Allerdings wird der Verkehrsminister in den Stuttgarter Stadtteilen Birkach, Degerloch, Möhringen, Plieningen, Sillenbuch und Vaihingen trotz oder sogar wegen seiner Mobilitätspolitik gewählt. Im Kampf ums Direktmandat ließ er 2021 keine Geringere als CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann um gut 18 Prozentpunkte hinter sich. Und der Abstand zum FDP-Kandidaten Friedrich Haag, dessen Großvater seiner Partei in den Achtzigern bundesweite Rekordergebnisse bescherte, beträgt sogar 27 Punkte.
Anlass für den aktuellen Angriff aus dem Lager der Liberalen sind Hermanns Pläne, Gebühren für LKWs auf Landes- und Kreisstraßen auszuweiten. Ein Vorhaben, das FDP-Mann Rülke als "Wegelagerer-Maut" bezeichnet. Auch beim konservativen Regierungspartner stößt die Idee aktuell auf wenig Gegenliebe – obwohl die LKW-Maut im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist: "Der Schwerverkehr beansprucht das Straßennetz in besonderer Weise und führt zu einem hohen Sanierungsaufwand. Im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz wollen wir eine bundesweite Lkw-Maut auch auf Landes- und Kommunalstraßen nach Schweizer Vorbild für Lkw mit mehr als 7,5 Tonnen auf den Weg bringen. Sollte sich das nicht realisieren lassen, streben wir in der zweiten Hälfte der Legislatur eine geeignete landesrechtliche Regelung an." Dessen ungeachtet koffert CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, ein baden-württembergischer Alleingang bei der Lkw-Maut wäre eine schlechte Lösung, die "zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt kein Thema" sei.
Doch Hermann wäre nicht Hermann, wenn er sich nicht auch dieses dicke Brett vornehmen würde. Zumal der gebürtige Rottenburger, der sich seine ersten politischen Sporen in der SPD verdiente, ehe er 1982 den Grünen beitrat, ziemlich sicher sein kann, bei der LKW-Maut am Ende Recht zu behalten. Die EU bemüht sich seit Jahren um eine Regelung, bei den vielen Anläufen ist eine Mehrheit wiederholt auch an Deutschland gescheitert. Ermöglicht sind aber Alleingänge auf nationaler Ebene und eine stärkere Berücksichtigung von Klimagesichtspunkten. Diese möchte Hermann nutzen, auch weil inzwischen drei Milliarden Tonnen Güter pro Jahr auf Deutschlands Straßen und nur 358 Millionen Tonnen auf der Schiene transportiert werden.
Kretschmann will nicht mehr mit ihm diskutieren
Natürlich muss sich der Verkehrsminister mit früheren Äußerungen konfrontieren lassen. Im nicht endenden Streit um Stuttgart 21 sitzt er ohnehin zwischen allen Stühlen, weil viele Fans des Projekts ihn als unsicheren Kantonisten hinstellen und die Gegner:innen ihm seit der Volksabstimmung von 2011 die Unterstützung von Amts wegen, zu der er sich verpflichtet sah als Minister, krummnehmen. "Vormals sehr geschätzter Winne Hermann", tweetet Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, "alles Gute zum 70.! Das ist ein gutes Alter, reinen Tisch zu machen (…) Aus der Irrationalität eines im Grunde gescheiterten Projekts auszusteigen, das wäre Realpolitik."
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bedellus
am 21.07.2022