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Erörterung zum S-21-Filderabschnitt

Verschachtelte Farce

Erörterung zum S-21-Filderabschnitt: Verschachtelte Farce
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Trotz Pandemie hat am Montag das Erörterungsverfahren für den Stuttgart-21-Planfeststellungsabschnitt 1.3b als Präsenzveranstaltung begonnen. Noch absurder ist, dass eine Planung für einen Gäubahnanschluss am Flughafen verhandelt wird, die womöglich längst obsolet ist.

Die Veranstaltung hatte kaum begonnen, da hatte sie ein relevanter Teil der Besucher schon wieder verlassen. Am Montagmorgen begann im Kongress-Saal C1 der Messe Stuttgart die Erörterungsverhandlung zum Stuttgart-21-Planfeststellungsabschnitt 1.3b auf den Fildern, trotz Corona-Pandemie und Inzidenzen von über 200 in Stuttgart und den Nachbarkreisen als Präsenzveranstaltung. Dagegen hatten schon im Vorfeld die Kritiker des Projekts protestiert. "Unverantwortlich" nannten sowohl BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer als auch Tobias Lieber, Anwalt der Schutzgemeinschaft Filder, die Planung angesichts der aktuellen Infektionslage und sagten bereits vergangene Woche ihre Teilnahme an der Veranstaltung ab. Damit standen die S-21-Kritiker ohne Rechtsbeistand da. Der ehemalige Richter Dieter Reicherter hatte sich beim Regierungspräsidium Stuttgart noch am Freitag um eine Absetzung der Verhandlung bemüht – ohne Erfolg.

Gleich zu Veranstaltungsbeginn wurden mehrere Anträge auf einen Abbruch gestellt, die die Versammlungsleiterin Gertrud Bühler vom Regierungspräsidium Stuttgart allesamt ablehnte. Woraufhin die Vertreter der Schutzgemeinschaft Filder, des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, des Deutschen Bahnkundenverbands und des Bündnisses Filderbahnhof Vaihingen die Veranstaltung verließen. Von den Kritikern der aktuellen Planung blieb einzig ein Vertreter des Fahrgastverbands Pro Bahn. Damit war die Erörterung, im Hinblick darauf, so einen Termin als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung zu verstehen, schon kurz nach ihrem Beginn zur Farce geworden. Doch eine Farce ist die noch bis Donnerstag, eventuell sogar Freitag angesetzte Verhandlung auch unabhängig von der Infektionslage. Denn hier sollen Pläne diskutiert werden, an die die Bahn höchstwahrscheinlich selber nicht mehr glaubt, vielleicht nie glaubte. Wie das?

Beim S-21-Planfeststellungsabschnitt 1.3b geht es um die Anbindung der Gäubahn an den Stuttgarter Flughafen. Dass es sich dabei, neben dem Abstellbahnhof Untertürkheim, um den letzten S-21-Abschnitt handelt, der – rund elf Jahre nach Baustart! – noch nicht planfestgestellt ist, lässt schon ahnen, dass man es hier mit einer besonderen Preziose unter den Absurditäten des an Absurditäten überreichen Großprojekts zu tun hat. Und dass das Bundesverkehrsministerium in Person von Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) im Juni 2020 die Idee eines Gäubahntunnels wie ein Kaninchen aus dem Hut zauberte, die die bisherige Planung auf den Kopf stellt und zugleich als Eingeständnis ihres krachenden Scheiterns gewertet werden kann (Kontext berichtete), legt nahe: Das aktuelle Erörterungsverfahren ist in etwa so sinnvoll, als hätte die DDR-Volkskammer noch am 2. Oktober 1990 über neue Uniformen für die Nationale Volksarmee beraten.

Wenn der IC hinter der S-Bahn herzockelt

Worum es bei diesem Abschnitt genau geht, erfordert, ein wenig auszuholen: Im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 war der Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3 auf den Fildern anfangs noch nicht in zwei Teile – a und b – gegliedert. Konkret geht es um die Anbindung von Flughafen und Messe mittels zweier Stationen: Einem neu zu bauenden, unterirdischen Filderbahnhof, in dem die Züge von der Neubaustrecke (NBS) Stuttgart-Ulm halten sollen (heute PFA 1.3a). Und den bestehenden Flughafen- oder Terminalbahnhof, an den nun auch die aus Richtung Zürich kommende Gäubahn angeschlossen werden soll (PFA 1.3b).

