"Ungünstige geologische Verhältnisse"
In der Planänderung vom Dezember 2015 zum S-21-Planfeststellungsabschnitt 1.6a heißt es, in diesem Bereich würden "ungünstige geologische bzw. hydrogeologische Verhältnisse angetroffen. Für die Durchführung eines sicheren bergmännischen Tunnelvortriebs ist deshalb eine vorauseilende Abdichtung des Baugrundes bzw. eine Reduktion des der Tunnelröhre im Bauzustand zufließenden Grundwassers erforderlich". An anderer Stelle ist festgehalten: "Zur Sicherstellung des Bahnbetriebes auf dem Bahndamm ist ein setzungsarmer Vortrieb vorgesehen."
Für beide Zwecke, zur "Abdichtung des Untergrundes und somit zur Reduktion des Grundwasserzuflusses" wie auch zur "Erhöhung der Festigkeit" des Baugrunds, um "eine setzungsarme Unterfahrung der o.g. Gleise" zu erreichen, wählten die Planer das Düsenstrahlverfahren: eine "im Sinne der Richtlinie 853 'Eisenbahntunnel planen, bauen und instand halten', Stand 1.11.2014 nicht geregelte Bauart", die einer einzelfallbezogenen unternehmensinternen Genehmigung (UiG) bedürfe. Also keiner Genehmigung durch das Eisenbahnbundesamt (EBA).
Auch 2021 war der Wasserandrang noch hoch. Deshalb entschied sich die Bahn in der letzten Überarbeitung des Plans vom 4. November 2021, auch bei der Unterfahrung der Bruckwiesenwegbrücke das Verfahren zu ändern. Wie die Hafenbahnstraße ist auch der anschließende Bruckwiesenweg rund 150 Meter weit aufgeständert, weil dort ein weiteres Güterbahngleis zum anderen Neckarufer nach Wangen abzweigt. Die Fundamente der Pfeiler stecken 15 Meter tief im Grund – das ist ungefähr die Höhe der Tunnelgleise. Vier Pfeiler treffen genau auf die Tunnelröhren, zwei weitere knapp daneben.
Nur ein Unternehmen fand sich für die Ausführung
Das Gewicht dieser Pfeiler wird nun auf Betonringen um die Tunnelröhren abgefangen. Es handelt sich um ein neuartiges Verfahren, das die Planer eigens für diesen Zweck entwickelt haben. Nur ein Unternehmen fand sich bereit, dies auszuführen, die Firma Wayss und Freytag. Dass dies die Kosten in die Höhe treibt, ist klar. Und ein zweijähriger Baustopp wegen hohen Wasserandrangs ebenso.
Zu früheren Zeiten wurden Eisenbahntunnel nur dort gegraben, wo Berge im Weg standen. Auch dabei gab es Risiken – etwa von Erdrutschen oder aufquellendem Gipskeuper. In den Talauen der Großstadt Stuttgart aber vervielfachen sich die Probleme. Zum einen bestehen die Täler nicht aus festem Gestein, sondern aus heterogenem, angeschwemmtem Material, das auch Hohlräume und Wasseradern enthält. Darauf hatte der Architekt Frei Otto hingewiesen, als er aus dem Projekt Stuttgart 21 ausstieg.
Zum anderen gibt es im Untergrund einer Stadt wie Stuttgart kaum eine Stelle, wo noch nichts ist. S-Bahn- und Stadtbahntunnel, Unterführungen, Tiefgaragen, Keller, Leitungen aller Art und eben auch Fundamente: Die Planer nennen das Zwangspunkte. Sicher: Die Ingenieure finden für alles eine Lösung. Aber wenn bei einem "der am besten und umfassendsten geplanten Projekte der DB AG", wie es in einer Pressemitteilung einmal hieß, dauernd unvorhergesehen Probleme auftauchen, die wiederum Planänderungen und neue Verfahren nach sich ziehen, wird eben alles immer teurer und später fertig. Damit nicht genug: Neue, noch unerprobte Verfahren sind nicht risikofrei zu haben.
Hans-Jörg Jäkel ist noch etwas anderes aufgefallen: Genau an der Stelle, wo das Loch war, so der Bahn-Fachmann und Stuttgart-21-Kritiker, also dort, wo auch die beiden Tunnelröhren den Bahndamm unterqueren, sind erst vor drei Jahren die Bahngleise in Richtung Neckar verschwenkt worden. Eben um den aus dem Untergrund auftauchenden Schienen Platz zu machen. Demzufolge ist der Bahndamm dort, wo der Schotter eingebrochen ist, ganz neu. War er also nicht gut genug gebaut? Jäkel meint – und er habe dies damals auch angeregt –, wenn die Schienen über einer Brückenkonstruktion geführt worden wären, hätte nichts passieren können.
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Philipp Horn
am 10.08.2022