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Streitgespräch um Partizipation

Keine Angst vor den BürgerInnen

Streitgespräch um Partizipation: Keine Angst vor den BürgerInnen
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Wie weit geht direkte Demokratie? Sind Volksentscheide auf Bundesebene sinnvoll? Darüber haben sich die scheidende Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Sarah Händel von Mehr Demokratie trefflich gestritten. Ein moderiertes Gipfelgespräch zum Abschied von Gisela Erler.

Sie hat die Mao-Bibel verlegt und sah die Grünen schon wenige Jahre nach ihrer Gründung am Rande des Abgrunds, weil sie "die vielbesungene Verbindung von Ökologie und Sozialismus für gefährlich hielt". Wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt 2011 spaziert Gisela Erler im Gipfelgespräch mit Kontext von der Villa Reitzenstein über die Sünderstaffel in die Stadt, erzählt von sich als deutsches Nachkriegs-Nomadenkind, als Mitglied und Teil der Studentenbewegung: "Ich bin, wie wir alle, ungeheuer naiv und fahrlässig mit der Demokratie umgegangen. Also mit dem, was unsere Eltern als höchstes Gut errungen hatten. Wir haben damals gesagt: Repräsentative Demokratie – weg damit!" Erst später, mit dem politischen Erwachsenwerden, sei ihr bewusst geworden, "was jetzt wieder mein Thema ist: Dass es in modernen, komplexen Gesellschaften Sinn hat, mehr direkte Demokratie zu haben". Einen Satz, den sie zehn Jahre später uneingeschränkt nicht mehr unterschreiben würde, beim Streitgespräch mit Sarah Händel von Mehr Demokratie e.V.. Die Idee, dies wie 2011 wieder spazierend zu tun, wurde schnell verworfen; stattdessen fand das Gespräch im Garten des Clay-Hauses neben der Villa Reitzenstein statt, in dem das Büro der Staatsrätin untergebracht ist.
 

Frau Erler, Frau Händel, wo steht die Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg nach zehn Jahren Gisela Erler?

Gisela Erler: Der erste Lockruf, der mich ereilte, lautete, werde doch bitte Staatsrätin und mache einen Leitfaden zum Thema Legitimität durch Verfahren. Wenn ich ganz ehrlich bin, konnte ich mir darunter damals noch sehr wenig vorstellen. Ich war nicht im Konflikt um Stuttgart 21 engagiert. Hier in Stuttgart waren aber alle knietief damit befasst, das wusste ich, gerade auch wegen der Bürgerbeteiligung. Ich kam aus der Nachbarschaftsarbeit, die heute Quartiersarbeit heißt, von den Mütterzentren, Mehrgenerationenhäusern, Empowerment und so weiter, also von sehr viel Partizipation und Zivilgesellschaft. Aber die Verfahren der Bürgerbeteiligung und wie man das ganze Feld bearbeiten würde, das war für mich jungfräuliches Territorium. Klar war aber, Legitimation durch Verfahren zielt auf einen Kulturwandel ab, der auch einen Haltungswandel erfordert von den Beteiligten.

Sarah Händel: Und Sie würden sagen, dass wir da richtig vorangekommen sind in diesen zehn Jahren?

Erler: Wir haben viel bewirkt. Natürlich gibt es Tage, an denen ich einem Vorgang begegne, an dem mir auffällt, dass jemand wirklich noch gar nichts von Beteiligung versteht oder wissen will. Aber das ist sehr selten geworden. Und gerade in den Kommunen gab und gibt es relativ viel Beteiligung. Vielleicht kritisieren Sie das jetzt gleich als Alibiveranstaltungen, aber das stimmt nicht. Die Entwicklung ist sogar so weit, dass wir in der Stabstelle erst im Nachhinein von Beteiligungsprozessen erfahren.

Händel: Ich kritisiere kommunale Beteiligungsprozesse nicht grundsätzlich als Alibiveranstaltungen. Ich sage aber, viele kommen zu spät. Nehmen Sie die Stuttgarter Oper.

Erler: Ich habe bei der Oper über Jahre dafür geworben, eine Bürgerbeteiligung durchzuführen, lange vor der ganzen Debatte, wie Wieland Backes sie angestoßen hat. Die Debatte hätte dann auch viel konstruktiver werden können.