 

Bei ersterem kritisieren S-21-Gegner vor allem eklatante Brandschutzmängel, letzterer dagegen ist selbst für viele S-21-Befürworter ein Albtraum: Denn auf dieser sogenannten Antragstrasse zwischen Stuttgart-Rohr und Flughafen sollen sowohl Fern- und Regionalzüge als auch S-Bahnen auf den gleichen Gleisen der bestehenden S-Bahn-Strecke im "Mischverkehr“ fahren. Ein programmierter Engpass, denn schon kleine Verspätungen können hier dazu führen, dass zum Beispiel der IC hinter der S-Bahn herzockelt und sich so Verspätungen über das regionale Bahnnetz hinaus aufstauen. Abgesehen davon gibt es Sicherheitsbedenken, da die S-Bahntunnel eigentlich zu eng für Fernzüge sind.

Probleme, die schon früh offenkundig waren: Bereits 2002 hatte die Bahn die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für den PFA 1.3 "Filderbereich mit Flughafenanbindung" beantragt. Mehrmals gab das Eisenbahnbundesamt (EBA) die Planungen vor allem wegen des Mischverkehrs als "in der vorgelegten Form nicht genehmigungsfähig" zurück, auch der frühere Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) lehnte sie ab. Sein Nachfolger Peter Ramsauer, der die andauernde Dynastie der CSU-Verkehrsminister begründete, sah das weniger eng: Im Sommer 2010 sprach der Bayer eine Ausnahmegenehmigung bis ins Jahr 2035 aus, dass S-Bahnen, Regional- und Fernzüge die engen S-Bahn-Tunnel gemeinsam nutzen dürfen. Ramsauers Nach-Nachfolger und Parteifreund Andreas Scheuer entfristete schließlich im September 2018 die Ausnahmegenehmigung. Der Planfeststellung des Filderabschnitts halfen diese Genehmigungen indes nicht, Kritik an den Plänen wurde dabei nicht nur von den S-21-Kritikern der Schutzgemeinschaft Filder und des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 laut, sondern unter anderem auch vom Leinfelden-Echterdinger OB Roland Klenk (CDU).

Dialog ohne Konsequenzen

Eine allgemein akzeptierte Lösung sollte dann 2012 im sogenannten "Filderdialog" gefunden werden. Es war eines der ersten Projekte von Gisela Erler (Grüne), Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in der damals noch recht jungen grün-roten Landesregierung. Nach einem pannenreichen und holprigen Start gelang in den Veranstaltungen des Filderdialog ein einigermaßen konstruktiver Austausch, am Ende stand die Mehrheitsempfehlung, die Gäubahn nicht über den Flughafen, sondern über die bestehende Panoramabahn zum Hauptbahnhof zu führen – was damals auch die bevorzugte Lösung von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) war, und auch sehr nahe an seiner 2019 vorgeschlagenen Idee eines Ergänzungsbahnhofs.

Verbindlich sollte das Votum des Filderdialogs indes von vornherein nicht sein, und die Bahn lehnte es auch umgehend ab, ohne Protest Hermanns. Die Verbitterung auf Seiten der S-21-Gegner war groß, der schon davor kursierende Begriff vom "Filderdialüg" war nun in aller Munde und Erlers Reputation bei vielen perdü. "Das war kein Dialog, das war Verarschung", sagte Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder 2012 gegenüber Kontext.

Eine endgültige Lösung für den Filderabschnitt wurde auch 2014 in einem konventionellen Erörterungsverfahren nicht gefunden; im Gegenteil, die Mängel des gesamten Projekts wurden einmal mehr deutlich, und flankierend gab zur Mischverkehrsstrecke auch S-21-Vater Gerhard Heimerl in den "Stuttgarter Nachrichten" zu Protokoll: "Wir versündigen uns an unseren Kindern und Enkeln, wenn wir die Antragstrasse bauen".

