KONTEXT:Wochenzeitung
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Verrohung von rechts

Verrohung von rechts
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Mit immer neuen Entgleisungen kapert die AfD den politischen Diskurs der Bundesrepublik. Jüngstes Beispiel: Alexander Gauland will die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz in Anatolien "entsorgen". Die Medien dürfen den Antidemokraten nicht so viel Raum geben, schreibt der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn in seinem neuen Buch.

Wer in den letzten Monaten abends den Fernseher einschaltete und eines der Talkshowformate zur besten Sendezeit wählte, rieb sich oft verdutzt die Augen, war doch Knall auf Fall ein unausgesprochener Konsens der bundesdeutschen TV-Landschaft gebrochen: Die TalkerInnen zur Primetime diskutierten Woche für Woche mit VertreterInnen der extremen Rechten. Man kann fraglos darüber streiten, ob antidemokratische Positionen innerhalb einer Demokratie überhaupt unter Einbezug ihrer VerfechterInnen medial diskutiert werden sollten – vieles spricht dagegen – aber den Demokratiefeinden ohne Not in epischer Breite eine Bühne für ihre Parolen zu schaffen, irritierte. Mehr noch: Es war ein wesentlicher Garant dafür, dass sich Menschen, die rassistische, antisemitische und völkische Einstellungen haben, Abend für Abend darin ermutigt fühlen mussten, nun bei der nächsten Wahl ihre rassistischen Einstellungen auch in rassistische (Wahl-)Handlungen umzusetzen.

Es nutzt wenig, wenn Tages- und Wochenzeitungen in oft umfangreichen Recherchen die Weltbilder, Vernetzungen und Ziele rechter Gruppierungen herausarbeiten und aufzeigen, warum sich die neu etablierte Partei Alternative für Deutschland (AfD) als parlamentarischer Arm der rechten Bewegung mit wesentlichen Forderungen gegen die Kernelemente der bundesdeutschen Demokratie stellt, wenn die Fernsehsender diese Erkenntnisse fortlaufend konterkarieren. Nämlich dadurch, dass sie so tun, als seien Rassismus und völkischer Nationalismus einfach Meinungen, die in einer Demokratie gleichberechtigt neben anderen medial diskutiert werden sollten. Schuld und Verantwortung für den Aufstieg der AfD allein bei den TV-Talkshows zu suchen, wäre sicher verfehlt – ohne die umfangreichen Möglichkeiten zur personellen Selbstdarstellung und inhaltlichen Werbung wäre die AfD aber weder kontinuierlich in Landtage eingezogen, noch hätte sie es geschafft, irgendwo (außer vielleicht in einigen Regionen Ostdeutschlands) zweistellige Ergebnisse zu erzielen.

Eine Gesellschaft, die meint, rassistische und völkische Positionen – die gegen basale Grundnormen der Verfassung wie Art. 1 – "Die Würde des Menschen ist unantastbar" – und Art. 3 des Grundgesetzes – "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" - verstoßen und damit außerhalb des demokratischen Pluralismus stehen – seien diskutierbar, läuft Gefahr, ihren demokratischen Kern selbst zu zerstören. [...] Wir müssen dringend über Rassismus diskutieren – und ebenso dringend wieder aufhören, dies mit RassistInnen zu tun.

[...]

Als die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 1969 knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, zerfiel die extreme Rechte in zwei Flügel: einen, der begann den Kampf gegen den Parlamentarismus als terroristischen Kampf zu führen und einen, der meinte, man müsse nicht primär um die Parlamente, sondern um die Köpfe kämpfen. Ziel war eine rechte kulturelle Hegemonie. Auch wenn die AfD weit davon entfernt ist, dem intellektuellen Anspruch dieser damals entstandenen "Neuen Rechten" zu genügen, folgt sie ihren Strategien und ist Ausdruck und Ergebnis dieses rechten Kulturkampfes: Begriffe völkisch umzudeuten, antiaufklärerische Forderungen öffentlich zu verankern und so Affekte gegen den Verstand zu mobilisieren mit dem Ziel, die Demokratie von innen heraus zu zerstören.

[...]