Händel: Es wurde aber nicht frühzeitig gemacht.

Erler: Es gibt halt immer noch diesen Reflex, dass Verantwortliche denken, wenn die Planungen noch nicht fertig sind, dann machen einem die Bürger alles kaputt. Das stimmt schon lange nicht mehr. Wir haben nun aber ein Bürgerforum zur Opernsanierung mit wirklich gewinnbringendem Ergebnis durchgeführt.  

Zum Beispiel?

ErIer: Nehmen wir die Kreuzbühne. Da liefen so riesige Debatten, ob es jetzt zulässig ist, diesen Bau angeblich zu verunstalten. Und was hat das Bürgerforum gesagt? Dass es ein Schildbürgerstreich wäre, ein Haus für viele Millionen herzurichten, und danach müssen wieder alle wie im Mittelalter die Bühnenrequisiten von Hand tragen, weil es keine State-of-the-art-Kreuzbühne gibt. Das heißt, der Prozess kam viel später, als ich wollte, aber er ist dennoch sehr nützlich und wertvoll.

Händel: Bei so gigantischen Summen werden ja auch gleich ganz grundsätzliche Verteilungskämpfe ausgelöst, da war ein Bürgerforum vielleicht trotzdem nicht genug.

Erler: Aber wir haben alle mit hereingeholt. Und in einem Streitgespräch mit Ihnen muss auch einmal gesagt werden, dass jede Debatte über einen Bürger- oder Volksentscheid zu dieser Oper skurril wäre. Denn es geht nicht um Ja oder Nein, die Oper muss saniert werden, und die Zuständigkeiten liegen bei Stadt und Land. Also käme es wieder zu dem Problem, dass auch der Südschwarzwald dazu abstimmen soll. Dafür ist der ganze Komplex aber viel zu differenziert. Es handelt sich also um eines der vielen Themen, die nach meiner Meinung durch einen Volksentscheid ruiniert würden, und wo es gar nichts zu gewinnen gibt.

Händel: Wir sagen ja gar nicht, da hätte von oben ein Volksentscheid eingesetzt werden sollen. Ich sage, man hätte die Debatte, mit ganz konkreten Zahlen, früher öffnen müssen. Ich sehe die große Gefahr, dass Foren oder Bürgerräte in der Praxis sehr überladen sind mit Erwartungen, dass sie Beteiligungsdefizite ganz grundsätzlich alleine lösen können. Das ist eine Überhöhung ihrer Funktion. Was sie können, ist, der Politik zeigen, welche Perspektivenvielfalt unter den Bürgern herrscht und auch, was nach einer guten Diskussion mehrheitsfähig sein könnte. Aber bei wichtigen Themen muss die Diskussion danach auch in der Gesellschaft nachvollzogen werden, damit die Bürger mitgehen können. Die Bürgerräte können Richtungen herausarbeiten, aber der Weg zu einem gemeinsamen Entscheid muss immer offen bleiben. Und die Politik sollte dafür sorgen, dass den Bürgern das auch klar ist.

Erler: Das ist ein grundsätzliches Thema. Ich versuche, das mal abzukürzen. Für mich sind Bürger- und Volksentscheide wichtig, aber sie sind für mich der Notnagel. Und ich bin sehr zufrieden, dass auch als Resultat unserer Politik die Bundesgrünen den Volksentscheid auf Bundesebene für die nächste Zeit nicht im Wahlprogramm haben. Sie sehen doch, wohin der Brexit führt. Das Instrument ist viel zu anfällig für Populismus geworden. Und außerdem: Wir haben nie einen Volksentscheid abgewürgt, den Vorwurf müsste ich für Baden-Württemberg ganz entschieden zurückweisen. Wir haben beim Thema Biene den Leuten ein viel besseres Resultat geliefert, als es im Entscheid möglich gewesen wäre. Und auch bei der Kita-Gebühr hätten wir nichts gegen einen Volksentscheid gehabt, gar nichts, das ist einfach nicht wahr. Den hätten wir gewonnen oder verloren. Der Ministerpräsident sagt immer, wenn man einen Volksentscheid verliert und befolgt, dann gewinnt man Vertrauen. Er war aber rechtlich nicht zulässig. Und Entscheide aus dem Volk heraus, das sage ich auch gleich noch, sind offensichtlich nicht dringend erwünscht bei 74 Prozent Zufriedenheit der Bürger mit der Landespolitik. Das sind acht Punkte mehr als in jedem anderen Bundesland.

