Liebe Wilhelmine,
die traurigsten Geigen dieser Welt könnten Dir zu Ehren eine melancholische Elegie in D-Moll anstimmen, und selbst sie wären nicht imstande, unserem Schwermut über Dein tragisches Schicksal angemessen Ausdruck zu verleihen.
Liebe Wilhelmine,
die traurigsten Geigen dieser Welt könnten Dir zu Ehren eine melancholische Elegie in D-Moll anstimmen, und selbst sie wären nicht imstande, unserem Schwermut über Dein tragisches Schicksal angemessen Ausdruck zu verleihen.
Als ehrwürdigem Koloss konnten Dir trotz eines Gewichts von 1750 Tonnen selbst die niederträchtigsten Neider nicht Grazie, Glanz und Glorie absprechen. Ob sich je eine Tunnelvortriebsmaschine majestätischer durch den Untergrund manövrierte?
Spitzenwerte erreichte auch Dein Schneidradantrieb, mehr als 20 Meter weit hast Du Dich an guten Tagen durch den Untergrund gefräst. Leistungen, die einzig Deine Schwester Sibylla-Augusta noch zu übertrumpfen vermochte.
Nach 4,2 Kilometern in wenigen Monaten, mehr als die meisten Deiner Zunft je zu Lebzeiten vollbringen werden, mit unerprobten Methoden in Tiefbau und nur wenigen Meter Überdeckung – schließlich die Tragödie auf der letzten Etappe; die Ursache noch unklar. Hat man Dich zu sehr gehetzt, Wilhelmine? War es menschliches Versagen? Beides wirkt wahrscheinlich.
Einst warst Du Deiner Bauherrin 18 Millionen Euro wert. Dann hat sie Dich, in Ungnade Verfallene, einbetoniert und liegen lassen, einsam und allein im Rastatter Untergrund. Nun will sie wenigstens Deine Einzelteile bergen. Doch bohren wie früher, geschätzte Wilhelmine, wirst Du nie wieder können. Wie so viele vor Dir, liebe Wilhelmine, bist du zum Opfer des Größenwahns der Deutschen Bahn geworden.
Ruhe in Frieden.
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1 Kommentar verfügbar
Fred Feuerbacher
am 02.01.2018