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Thomas Strobl

Am seidenen Faden

Thomas Strobl: Am seidenen Faden
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Allein aus dem Innenministerium lagern inzwischen 60 Kartons voller Akten im baden-württembergischen Landtag. Die muss durchforsten, wer im Untersuchungsausschuss in der Causa Thomas Strobl die richtigen Fragen stellen will. Vor allem, wenn am 23. September der Innenminister selbst als erster Zeuge antritt.

Verschiedene Szenarien werden ent- und wieder verworfen. Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) zum Beispiel, selber nicht unerfahren im Umgang mit massivem Gegenwind, gab sich sicher, dass die Geschichte für Innenminister Thomas Strobl, seinen Nachnachfolger im Landesvorsitz, juristisch in vier bis sechs Wochen folgenlos ausgestanden sein werde. Daraus ist nichts geworden und Insider:innen sind sicher, dass schon allein die Dauer der Ermittlungen von inzwischen gut drei Monaten gegen Strobl spricht.

Auch wenn Strobl gerade keine Schlagzeilen produziert, ist die ganze Landesregierung also in der Hand der Justiz. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist mit 410 Mitarbeitenden und 193 Staatsanwält:innen nach Berlin, Hamburg, München und Köln die fünftgrößte der insgesamt knapp 120 Anklagebehörden deutschlandweit. 7.500 Anklagen wurden 2021 erhoben, 17.000 Anträge auf Strafbefehl gestellt, fast jeweils hunderttausend Verfahren mit und ohne Auflagen eingestellt. Lebensfremd wäre es anzunehmen, dass angesichts der Stellung des Beschuldigten keine internen Beratungen stattfinden. Am Ende ist es aber eine Staatsanwältin oder ein -anwalt, der einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreitet. Was den Grund der Ermittlungen gegen ihn angeht, ist Strobl ja geständig, dem StN-Journalisten Franz Feyder ein Anwaltsschreiben weitergegeben zu haben (Kontext berichtete u. a. hier und hier). Zur Erinnerung: Darin geht es um ein Disziplinarverfahren und um die Suspendierung des ranghöchsten Polizisten im Land und um Vorwürfe der sexuellen Belästigung.

Muss Strobl an "sozialem Trainingskurs" teilnehmen?

Jurist:innen nicht nur im Innenministerium brüten über den verschiedenen Konstellationen. Einmütig ist die Einschätzung, dass nur bei einer Einstellung ohne Auflagen der juristische Teil der Causa für den stellvertretenden Ministerpräsidenten ohne Konsequenzen bliebe. Denn schon die Anwendung des vergleichsweise milden, im Paragraph 153a formulierten Mittels, von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen abzusehen, würde bei einem Politiker in Spitzenposition eine rote Linie überschreiten. Denn es ist nicht vorstellbar, dass ein Innenminister in Amt und Würden zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens, wie es so schön heißt, als Auflage "bestimmte Leistungen" erbringen muss: zum Beispiel "einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskassen zahlen" oder "sonst gemeinnützige Leistungen erbringen" oder "an einem sozialen Trainingskurs teilnehmen".

Der 62-jährige Jurist Strobl nutzt derweil die sommerliche Atempause für Eigen-PR. "Wir haben jeden Tag sehr viele Entscheidungen zu treffen und sehr viel zu tun", sagt er im SWR-Interview, "wenn man den Blick zurück nimmt, läuft das eine oder andere auch nicht so ganz rund." Brief-Affäre und Untersuchungsausschuss seien schon eine schwierige Situation für ihn persönlich: "Das braucht ja keine Socke." Hätte er gewusst, "was das für eine Welle macht", hätte er versucht, "auf andere Weise Transparenz herzustellen".

Oder er hätte, noch besser, seine Idee, diesen Brief exklusiv an einen einzigen Journalisten durchzustechen, genauer geprüft und für schlecht befunden. In einer ersten parlamentarischen Anfrage wollte die FDP-Fraktion wissen, wie über die Frage der Weitergabe überhaupt entschieden wurde. "Herr Innenminister hat eine kursorische Prüfung vorgenommen", lautet die knappe Antwort des neuen Amtschefs Reiner Moser, der auf eine entsprechende Frage bejaht, dass zudem Strobl sein Studium, wie von ihm selber behauptet, mit einem Prädikatsexamen abgeschlossen hat, einem "sog. Kleinen Prädikatsexamen".

Der Hinweis ist so delikat, dass die FDP-Fraktion, allen voran die frühere Staatsanwältin Julia Goll, jetzt den zweiten Antrag nachgeschoben hat, Einzelheiten zu Strobls Studium in Heidelberg und zur Notenskala mitzuteilen. Denn ein "kleines Prädikatsexamen" für Juristen gab und gibt es in Baden-Württemberg nicht, auch nicht 1988 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, an der Strobl beide Staatsexamina ablegte.

Das Innenministerium wollte weniger Öffentlichkeit

Dieses möglicherweise peinliche Thema wird kaum über Strobls Verbleiben im Amt entscheiden. Es liefert aber einen weiteren Beleg für die vielen unvorhergesehenen Fallstricke, die in den 60 Kartons lauern und die von Untersuchungsausschüssen nach und nach gespannt werden. So musste sich Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) 2020 stundenlang und zwei Mal dem strengen Verhör zum Engagement des Landes auf der Expo in Dubai unterziehen, um dabei unfreiwillig zu enthüllen, wie wenig sie in viele Vorgänge in ihrem Haus eingebunden ist. Der Innenminister wird eine ähnliche Prozedur bei seinem Auftritt am ersten Sitzungstag am 23. September über sich ergehen lassen müssen; zum eigenen Handeln, zu den Eskapaden des ranghöchsten Polizisten, zu den Disziplinarverfahren im eigenen Ministerium und dazu, ob zum eigenen Vorteil genetzwerkt wird unter Spitzen-Polizisten im Land.

Jedenfalls konnte sich das Innenministerium kurz vor dem Start in die parlamentarische Sommerpause nicht durchsetzen mit der Absicht, öffentliche Sitzungen und Vernehmungen einzuschränken. Schlussendlich stimmten Grüne und CDU zu, die Arbeit in früheren Gremien, etwa zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU), zur Grundlage zu machen. "Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Einblick", so Goll, die Obfrau ihrer Fraktion ist. Erst recht, weil nach Meinung von FDP und SPD nachgearbeitet werden muss durch Fragen und Vorhaltungen. Denn der Regierungsbericht an den Ausschuss ist 87 Seiten stark, dreht sich um die Brief-Affäre, um deren Auslöser, den möglichen Machtmissbrauch und sexuelle Belästigungen, immerhin nicht weniger als 86 Verdachtsfälle aus den vergangenen fünf Jahren.

Je intensiver sich Abgeordnete durch Akten wühlen, als desto belastbarer könnten sich die Prognosen von Sozialdemokrat:innen und Liberalen aus den ersten Tagen der Affäre erweisen. Strobls Zukunft hänge an einem seidenen Faden, lautet die Botschaft Anfang Mai nach der denkwürdigen Sitzung des Innenausschusses, in der der Innenminister selber die Weitergabe des Anwaltsschreibens bekannt machte – mit Hinweis auf die "maximale Transparenz", die er auf diesem Weg habe herstellen wollen. Seither hat das Motto der oppositionellen Aufklärungsarbeit scharfe Konturen angenommen: "Entweder die Staatsanwaltschaft kriegt ihn oder wir." Bisher sind im Untersuchungsausschuss fünf Sitzungen terminiert, es könnten deutlich mehr werden.


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