Händel: Da muss man jetzt aber Einiges auseinander halten. Die Populismus-Keule darf hier nicht zu brutal angesetzt werden, sonst gewinnen doch genau solche Kräfte! Wenn wir selber diejenigen sind, die aus Angst vor Populismus nur noch maximal kontrollierte Beteiligung zulassen, dann gehen die Selbstorganisationskräfte in Demokratien völlig unter. Dann ist da kein Freiraum mehr aus einer multidiversen Zivilgesellschaft heraus, die ja die Stärke einer liberalen Demokratie ist, selber konkrete Themen auf die Agenda zu setzen, um darüber Debatten anzustoßen. Als Befürworter von Beteiligung müssen wir doch auch dafür aktiv Räume schaffen!

Gisela Erler war zehn Jahre lang Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Kabinett Kretschmann. Nun nimmt die 74-Jährige ihren Abschied und zieht wieder zurück nach Berlin. Zur landesweiten Volksabstimmung über Stuttgart 21 entwickelte Erler, die sich selbst als Dialogfetischistin sieht, die Informationsbroschüre. 

Erler: Aber die gibt es doch. Jede Straße ist beispielsweise so ein Raum, und ich bin zutiefst dankbar, dass und wie er genutzt wird. Fridays for Future und sogar Pegida haben etwas geleistet. Beispielsweise bei Pegida, dass wir alle in unseren Köpfen wissen, wir müssen Einwanderung steuern, sonst kriegen wir die Hakenkreuze auf die Fassaden der Rathäuser. Ich finde auch eine Zivilgesellschaft, die struppig ist, sinnvoll. Es gibt sogar Bewegungen, die eine Partei werden wollen.

Händel: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei den letzten Wahlen haben wir sehr deutlich gesehen: Es entstehen immer mehr kleine neue Parteien, weil Menschen einen Weg suchen, Politik transparenter zu gestalten und bestimmte Themen zu pushen. Aber dann scheitern sie an der Fünfprozenthürde und das Engagement und ihre Wählerstimmen sind verpufft. Das ist übrigens auch ein Problem unseres Wahlsystems, mit einer Ersatzstimme wäre das anders.

Erler: Ja, das ist dann wieder ein anderes Thema. Aber ich muss jetzt hier auch noch mal klar sagen, dass es nicht die wilde Zivilgesellschaft ist, die Vorstellungen in Politik umsetzt. Dazu braucht es Parlamente, Gemeinderäte, die bereit sind, der Zivilgesellschaft zuzuhören. Und jetzt komme ich noch einmal zu den Bürgerräten. Genau die hören zu und verschaffen sich ihrerseits eine Zuhörerschaft.

Sarah Händel ist seit 2014 Geschäftsführerin von Mehr Demokratie e. V. Baden-Württemberg. Die studierte Politikwissenschaftlerin ist auch im Bundesvorstand von Mehr Demokratie und engagiert sich dort für die Einführung bundesweiter Volksentscheide.

Händel: Frau Erler, ich setze das doch gar nicht gegeneinander ...

Erler: … doch, das tun Sie. Sie haben eine Semantik, die gerade die Bürgerräte als defizitär beschreibt.

Händel: Das ist wirklich nicht fair. Wir von Mehr Demokratie treiben doch gerade auch selbst die Bürgerräte voran und kämpfen dafür, dass sie auf Bundesebene eingesetzt werden. Aber ich frage Sie, warum Sie diesen anderen Versuchen der Zivilgesellschaft, sich effizienter in der Politik einzubringen, nicht auch Strukturen zugestehen und diese fördern.

Erler: Welche denn?

Händel: Die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene …

Erler: … das habe ich schon gerade gesagt, das will ich nicht. Da geht es nicht um Zivilgesellschaft, sondern darum, wie sich Leute populistisch aufeinander hetzen. Im Moment bin ich nicht für direkte Demokratie auf Bundesebene.

Händel: Das ist auch Ihr gutes Recht. Aber Sie werden anscheinend wütend, wenn andere Akteure doch noch dafür sind.

