auf eine sog. openposting Plattform erstreckt, die nicht mehr aktiv betrieben wird, sondern nur noch als starres Archiv im Internet frei abrufbar ist?"

An konkreten Aktivitäten kann auch das Landesjustizministerium nichts benennen, außer dass nach dem Verbot von "linksunten.indymedia" seit 2020 wieder ein Archiv ans Netz ging, das allerdings auch keine neueren Beiträge anzeigt. Das Ministerium betont jedoch, dass das von RDL verlinkte Archiv "alle Artikel mit Tatbekennungen oder befürwortenden Kommentaren zu begangenen Straftaten, aber auch Aufrufe zur Begehung künftiger Taten" enthalte. Es ist wohl nur als Treppenwitz zu verstehen, dass auch das Justizministerium in seiner schriftlichen Antwort gleich zwei Links auf das verbotene Archiv gesetzt hat.

Weinmann bewertet die Auskünfte des Ministeriums im Gespräch mit Kontext als "teils etwas schwammig". Er betont aber, dass es nicht die Aufgabe eines Abgeordneten sei, die Frage nach Verhältnis- und Rechtmäßigkeit der Durchsuchungen zu bewerten. "Darum kümmern sich ja jetzt Gerichte." Wenn diese das Vorgehen der Staatsanwaltschaft beanstanden sollte, würde das nicht von einer Schwäche, sondern im Gegenteil von einer Stärke des Rechtsstaats zeugen. "Falls das so kommt, würde es verdeutlichen, dass die Checks and Balances funktionieren und alle Instanzen im Staat einer Kontrolle unterliegen."

Chaos um IP-Adressen

Ein besonders kurioses Detail dieses an Windungen nicht armen Sachverhalts ist eine Anfrage der Karlsruher Staatsanwaltschaft beim Hoster der RDL-Website. Gemäß Paragraph 175 des Telekommunikationsgesetzes verlangt die Ermittlungsbehörde die Herausgabe von Bestandsdaten und erkundigt sich nach "aktuellen IP-Zugriffen" in einem Zeitraum von gut sechs Monaten. Der Sender erklärte nach Akteneinsicht auf einer Pressekonferenz, dass die IP-Adressen aller Personen angefragt worden seien, mit denen ihre Website angesteuert wurde.

Dem widerspricht die Staatsanwaltschaft und sagt auf Anfrage der Blogger:in Detlef Georgia Schulze: "Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat in dem angesprochenen Verfahren zu keinem Zeitpunkt die IP-Adressen von Hörern o.ä., die über die Webseite von Radio Dreyeckland auf Programminhalte zugreifen, abzufragen versucht. Anderslautende Verlautbarungen sind falsch." Auch das Justizministerium versichert, die Staatsanwaltschaft habe mitgeteilt, "dass das in Rede stehende staatsanwaltschaftliche Auskunftsersuchen an den Webhoster der Webseite von Radio Dreyeckland keine Abfrage in Bezug auf Daten aller Besucher der Internetseite enthalten habe".

Allerdings fragte die Staatsanwaltschaft in ihrem Schreiben an den Hoster, das der Redaktion vorliegt, ganz allgemein nach "aktuellen IP-Adressen", ohne das irgendwie einzuschränken. Wie Schulze in einem 23 Seiten langen Blog-Beitrag akribisch nachzeichnet, liege bei der Anfrage der Staatsanwaltschaft entweder technischer Unverstand vor – oder es werde ein verborgener Zweck verfolgt.

Denn die Bestandsdaten, auf die die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben aus war, kann sie gemäß Paragraph 175 TKG gar nicht bei einem Hoster, sondern nur bei einem Provider anfragen (ein Hoster ist der Anbieter, der eine Website zur Verfügung stellt, zum Beispiel "Homepagebaukasten"; der Provider, beispielsweise die Telekom, stellt einen Internetanschluss zur Verfügung). Hier wurden also offenbar bei der falschen Adresse die falschen Daten angefragt. Entsprechend kommentiert der Chaos Computer Club gegenüber Schulze, er könne "nicht erkennen, was die Staatsanwaltschaft denn mit den IP-Adressen anstellen möchte? Allein die Idee zeugt von fundamentaler juristischer und technischer Unkenntnis." Wer alle Details dazu nachlesen möchte, findet sie hier.


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1 Kommentar verfügbar

  • Kv
    am 22.03.2023
    Antworten
    Ich bin wahrlich kein Freund von linksunten(...). - aber was die StA KA da abgezogen hat, ist schon balla balla. Bleibt bitte dran!
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