Seit 35 (!) Jahren treffen sich Mobilitätsfachleute auf der EVS, einer der größten Fachmessen zum Thema Elektro. 2017 war Stuttgart Veranstaltungsort, diesmal reist der Minister mit einer kleinen Delegation nach Oslo, auch um den Südwesten nach elf Jahren mit grüngeführten Landesregierungen als regionales Vorbild zu präsentieren. In seiner Rede, neudeutsch Keynote, legt er die Karten für seine dritte und letzte Legislaturperiode auf den Tisch und unterfüttert die zentralen, aber reichlich blumigen Klimaschutz-Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2021 mit Fakten. Grüne und CDU versprachen, die Emissionsnull "so schnell wie möglich" und "spätestens im Jahr 2040" zu erreichen. "Wenn das wirklich gelingen soll", sagt Hermann ein gutes Jahr später, "müssen wir schnell mehr tun". Für den Verkehrsbereich bedeute dies, dass bis 2030 die Emissionen nicht wie bisher geplant um 40, sondern um 55 Prozent gesenkt werden müssen – "und das schaffen wir nicht allein damit, dass jedes zweite Auto auf der Straße elektrisch fährt".
Weil der bald 70-Jährige schon lange an dem sehr dicken Brett bohrt, weiß er um die Widerstände. Zum Beispiel von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Die wollte er – nicht zum ersten Mal – im Herbst 2020 vom Schulterschluss überzeugen und davon, gemeinsam die Mobilitätswende voranzutreiben. In einem Schreiben verlangte er, das Paris-Abkommen immer vor Augen, den innerstädtischen Individualverkehr um ein Drittel zu verringern und jedes dritte Auto klimaneutral anzutreiben.
Die Kabinettskollegin ließ ihn kühl abblitzen und eine Sprecherin erklären, dass die Ideen "angesichts des Potenzials klimafreundlicher Antriebssysteme und Kraftstoffe" zu pauschal seien, "denn ein Auto, das keine Schadstoffe mehr emittiert, ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung". Schön wär‘s, wissen die norwegischer Gastgeber:innen. "Es ist toll", sagt Verkehrsminister Jon-Ivar Nygård, "dass die Leute Elektroautos nutzen." Es sei aber weniger toll, "wenn Menschen in ihre Autos steigen und in belebte Stadtgebiete fahren, anstatt sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen".
Die meisten Autos fahren elektrisch
Alle norwegischen Regierungen, unabhängig von der politischen Ausrichtung, haben seit den Neunzigern Schritt für Schritt immer neue Anreize geschaffen, um ausgerechnet in einem so dünn besiedelten Land auszusteigen aus fossilen Kraftstoffen für alle Fahrzeuge, einschließlich Trucks und Schiffe. 2020 waren mit 54 Prozent erstmals mehr als die Hälfte aller neuen Pkw in Norwegen reine Elektro-Autos, mit den Plug-in-Hybriden sogar drei von vier. Ein Vergleich beeindruckt Hermann besonders: Gegenwärtig werden in Oslo mehr E-Porsche Taycan zugelassen als Dieselfahrzeuge. Die Koalition aus Zentrums- und Arbeiterpartei will deshalb die Förderungen neu strukturieren. Die gut belegten und für emissionsfreie Fahrzeuge reservierten Fahrspuren im Osloer Morgenverkehr zeigen den Handlungsbedarf.
Mit solchen Sorgen würden sich die Fachleute aus Baden-Württemberg gerne herumschlagen. Tatsächlich ist der Vorsprung in der Transformation eines der vielen in diesen vier Tagen intensiv diskutierten Themen. Zehn Jahre, meint einer der Experten aus Hermans Ministerium, seien die Norweger:innen voraus. Zehn Jahre müsse es aber keineswegs dauern mit dem Aufholen, weil zahlreiche Ansätze längst erprobt sind und sich bewährt haben. Die eigenen Fahrspuren vorbei am Stau der Verbrenner sind eines der vielen Privilegien.
4 Kommentare verfügbar
chr/christiane
am 26.06.2022Sie werden vom links-Caterer-Verein "Volxküche" kulinarisch verköstigt.
Selbstverständlich vegan--es geht ja darum, die Zukunft zu sichern.Außerdem muss man ja auch Vorbild sein, man fühlt sich anscheinend besser als andere.
Ich zitiere…