Erler: Nein, jeder kann sich dafür engagieren. Aber ich bin dagegen, weil eine Ausweitung gegenwärtig absolut kontraproduktiv wäre, so wie in sozialen Medien häufig agiert wird und wie sich die Landschaft mit großen und kleinen Populisten entwickelt. Ich bin für direkte Demokratie auf Landesebene und ich bin für direkte Demokratie auf kommunaler Ebene. Aber nicht bundesweit.

Gibt es ein Vor und Nach dem Brexit?

Händel: Natürlich. Der Brexit hat gezeigt, wie falsch es ist, mit der Einübung der direkten Demokratie so lange zu warten, bis wir in einer so gespaltenen Gesellschaft leben, wie es England mit seinem Zweiparteiensystem ist. Damit uns das nicht passiert, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass wir auf kommunaler und auf Landesebene endlich regelmäßige Abstimmungen haben. Und dazu müssen die Verfahren noch bürgerfreundlicher werden.

Erler: Nehmen Sie unser Vorbild, die Schweiz. Die Gefahr ist zu groß, dass Abstimmungen gekapert werden. Es besteht die Angst, dass ganz wichtige Fragen wie das Ja zur EU auf der Kippe stehen. Die Schweiz ist ein wunderbares Beispiel dafür, was man mit Volksentscheiden gut machen kann. Aber auch dafür, wo das Ende der Fahnenstange erreicht ist, wenn Populismus grassiert.

Händel: Wenn wir uns nur auf die Gefahren fokussieren, geraten die Chancen völlig außer Sicht. Es ist einfach kein gesunder Zustand, wenn die Zivilgesellschaft auf Bundesebene praktisch außen vor gehalten wird, denn die meisten wichtigen Themen sind dort angesiedelt. Gerade hat das Verfassungsgericht den Mietendeckel in Berlin gestoppt, weil sowas auf Bundesebene geregelt gehört, wie auch die Gesundheitsvorsorge, die Weichenstellungen für Klimamaßnahmen und vieles mehr. Kretschmann selbst hat gesagt, dass es gerade in Koalitionen auch den Anstoß von außen braucht, damit etwas voran geht, wie zum Beispiel das Bienenvolksbegehren. Warum vergeben die Grünen hier die Chance, über Bande zu spielen? Damit die progressive Zivilgesellschaft der Politik Beine machen kann, brauchen wir das Recht, konkrete Vorschläge auf die Agenda zu setzen. Echter Handlungsdruck entsteht eben nur durch einen potenziellen Volksentscheid!

Erler: Die Zivilgesellschaft muss sich über Parteien einbringen, wenn es um Gesetze geht. Anders funktioniert das nicht. Die Zivilgesellschaft hat enorm viel erreicht in den vergangenen fünfzig Jahren. Die 68er, die Entstehung der Grünen, die Jugendbewegung, die Frauenbewegung, es ist ja nicht so, dass nichts passiert. Das Land ist heute ein völlig anderes Land als das, in dem ich vor fünfzig Jahren angefangen habe, Politik zu machen. Das war im Wesentlichen die Zivilgesellschaft, die das erreicht hat – über Personen, Institutionen und Parteien.

Händel: Aber es geht doch um eine vielfältige Demokratie, in der die verschiedenen Verfahren gegenseitig ihre Schwächen ausgleichen können.

Erler: Um die geht es mir doch auch ...

... und wie könnte dem im derzeit entstehenden Koalitionsvertrag Rechnung getragen werden?

Erler: Am wichtigsten finde ich die Möglichkeit zur Verzahnung von dialogischer Bürgerbeteiligung mit direktdemokratischen Elementen. Da sind wir beim Kern meiner ganzen Arbeit. Ich will erreichen, dass Verwaltungen die Angst vor den Bürgern verlieren. Dass wir sprechende Menschen haben, die als solche wahrgenommen werden, dass es bei Versammlungen nicht so zornig zugehen muss, weil Leute übergangen werden, die dich dann am Kittel ziehen und sagen, wie ungerecht sie behandelt werden. Da hat sich viel geändert, aber da muss sich noch mehr ändern.

