Verschiedene Szenarien werden ent- und wieder verworfen. Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) zum Beispiel, selber nicht unerfahren im Umgang mit massivem Gegenwind, gab sich sicher, dass die Geschichte für Innenminister Thomas Strobl, seinen Nachnachfolger im Landesvorsitz, juristisch in vier bis sechs Wochen folgenlos ausgestanden sein werde. Daraus ist nichts geworden und Insider:innen sind sicher, dass schon allein die Dauer der Ermittlungen von inzwischen gut drei Monaten gegen Strobl spricht.
Auch wenn Strobl gerade keine Schlagzeilen produziert, ist die ganze Landesregierung also in der Hand der Justiz. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist mit 410 Mitarbeitenden und 193 Staatsanwält:innen nach Berlin, Hamburg, München und Köln die fünftgrößte der insgesamt knapp 120 Anklagebehörden deutschlandweit. 7.500 Anklagen wurden 2021 erhoben, 17.000 Anträge auf Strafbefehl gestellt, fast jeweils hunderttausend Verfahren mit und ohne Auflagen eingestellt. Lebensfremd wäre es anzunehmen, dass angesichts der Stellung des Beschuldigten keine internen Beratungen stattfinden. Am Ende ist es aber eine Staatsanwältin oder ein -anwalt, der einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreitet. Was den Grund der Ermittlungen gegen ihn angeht, ist Strobl ja geständig, dem StN-Journalisten Franz Feyder ein Anwaltsschreiben weitergegeben zu haben (Kontext berichtete u. a. hier und hier). Zur Erinnerung: Darin geht es um ein Disziplinarverfahren und um die Suspendierung des ranghöchsten Polizisten im Land und um Vorwürfe der sexuellen Belästigung.
Muss Strobl an "sozialem Trainingskurs" teilnehmen?
Jurist:innen nicht nur im Innenministerium brüten über den verschiedenen Konstellationen. Einmütig ist die Einschätzung, dass nur bei einer Einstellung ohne Auflagen der juristische Teil der Causa für den stellvertretenden Ministerpräsidenten ohne Konsequenzen bliebe. Denn schon die Anwendung des vergleichsweise milden, im Paragraph 153a formulierten Mittels, von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen abzusehen, würde bei einem Politiker in Spitzenposition eine rote Linie überschreiten. Denn es ist nicht vorstellbar, dass ein Innenminister in Amt und Würden zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens, wie es so schön heißt, als Auflage "bestimmte Leistungen" erbringen muss: zum Beispiel "einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskassen zahlen" oder "sonst gemeinnützige Leistungen erbringen" oder "an einem sozialen Trainingskurs teilnehmen".
Der 62-jährige Jurist Strobl nutzt derweil die sommerliche Atempause für Eigen-PR. "Wir haben jeden Tag sehr viele Entscheidungen zu treffen und sehr viel zu tun", sagt er im SWR-Interview, "wenn man den Blick zurück nimmt, läuft das eine oder andere auch nicht so ganz rund." Brief-Affäre und Untersuchungsausschuss seien schon eine schwierige Situation für ihn persönlich: "Das braucht ja keine Socke." Hätte er gewusst, "was das für eine Welle macht", hätte er versucht, "auf andere Weise Transparenz herzustellen".
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