Fragen hat auch der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann, der sicher nicht im Verdacht steht, mit "linksunten.indymedia" zu sympathisieren. Der Rechtsanwalt aus Heilbronn hat bei der Landesregierung einen Antrag auf Auskunft gestellt: Was wurde alles beschlagnahmt? Wie wurde es ausgewertet? Und wie beurteilt die Landesregierung, "dass die 2017 verbotene Vereinigung wohl nicht mehr existent ist und sich das ausgesprochene Verbot zwischenzeitlich möglicherweise 'nur noch' auf eine sog. openposting Plattform erstreckt, die nicht mehr aktiv betrieben wird, sondern nur noch als starres Archiv im Internet frei abrufbar ist?"
An konkreten Aktivitäten kann auch das Landesjustizministerium nichts benennen, außer dass nach dem Verbot von "linksunten.indymedia" seit 2020 wieder ein Archiv ans Netz ging, das allerdings auch keine neueren Beiträge anzeigt. Das Ministerium betont jedoch, dass das von RDL verlinkte Archiv "alle Artikel mit Tatbekennungen oder befürwortenden Kommentaren zu begangenen Straftaten, aber auch Aufrufe zur Begehung künftiger Taten" enthalte. Es ist wohl nur als Treppenwitz zu verstehen, dass auch das Justizministerium in seiner schriftlichen Antwort gleich zwei Links auf das verbotene Archiv gesetzt hat.
Weinmann bewertet die Auskünfte des Ministeriums im Gespräch mit Kontext als "teils etwas schwammig". Er betont aber, dass es nicht die Aufgabe eines Abgeordneten sei, die Frage nach Verhältnis- und Rechtmäßigkeit der Durchsuchungen zu bewerten. "Darum kümmern sich ja jetzt Gerichte." Wenn diese das Vorgehen der Staatsanwaltschaft beanstanden sollte, würde das nicht von einer Schwäche, sondern im Gegenteil von einer Stärke des Rechtsstaats zeugen. "Falls das so kommt, würde es verdeutlichen, dass die Checks and Balances funktionieren und alle Instanzen im Staat einer Kontrolle unterliegen."
Chaos um IP-Adressen
Ein besonders kurioses Detail dieses an Windungen nicht armen Sachverhalts ist eine Anfrage der Karlsruher Staatsanwaltschaft beim Hoster der RDL-Website. Gemäß Paragraph 175 des Telekommunikationsgesetzes verlangt die Ermittlungsbehörde die Herausgabe von Bestandsdaten und erkundigt sich nach "aktuellen IP-Zugriffen" in einem Zeitraum von gut sechs Monaten. Der Sender erklärte nach Akteneinsicht auf einer Pressekonferenz, dass die IP-Adressen aller Personen angefragt worden seien, mit denen ihre Website angesteuert wurde.
Dem widerspricht die Staatsanwaltschaft und sagt auf Anfrage der Blogger:in Detlef Georgia Schulze: "Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat in dem angesprochenen Verfahren zu keinem Zeitpunkt die IP-Adressen von Hörern o.ä., die über die Webseite von Radio Dreyeckland auf Programminhalte zugreifen, abzufragen versucht. Anderslautende Verlautbarungen sind falsch." Auch das Justizministerium versichert, die Staatsanwaltschaft habe mitgeteilt, "dass das in Rede stehende staatsanwaltschaftliche Auskunftsersuchen an den Webhoster der Webseite von Radio Dreyeckland keine Abfrage in Bezug auf Daten aller Besucher der Internetseite enthalten habe".
Allerdings fragte die Staatsanwaltschaft in ihrem Schreiben an den Hoster, das der Redaktion vorliegt, ganz allgemein nach "aktuellen IP-Adressen", ohne das irgendwie einzuschränken. Wie Schulze in einem 23 Seiten langen Blog-Beitrag akribisch nachzeichnet, liege bei der Anfrage der Staatsanwaltschaft entweder technischer Unverstand vor – oder es werde ein verborgener Zweck verfolgt.
Denn die Bestandsdaten, auf die die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben aus war, kann sie gemäß Paragraph 175 TKG gar nicht bei einem Hoster, sondern nur bei einem Provider anfragen (ein Hoster ist der Anbieter, der eine Website zur Verfügung stellt, zum Beispiel "Homepagebaukasten"; der Provider, beispielsweise die Telekom, stellt einen Internetanschluss zur Verfügung). Hier wurden also offenbar bei der falschen Adresse die falschen Daten angefragt. Entsprechend kommentiert der Chaos Computer Club gegenüber Schulze, er könne "nicht erkennen, was die Staatsanwaltschaft denn mit den IP-Adressen anstellen möchte? Allein die Idee zeugt von fundamentaler juristischer und technischer Unkenntnis." Wer alle Details dazu nachlesen möchte, findet sie hier.
1 Kommentar verfügbar
Kv
am 22.03.2023