Händel: Dem schließe ich mich sofort an. Wir merken, dass die Bürgermeister sich mittlerweile viel positiver verhalten, wenn es ein Bürgerbegehren gibt. Dass sie sagen, okay, diese Herausforderung möchte ich annehmen und einen guten Prozess gestalten. Früher haben sie sich direkt persönlich angegriffen gefühlt. Das ist ein Kulturwandel. Noch weiter würde ein Transparenzgesetz helfen, das bis auf die Kommunen heruntergeht. Informationen müssen dann immer proaktiv veröffentlicht werden, so dass ein automatisches Frühwarnsystem entsteht. So merken die Bürger, hier oder da gibt es Redebedarf, und sie könnten das auch früh anzeigen. Außerdem ist eine unserer großen Forderungen an die nächste Landesregierung, dass dieser unsägliche Kostendeckungsvorschlag wegfällt. Das größte Problem in unserer alltäglichen Beratungsarbeit von Initiativen ist, dass vorgelegt werden muss, was ein Vorhaben kostet und wie es bezahlt werden soll.

Erler: Die Idee ist doch nicht falsch, dass Leute sich Gedanken machen müssen, was es grob kosten würde, wenn sie sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen.

Händel: Ja, das muss natürlich diskutiert werden, aber man kann auch einfach eine Kostenschätzung durch die Verwaltung machen.  Auf Landesebene geht es momentan nicht um die Senkung der Quoren für Entscheide. Aber die Regeln, die wir haben, müssten besser und verständlicher sein, damit die Bürger nicht im Verwaltungsdschungel stecken bleiben. Und noch eine Sache ist wichtig: Wieso nicht die Digitalisierung nutzen und bürgerfreundliche Online-Unterschriftensammlungen möglich machen?

Erler: Digitalisierung macht den Unterschied, wie wir uns von Nordwürttemberg bis zum Bodensee, von Ostwürttemberg bis über die französische Grenze begegnen können. Da gehen Welten auf, weil Leute sich qualifizierter über Distanzen verständigen. Das ist eine Zeitenwende. Diese Möglichkeiten müssen wir bespielen und nutzen. Ich höre jetzt viele, die furchtbare Sorgen haben, dass sich die Leute nicht umarmen können. Das ist wahr. Aber ich sehe auch das Positive, wie ganz neue dialogische Formate entstehen. Wer hat denn ein Interesse daran, dass nur Grüne mit Grünen reden und nur Schwarze mit Schwarzen?

Händel: Die Seele der Demokratie ist das Gespräch. Ich möchte aber unbedingt noch etwas sagen - auch weil vorher von der Zufriedenheit der Menschen mit der Landesregierung die Rede war. Liebe Frau Erler, die ganzheitlich gedachte Beteiligung, die Sie von Anfang an gemacht haben, hat wirklich viel gebracht. Die wissenschaftliche Begleitung, die Vernetzung der beiden Standbeine, der dialogischen Beteiligung und der direkten Demokratie, das alles hat seinen Platz. Ich hatte das Gefühl, dass es in diesen zehn Jahren immer wieder ein bisschen eine emotionale Distanz gab, was ich etwas schade finde. Aber Ihre Authentizität, das wissen Sie selber, war für sehr viele Bürgerinnen und Bürger extrem wichtig, um glaubhaft diesen Weg mitgehen zu können. Und dafür möchte ich Ihnen danken.
 

Das Streitgespräch war praktisch vorbei, alle waren im Aufstehen, da musste Gisela Erler – nach dem Lob von Sarah Händel – doch noch etwas loswerden. Denn es gebe eine wunde Stelle und das seien die Migration, die Toten im Mittelmeer, der Umgang mit Afrika. Es breche ihr das Herz, wenn sie sehe, wohin weiter abgeschoben werde. Sie spricht von ihrem Dank für das wunderbare Engagement vor Ort in mehr als tausend Initiativen im Land, bei Pro Asyl oder im Flüchtlingsrat, was aber an einem nichts ändern könne: an der "dunklen Rückseite unserer Demokratie", und daran, dass die auslösenden Ursachen für all die Probleme auf diese Weise nicht zu beheben seien.


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10 Kommentare verfügbar

  • Gaston
    am 02.05.2021
    Antworten
    Soso. Die selbsternannte Dialogfetischistin findet also schon die Debatte für einen Volksentscheid über die Oper "skurril". Gehört offenbar zu den Leuten, die Dialog nur dann gut finden wenn der Dialogpartner das macht was man selber will. Direkte Demokratie kann also nicht gehen, weil ja sowieso…
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