Paul Erfurt sitzt in seinem Betriebsratsbüro, die Wände sind mit Fotos von Kollegen und mit viel IG Metall geschmückt: Kalender, Fahnen, Plakate, alle mit dem roten Dreieck und hier und da kämpferischen Parolen. Der 62-Jährige ist ein stämmiger Mann, er strahlt Energie aus, seine harte Aussprache – ursprünglich stammt der gelernte Uhrmacher aus Sibirien – verstärkt den Eindruck von Entschlossenheit. "Seit 30 Jahren haben wir Audi beliefert", erzählt er. "Wir haben alles gemacht, jeden Wunsch erfüllt – natürlich. Der Kunde ist König." Doch vor einem Jahr hat die Belegschaft erfahren: Der Anschlussauftrag für Autositze ist weg. Aktuell baue man noch für den A4 und für den A6, zuerst laufe nächstes Jahr der A4-Auftrag aus, 2025 dann der A6-Auftrag. "Da befürchten wir einen massiven Personalabbau", sagt Erfurt.
Mittlerweile sieht es noch schlimmer aus: Auch Porsche hat den Folgeauftrag anderweitig vergeben. Der jetzige reiche noch bis 2024/25. Was dann in dem Lear-Werk in der Ferdinand-Porsche-Straße 2 in Besigheim-Ottmarsheim passiert, steht in den Sternen. Denn andere Kunden hat Lear bislang nicht.
Der Audi-Auftrag ist an Magna gegangen, einen weltweit agierenden, kanadisch-österreichischen Automobilzulieferer mit etwa 160.000 Beschäftigten. Warum es so gekommen ist, meint Andre Kaufmann zu wissen. Er ist bei der IG Metall Ludwigsburg zuständig für Lear. "Offenbar war Magna einen Tick billiger, aber auch Umweltaspekte spielten wohl eine Rolle", habe er aus dem gut vernetzten IG-Metall-Universum erfahren. Laut Kaufmann soll Audi sich die Lieferketten genau angeschaut haben, hat alles bis ins Letzte berechnet, zum Beispiel Logistikkosten. "Früher war das egal, doch mittlerweile wird das wichtiger. Der CO2-Preis spielt zunehmend eine Rolle." Das sei umweltpolitisch gesehen zwar gut, wäre für Lear in Besigheim aber ein Problem.
Der Konkurrent rückt näher an Audi ran
Tatsächlich baut Magna bereits ein Schaumteilewerk in Neuenstadt am Kocher. Dort "werden ab 2023 neben den Autositzen auch nachhaltige Sitzschäume produziert, welche nicht mehr über lange Lieferwege angeliefert werden müssen und so für eine Verringerung des CO2-Fußabdrucks in der Lieferkette beitragen. Es werden dann circa 350 Mitarbeiter Autositze für unseren Kunden fertigen", teilt die Pressestelle von Magna auf Kontext-Anfrage mit. Das Werk ist nur 13 Kilometer entfernt von Audi-Neckarsulm, 20 Kilometer weniger als Lear.
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Fritz Frosch
am 24.10.2022