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Strobl und der Untersuchungsausschuss

Macht und Moral

Strobl und der Untersuchungsausschuss: Macht und Moral
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Innenminister Thomas Strobl soll gelobt haben, keine Fehler mehr zu machen in dieser Legislaturperiode. Hohe Wetten darauf abzuschließen, ist nicht zu empfehlen. Dazu ist die Liste der Pleiten und Pannen aus den gut 17 Jahren in der Führung der Südwest-CDU zu lang.

Es geht gewiss nicht um Pipifax in der "Brief-Affäre", die der Minister vorläufig mit zwei blauen Augen überstanden hat, indem er sich mit 15.000 Euro die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erkauft hat. Da können die Koalitionspartner Grüne und CDU noch so auffällig versuchen, die störende Angelegenheit aus dem Fokus der Medien wegzuschieben. Die Schwarzen üben sich in Lobhudelei. Über seine Generalsekretärin Isabell Huber lässt der Landesvorsitzende die Bevölkerung wissen, dass er ein "super Innenminister" ist, der einen "tollen Job" macht fürs Land. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz stellt vasallentreu dem Koalitionspartner sogar einen Freibrief aus: Es liege ja allein bei der CDU, Strobls Tun zu bewerten. Und dann rühmt er die erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit der vergangenen sechseinhalb Jahre.

In Wahrheit hat gerade Wolfgang Schäubles Schwiegersohn das gute Miteinander häufig grob missinterpretiert: vom Polizeigesetz bis zum Bleiberecht, vom Antidiskriminierungsgesetz über die Totalverweigerung in der Bildungspolitik bis zu einer klimagerechten Verkehrspolitik. Und das seit Wochen überstrapazierte Argument, es gebe Wichtigeres, taugt ebenso nicht viel, denn Wichtigeres gibt es immer.

Zwar erliegt der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke einmal mehr seiner Neigung zum Drama mit der Klage, es sei nunmehr "der absolute Tiefpunkt in der politischen Kultur des Landes erreicht". Wahr ist aber auch, dass es alles andere als eine Nebensache ist, wer der Innen- und Verfassungsminister im drittgrößten Bundesland ist, wie er sich in kritischen Lagen verhält und wie seine Aussichten sind, das schöne Amt zu behalten für die nächsten dreieinhalb Jahre.

Eine ganze Menge ist jedenfalls schiefgelaufen in der verschlungenen Geschichte um einen Minister, der zwar eine Fürsorgepflicht hat für einen höchstrangigen Polizisten, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird; der aber keine Hemmungen verspürte, einen Brief von dessen Anwalt an das Ministerium einem Journalisten zukommen zu lassen, damit der ein "vergiftetes Angebot" und diesen angeblichen Versuch von "Mauschelei" publik macht. Und nach insgesamt mehr als 20 Stunden Vernehmung im Untersuchungsausschuss zur "Brief-Affäre" sowie zur Beförderungspraxis bei der Polizei tun sich doch ganz beeindruckende Gräben auf, die für Arbeit und Innenleben der Koalition nicht ohne Konsequenzen bleiben: Der Zeuge rutscht im beharrlichen Bemühen, sich reinzuwaschen und rauszuhalten, in die Rolle eines ahnungslos Überforderten, der gar nicht mehr in der Lage ist, ein Ressort zu führen und einer Regierung Stabilität zu geben.

Kretschmann ist Stabilität wichtiger als Seriosität

Strobl scheut nicht, den Eindruck zu vermitteln, er habe sich seine eigene Realität gebastelt. Und: In der selbstverschuldeten Bredouille schlägt Taktik Wahrheitsliebe, weil er sich beinahe brutal auf Nichtwissen und Erinnerungslücken beruft; weil er seine Anwälte ("meine Verteidiger") vorschiebt, als wäre er selbst nur eine interessierte Randfigur; oder weil er aberwitzige Sophisterei treibt, wenn er etwa auf die Frage, wann er zum ersten Mal davon erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft unter Auflagen von einer Weiterverfolgung absehen würde, wortreich und stereotyp erklärt, ein genaues Datum nicht nennen zu können: Es werde ihm ja gewiss zum Nachteil ausgelegt, wenn es dann doch ein anderer Tag war. So redet einer, der die Abgeordneten zumindest zeitweise zum Narren halten möchte.

Eigentlich müsste Ministerpräsident Winfried Kretschmann toben. Zum einen, weil ihm selbst die solcherart ausgelebte Ahnungslosigkeit seines Stellvertreters jetzt eine Vorladung in den Untersuchungsausschuss eingebracht hat. Und vor allem, weil er – da kann sein Team noch so sehr hoffen, dass nichts am Chef hängen bleibt – einen gefährlich wackeligen Kurs fährt zwischen Macht und Moral. Denn er kann das bisherige Credo knicken, er beurteile Minister nicht nach Fehlern, sondern allein danach, ob sie das Land voranbringen. In der Verfassung, in der sich Strobl in den beiden Vernehmungen dem Parlament präsentierte, ist er nicht (mehr) in der Lage, Baden-Württemberg voranzubringen, von der ohnehin schon schlechten Stimmung im eigenen Ressort und bei der Polizei mal ganz abgesehen.

Selbstverständlich hätte Kretschmann ihm nach den Maßstäben, die für Grüne und ihm selbst in Oppositionszeiten galten, längst den Stuhl vor die Tür gestellt haben müssen. Aber lieber wollte er – der Machtarithmetik wegen – seinen Stellvertreter gewähren lassen, den Kopf in den Sand stecken und mit dem Vorgang nicht behelligt werden. Das ist vorbei. Weil er jetzt selbst vor den Ausschuss muss, bleibt ihm nichts übrig, als in die lästige Causa doch einzutauchen und eigene Bewertungen vorzunehmen. Die wachsweichen Formulierungen, die er auf Journalist:innen-Fragen regelmäßig auspackt, können ihm dann nicht mehr weiterhelfen. Spätestens im Zeugenstand, wenn die Opposition ihn piesacken wird mit der Frage nach seiner Mitverantwortung an Strobls Treiben, dürfte ihm endgültig dämmern, dass der Entlassungsantrag von SPD und FDP an diesem Mittwoch eigentlich Erfolg hätte haben müssen, aus guten Gründen politischer Hygiene. Aber eben nur eigentlich, denn auch der große Grüne ist längst angekommen in einer Welt, in der der Zweck viel zu viele Mittel heiligen soll.


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5 Kommentare verfügbar

  • Paula Poppel
    am 29.10.2022
    Antworten
    CDU = jünger, weiblicher, digitaler = Schwiegersohn Strobl
    Wo ist der Fehler?
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