Der einstige Studienrat sieht sich "auf dem richtigen Weg für Mobilität von morgen". Im Bottwartal und im Zabergäu, auf der Heidelberger Zeppelinstraße, die Teil des neuen Radschnellwegs nach Mannheim werden könnte, oder im Nationalpark Nordschwarzwald – überall wirbt Winfried Hermann für Konzepte, die den Individualverkehr eindämmen sollen. Er hat auf seiner Sommertour mit dem Spaten gestochen, Bänder durchschnitten und in Rastatt die Tunnelhavarie an der wichtigsten europäischen Nord-Süd-Magistrale der Bahn in Augenschein genommen. Nur um Stuttgart 21 macht der inzwischen 65-Jährige einen großen Bogen. Nach 35 Jahren bei den Grünen ist der politische Instinkt ausreichend hoch entwickelt, um die Grenzen eigener Spielräume zu erkennen.
Eine Verbindung zieht der Verkehrsminister nicht vom Rastatter Rheinkies zum Gipskeuper in Neckarnähe, obwohl – oder gerade weil – viele Parallelen auf der Hand liegen. Zum Beispiel der Umstand, dass "hier wie da die schwierigsten Bauabschnitte möglichst zuletzt angegangen werden", wie Klaus Gebhard auf der 383. Montagsdemo am Stuttgarter Schlossplatz ausführte. Die Einschätzungen des Diplomingenieurs, der 2009 die Parkschützer mitgründete, sind schon allein deshalb von besonderem Gewicht, weil er seine "anfängliche Begeisterung" für die Trassenführung auf der Neubaustrecke Stuttgart–Ulm nie verheimlicht hat.
Diese hat sich jedoch schnell gelegt. Seit Jahren warnt und mahnt er, analysiert und prangert an. Aktuell die "höchst unseriöse Reihenfolge der Baumaßnahmen, die den gemeinen Nebeneffekt hat, dass dadurch alle umstrittenen Projekte in den Augen der Mehrheit schneller unumkehrbar erscheinen." In Rastatt sei "diese aufgesparte härteste Nuss die Unterbohrung bei laufendem Bahnverkehr und minimaler Bodenüberdeckung in sehr lockerem Flussgrund" gewesen. Und in Stuttgart unterquerten die geplanten Tunnelröhren den Neckar, und zwar in höchst durchlässigem Kies.
Natürlich weiß Hermann das alles. Er ist Kritiker des Projekts seit 23 Jahren. Der Grüne und erst recht der gemäßigte Fundi in ihm würden wohl noch viel härtere Formulierungen finden. Der Minister aber verpuppt sich. "Es war viele Jahre lang eines der Hauptargumente gegen Stuttgart 21, dass es äußerst riskant ist, unter einer Großstadt ein so großes Tunnelprojekt zu bauen", sagt er im Gespräch mit Kontext. Und weiter: "Schon allein deshalb hätte meiner Ansicht nach eine andere Lösung gesucht werden müssen." Aber dies sei Vergangenheit, die Tunnel seien jetzt zur Hälfte fertig "und passiert ist nichts".
Hermann weiß, wie Reibung geht
Das Ministerium nimmt für sich in Anspruch, "sehr genau" nachzufragen, zum Beispiel beim Bohren im Gipskeuper. "Absolute Trockenheit" müsse sichergestellt sein. Einen Baustopp im Talkessel, wie er von der Linkspartei und vielen anderen gefordert wird, bezeichnet er als "kein adäquates Vorgehen". Vielmehr erwartet Hermann, "dass die Havarie beim Rastatter Tunnel die Experten in Stuttgart sensibilisiert für Risiken". Der offene Konflikt ist also, vorerst jedenfalls, seine Sache nicht.
Dabei hat er jede Menge Übung darin, internen Ärger zu verkraften. Der frühere Politik-, Sport- und Deutschlehrer gehörte zu jenen sieben Grünen im Bundestag – drei davon aus Baden-Württemberg –, die 2009 die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan ablehnten. Nicht zuletzt mit dem Argument, dass der zivile Aufbau zu kurz komme und eine Polizeiausbildung von acht Wochen angesichts einer Analphabetenrate von 70 Prozent unter den Bewerbern entschieden zu kurz sei. Missbilligt hat er die janusköpfige Offensivstrategie, dieselben Leute zu jagen und auszuschalten, die doch andererseits zum Verhandeln aufgefordert wurden. Da war der Riss, der hier durch die Partei ging, schon acht Jahre alt. Denn selbst in Regierungszeiten mochte sich der ehemalige Landtagsabgeordnete vom Fundi-Flügel nicht beugen.
3 Kommentare verfügbar
Wolfgang Zaininger
am 30.08.2017