Es geht gewiss nicht um Pipifax in der "Brief-Affäre", die der Minister vorläufig mit zwei blauen Augen überstanden hat, indem er sich mit 15.000 Euro die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erkauft hat. Da können die Koalitionspartner Grüne und CDU noch so auffällig versuchen, die störende Angelegenheit aus dem Fokus der Medien wegzuschieben. Die Schwarzen üben sich in Lobhudelei. Über seine Generalsekretärin Isabell Huber lässt der Landesvorsitzende die Bevölkerung wissen, dass er ein "super Innenminister" ist, der einen "tollen Job" macht fürs Land. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz stellt vasallentreu dem Koalitionspartner sogar einen Freibrief aus: Es liege ja allein bei der CDU, Strobls Tun zu bewerten. Und dann rühmt er die erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit der vergangenen sechseinhalb Jahre.
In Wahrheit hat gerade Wolfgang Schäubles Schwiegersohn das gute Miteinander häufig grob missinterpretiert: vom Polizeigesetz bis zum Bleiberecht, vom Antidiskriminierungsgesetz über die Totalverweigerung in der Bildungspolitik bis zu einer klimagerechten Verkehrspolitik. Und das seit Wochen überstrapazierte Argument, es gebe Wichtigeres, taugt ebenso nicht viel, denn Wichtigeres gibt es immer.
Zwar erliegt der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke einmal mehr seiner Neigung zum Drama mit der Klage, es sei nunmehr "der absolute Tiefpunkt in der politischen Kultur des Landes erreicht". Wahr ist aber auch, dass es alles andere als eine Nebensache ist, wer der Innen- und Verfassungsminister im drittgrößten Bundesland ist, wie er sich in kritischen Lagen verhält und wie seine Aussichten sind, das schöne Amt zu behalten für die nächsten dreieinhalb Jahre.
Eine ganze Menge ist jedenfalls schiefgelaufen in der verschlungenen Geschichte um einen Minister, der zwar eine Fürsorgepflicht hat für einen höchstrangigen Polizisten, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird; der aber keine Hemmungen verspürte, einen Brief von dessen Anwalt an das Ministerium einem Journalisten zukommen zu lassen, damit der ein "vergiftetes Angebot" und diesen angeblichen Versuch von "Mauschelei" publik macht. Und nach insgesamt mehr als 20 Stunden Vernehmung im Untersuchungsausschuss zur "Brief-Affäre" sowie zur Beförderungspraxis bei der Polizei tun sich doch ganz beeindruckende Gräben auf, die für Arbeit und Innenleben der Koalition nicht ohne Konsequenzen bleiben: Der Zeuge rutscht im beharrlichen Bemühen, sich reinzuwaschen und rauszuhalten, in die Rolle eines ahnungslos Überforderten, der gar nicht mehr in der Lage ist, ein Ressort zu führen und einer Regierung Stabilität zu geben.
Kretschmann ist Stabilität wichtiger als Seriosität
Strobl scheut nicht, den Eindruck zu vermitteln, er habe sich seine eigene Realität gebastelt. Und: In der selbstverschuldeten Bredouille schlägt Taktik Wahrheitsliebe, weil er sich beinahe brutal auf Nichtwissen und Erinnerungslücken beruft; weil er seine Anwälte ("meine Verteidiger") vorschiebt, als wäre er selbst nur eine interessierte Randfigur; oder weil er aberwitzige Sophisterei treibt, wenn er etwa auf die Frage, wann er zum ersten Mal davon erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft unter Auflagen von einer Weiterverfolgung absehen würde, wortreich und stereotyp erklärt, ein genaues Datum nicht nennen zu können: Es werde ihm ja gewiss zum Nachteil ausgelegt, wenn es dann doch ein anderer Tag war. So redet einer, der die Abgeordneten zumindest zeitweise zum Narren halten möchte.
5 Kommentare verfügbar
Paula Poppel
am 29.10.2022Wo ist der Fehler?