Der Bahn fiel dann doch noch etwas ein: Im März 2015 zauberte sie eine Variante mit einem dritten Gleis am Flughafenbahnhof für eine bessere Anbindung der Gäubahnzüge aus dem Hut, zudem teilte sie den Planfeststellungsabschnitt 1.3 nun in zwei Abschnitte. Eine durchaus plausible Entscheidung: Abschnitt 1.3a mit dem Neubaustreckenanschluss ist unbedingt zum Betrieb von S 21 erforderlich, während man sich mit Abschnitt 1.3b zur Not mehr Zeit lassen kann. Was sich Anfang 2019 dann auch konkretisierte: Mindestens drei Jahre später als die von der Bahn angepeilte S-21-Eröffnung Ende 2025 würde der Abschnitt fertig werden, hieß es, dann waren es irgendwann fünf Jahre. Mittlerweile vermeidet die Bahn wohl aus gutem Grund genaue Prognosen. Der unangenehme Nebeneffekt: Spätestens ein halbes Jahr vor Tiefbahnhoferöffnung muss die alte Gäubahnstrecke gekappt werden, könnte also nicht interimsweise bestehen bleiben, solange der Flughafenanschluss nicht fertig ist. (Kontext berichtete)

Alte schlechte Planung durch neue schlechte ersetzt

Für Abschnitt 1.3a gibt es seit Juli 2016 einen Planfeststellungsbeschluss, bei 1.3b zog sich das Verfahren im Schneckentempo weiter hin. Die Einspruchsfrist ist seit September 2017 vorbei, 3.200 Einwendungen von BürgerInnen sind zusammengekommen; längst nicht nur wegen des Mischverkehrs, sondern auch wegen Aspekten wie Lärmschutz oder einem am Ortsrand von Oberaichen geplanten Lager für Erdaushub.

Immer wieder wurde ein Erörterungstermin verschoben, und zuletzt tat Corona ein Übriges: Die öffentliche Auslegung der Pläne wurde im März 2020 wegen der Pandemie nach kurzer Zeit abgebrochen, das für Juli 2020 angepeilte Erörterungsverfahren auf unbestimmte Zeit verschoben. Und dann kam auf einmal Steffen Bilger mit seiner Alternatividee des Gäubahntunnels ums Eck (in Kritikerkreisen nur noch "Bilgertunnel" genannt), der mit Anforderungen des Deutschlandtaktes begründet wird und die bisherige Planung komplett obsolet machen würde.

Es tummeln sich Gerüchte, die Tunnelidee sei aus der S-21-Projektgesellschaft gekommen, da dort die Nichtumsetzbarkeit der miserablen Pläne schon lange erkannt worden sei. Das bleibt einstweilen Spekulation, dafür spricht allerdings, dass das Bundesverkehrsministerium sich bislang kein einziges Mal in vergleichbar kreativer Art in die S-21-Planung eingemischt hat.

Die Tunnelidee, für die es noch nicht einmal eine Machbarkeitsstudie gibt, wird übrigens am Donnerstag des jetzigen Erörterungsverfahrens Thema sein. In welcher Form dies geschehen wird und welche Konsequenz dies für die bisherige Planung hat, ist noch unklar. Dass mit dem Tunnel eine schlechte Planung durch eine neue schlechte ersetzt wird, die sowohl extrem teuer als auch klimaschädlich ist, berichtete Kontext schon mehrfach (unter anderem hier, hier und hier).

Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass gerade in den Tagen, in denen die ehemalige Bürgerbeteiligungs-Staatsrätin Gisela Erler ihren endgültigen Abschied aus Stuttgart und der Landesregierung nimmt, nun die Erörterung zum Abschnitt 1.3b stattfindet – und dabei nicht nur im Form eines konventionellen Beteiligungsverfahrens, sondern gleichsam als Karikatur eines solchen.
 

Anmerkung d. Red.: In einer früheren Fassung des Textes stand, der Abschnitt 1.3b sei der letzte noch nicht planfestgestellte S-21-Abschnitt. Das ist nicht korrekt, auch der Abstellbahnhof Untertürkheim ist noch nicht planfestgestellt - hier fand der Erörterungstermin im Januar 2020 statt (Kontext berichtete). Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Deutscher Bahnkundenverband Baden-Würtemmberg
    am 01.05.2021
    Antworten
    Man darf zugute halten, daß selbstverständlich die Erörterung des letzten nicht planfestgestellten Abschnittes stattgefunden hat. Die Erörterung zum Abstellbahnhof war im Januar 2020, der Planfeststellungsbeschluß steht aus.

    Der DBV hat nach Veröffentlichung des Anhörungsberichtes vor einigen…
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