Als es dann so weit war, fuhr ich jede freie Stunde mit meinem "neuen Superpanzer", wie ich das schwere Fahrzeug taufte. Ich hatte es mit roter Schrift auf den Kofferraum geklebt. Im Jahr 1970 dachte keiner unserer Generation daran, dass die vielen Aus- und Übungsfahrten einen Einfluss auf unser Klima und unsere Umwelt haben könnten. Das eigene Auto fuhr man mit Stolz. Uns ging es um erfahrene Freiheit – im wörtlichen Sinn. Das Auto bedeutete nicht nur Mobilität, es war auch der erste Privatraum, den man sein Eigen nennen konnte. Und so nutzte ich ihn auch – zum Knutschen.
In den folgenden Jahren machten das so oder so ähnlich alle jungen Leute, Jungs wie Mädchen. Wer nicht arm war, besorgte sich ein gebrauchtes, älteres Auto, vorzugsweise einen Käfer oder einen R4. Wer cool war, eine Ente mit Faltdach. So wuchs die Zahl der fahrbaren Sitzplätze Jahr für Jahr. Nicht nur in Deutschland.
Sitzplätze für ganz Europa
Die Verzauberung des Ford Taunus hat sich längst in sein Gegenteil verkehrt. Nicht das Auto trägt die Welt, sondern die Welt muss die vielen Autos ertragen. Sie kann es nicht mehr lange, das ist den meisten Menschen heute klar. Hier gilt eine alte Regel, die für alle Systeme gilt: Die Menge macht das Gift.
2020 fuhren weltweit etwa 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Fuhren – das ist vielleicht zu viel gesagt: In rund 600 Metropolen stauen sich alltäglich all die vielen schönen Fahrzeuge, die uns eigentlich voranbringen sollten. Sie stehen sich selbst im Weg. Und dabei belasten sie die Luft. Sie verbrauchen unendlich viel Öl. Sie sind je nach Region für 15 bis 30 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Im Autoland Baden-Württemberg sind es sogar 33 Prozent.
Heute haben wir im Land über sechs Millionen, in Deutschland rund 50 Millionen Kraftfahrzeuge. Einige Zweisitzer, einige Siebensitzer, die allermeisten sind aber Fünfsitzer. Einfach gerechnet: 50 Millionen x 5 Sitze = 250 Millionen Sitzplätze für 82 Millionen Menschen. Dazu kommen noch die vielen Millionen Bahn- und Bussitzplätze, die wir in dieser Rechnung komplett übrig haben.
Wir könnten mit unseren Sitzplätzen alle 82 Millionen Einwohner Deutschlands transportieren, obwohl circa zehn Millionen Menschen gar nicht transportfähig sind, zum Beispiel Alte und Kranke. Wir hätten in unseren Autos zusätzlich Platz für 60 Millionen Italiener, 67 Millionen Franzosen und 47 Millionen Polen, wenn alle zeitgleich zu Besuch kämen. Für die restlichen EU-Staaten müssten wohl die Sitzplätze unseres öffentlichen Nahverkehrs reichen. Was für eine Verschwendung!
Im Einzelfall mag es sinnvoll sein, eine vier- oder fünfköpfige Familie braucht fünf Sitze im Auto, klar doch. Aber, was im Einzelfall sinnvoll ist, wird als System unökonomisch und unökologisch. Was für ein gewaltiger Ressourcenverbrauch, ein Überschuss von rund 200 Prozent. In welchem anderen Lebensbereich leisten wir uns derartige Überkapazitäten?
Dieser Überschuss hat auch weitere Folgen: Unsere Autos stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag ungenutzt rum und parken Straßen, Plätze und Anlagen zu. Sie transportieren in der einen genutzten Stunde etwa ein bis zwei Menschen. Wir transportieren mit 1,5 bis 2,5 Tonnen schwerem, teurem technischen Material circa 80 kg Mensch. Da müssen wir uns die Frage stellen: Ist das effizient? Ist das ökologisch und ökonomisch sinnvoll? Der massenhafte Erfolg des Autos, das für den Einzelnen praktisch und bequem ist, lähmt den Verkehr und belastet massiv die Lebensqualität in den Städten.
Diese Situation beschäftigt nun schon längere Zeit Wissenschaftler und Autobauer. Könnte man die Autos nicht kleiner und leichter machen? Könnte man die Autos nicht effektiver gemeinschaftlich nutzen? Könnte man nicht mit deutlich weniger Autos mehr Mobilität ermöglichen?
Das Prinzip Auto-WG
Als ich mit meinen Schulkumpels und unseren ersten Freundinnen in Tübingen eine WG gründete, hatte fast jeder von uns ein eigenes Auto. Schon damals, in den Siebzigerjahren, waren die Parkplätze knapp und die Nutzungszeiten des Autos sehr gering, denn zur Uni fuhr man mit dem Rad oder ging zu Fuß.
3 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 07.10.2020