Es sind nur zwei Handvoll Stuttgart-21-Gegner:innen, die am Montag vor der Friedrichstraße 10, dem Sitz der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, der erbarmungslosen Mittagshitze trotzen. Auch drinnen wabert drückende Hitze durch den kleinen, schlecht gelüfteten Raum – doch für manche Beteiligten scheint hier gerade Geschichte geschrieben zu werden. Schon zu Beginn der Pressekonferenz nach der Sondersitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises betont Projektsprecher Jörg Hamann, dass es wohl erstmals Zwischenapplaus bei einem solchen Treffen gegeben habe. Und auch im Anschluss mangelt es nicht an Superlativen, als die Vertreter:innen der S-21-Projektpartner (Deutsche Bahn, Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart, Flughafen Stuttgart) das Wort ergreifen. Von einer "historischen Entscheidung" ist mehrmals die Rede, oder wenigstens von einer "außerordentlichen Sitzung". Dass sie als eine solche betrachtet wird, liegt daran, dass, so Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), "mehrere gordische Knoten durchschlagen wurden für einen besseren Knoten Stuttgart 21".
Der zu durchschlagende Knoten, von dem man schon im Vorfeld wusste, war der der Finanzierung des Pfaffensteigtunnels, durch den die Gäubahn dereinst in den neuen Stuttgart-21-Hauptbahnhof geleitet werden soll. So ist die Sondersitzung des Lenkungskreises extra anberaumt worden, um – tatsächlich erstmals in der S-21-Historie – den Finanzierungsvertrag des Projekts zu ändern, um die für den bislang nicht planfestgestellten Projektabschnitt 1.3b veranschlagten 270 Millionen Euro auf den neuen Tunnel umzuschichten. Nicht endgültig geklärt war bislang, ob der Bund für die kompletten übrigen "Anschlusskosten" einspringt – Winfried Hermann hatte dies immer wieder gefordert, unkalkulierbare Risiken für das Land fürchtend.
Doch nun kann sich Hermann beruhigt zurücklehnen, aus dem Bundesverkehrsministerium kommt noch am Montagmorgen die Zusicherung, dass der Bund nicht nur die "Gesamtfinanzierung" zuzüglich zu den 270 Millionen Euro sicherstellen, sondern auch "das Risiko einer Kostensteigerung" tragen wird. Ein Risiko, das nach bisherigen S-21-Erfahrungen als nicht eben klein betrachtet werden darf: Während Bund und Bahn bislang mit einer Milliarde Euro Gesamtkosten für den Tunnel rechnen, schätzt der Münchner Verkehrsexperte Karlheinz Rößler eher 2,7 Milliarden Euro – und bei seinen zurückliegenden S-21-Kostenschätzungen behielt er bislang Recht.
Panoramabahn gerettet – aber nur bis Nordhalt
Der zweite durchschlagene Knoten: Die Panoramabahn, der letzte Abschnitt der Gäubahn ab Stuttgart-Vaihingen, soll erhalten bleiben, darauf verständigen sich alle Projektpartner in einem "Memorandum of Understanding" – aber nur bis zu einem noch zu bauenden "Nordhalt", der nahe des jetzigen Stuttgarter Nordbahnhofs liegen soll. Land, Stadt und Region Stuttgart hatten dies schon länger vereinbart, die Bahn hatte sich aber zuletzt quergestellt (Kontext berichtete), da sie kein Interesse am Weiterbetrieb des Abschnitts hatte. Nun soll für die Strecke nach 2025 ein "nichtbundeseigenes Eisenbahnunternehmen" beauftragt werden, "die Organisationsstruktur dafür werden wir noch finden", so Minister Hermann.
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D. Hartmann
am 23.07.2022https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/s-bahn-stammstrecke-muenchen-hat-bayern-seinen-ber-18193034.html
Wer bisher glaubte, die Desaster der DB bei der…