AfD versucht, Verfassungswirklichkeit zu ändern

Wesentlich an den Strategien rechter Hegemoniegewinnung ist, die öffentliche Sagbarkeitsgrenze zu verschieben. Und diese Strategie funktioniert so: Es gibt in einer demokratischen Gesellschaft zwei Ebenen, auf denen definiert ist, was Teil des politischen und des gesellschaftlichen Pluralismus ist – und auch, was von diesem ausgeschlossen wird. Die harte Regelung dessen ist die gesetzliche: Das Strafrecht limitiert die freie Meinungsäußerung und stellt bestimmte Formen von diskriminierenden Aussagen unter Strafe. Juristisch spricht man hier von der Norm; mit Blick auf das Grundgesetz sind wesentliche Aspekte der Verfassungsnorm in den Grundrechten fixiert [...]. Neben der Verfassungsnorm existiert aber auch, als weiches Kriterium, die Verfassungswirklichkeit – die sozialwissenschaftlich oft als politische Kultur bezeichnet wird und die nicht immer im Einklang mit der Verfassungsnorm stehen muss. [...] Die politische Kultur eines Landes, die immer nur im Plural gedacht werden kann, formuliert ein Setting von ungeschriebenen Regeln, die für das Handeln der Akteurinnen und Akteure zentral sind. [...]

Während an der Verfassungsnorm von der extremen Rechten aufgrund der demokratischen Mehrheitsverhältnisse – immerhin sind nach aktuellem Stand mindestens 85 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen die AfD – keine Änderungen möglich sind, versuchen sie durch ihre Kämpfe um kulturelle Hegemonie die Grenzen des Sagbaren aufzuweichen und die politische Kultur der Bundesrepublik auf diese Weise schleichend nach rechts zu verschieben. Wenn es gelingt, so die rechte Hoffnung, die Verfassungswirklichkeit zu entdemokratisieren, dann kann in einem zweiten Schritt auch die Verfassungsnorm entsprechend geändert bzw. abgeschafft werden.

Die Grenzen des Sagbaren verschieben

Wie die AfD die politische Kultur nach rechts verschiebt, zeigen exemplarisch zwei Äußerungen der AfD-Politikerinnen Frauke Petry und Beatrix von Storch sowie ihr Umgang mit der gegen sie formulierten Kritik.

Petry gab der Tageszeitung "Mannheimer Morgen" am 30. Januar 2016 ein Interview, das in Auszügen im Wortlaut lesenswert ist, illustriert es doch sehr anschaulich die Strategie der rechten Hegemoniegewinnung in der Öffentlichkeit:

Frage: Was passiert, wenn ein Flüchtling über den Zaun klettert?

Petry: Dann muss die Polizei den Flüchtling daran hindern, dass er deutschen Boden betritt.
[...]

Noch mal: Wie soll ein Grenzpolizist in diesem Fall reagieren?

Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.

Es gibt in Deutschland ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?

Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.

Petry nimmt hier eine sprachliche Normalisierung von Rassismus und Gewalt vor, indem sie etwas sagt, um anschließend so zu tun, als hätte sie es nicht gesagt. Die Journalisten sprechen die Interviewte extra darauf an, dass ihre Auffassung im Widerspruch zu geltendem Recht steht und ihre Überzeugung gegen die bundesdeutsche Rechtsund Verfassungsordnung gerichtet ist. Statt darauf zu reagieren, umschifft Petry die Antwort mit einer Flucht vor der Wahrheit, indem sie leugnet, ein Wort verwendet zu haben, das sie zwar tatsächlich wörtlich nicht gebraucht hat, der Substanz nach aber schon. Auf diese Weise bleibt ihre rassistische und einen willkürlichen, weil nicht durch Gesetze gedeckten Waffeneinsatz befürwortende Aussage im Raum stehen.

Dasselbe Muster zeigte sich an dem Verhalten von Beatrix von Storch. Diese bejahte die Frage, ob man notfalls an den bundesdeutschen Grenzen auch auf Kinder schießen solle und behauptete dann, sie sei mit der Maus ausgerutscht. Auf Facebook war von Storch gefragt worden: "Wollt ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?" Sie antwortete: "Ja." Dass die Behauptung, mit der Maus ausgerutscht zu sein, völliger Quatsch und ohne Frage eine Lüge ist, ist jedem klar, der jemals in seinem Leben einen Computer bedient hat. Insofern bekam von Storch auch reichlich Spott in den sozialen Netzwerken, aber mit Blick auf die medienpolitische Strategie blieb der Kern der ungeheuerlichen Aussage stehen: Es schien so, als könnte man darüber diskutieren, dass an Grenzen auf Frauen und Kinder geschossen wird. Denn von Storch hat die Zustimmung nicht zurückgenommen (sondern nur vage relativiert, dass man wohl doch nicht auf Kinder schießen solle), sich nicht entschuldigt, nicht gesagt, dass sie etwas Menschenverachtendes gesagt hat – sie hat eine alberne Ausrede gewählt, über deren Absurdität diskutiert wurde, womit von dem gewaltverherrlichenden Rassismus abgelenkt wurde.

Positionen, die zurecht in der öffentlichen Debatte ausgegrenzt sind, werden von AfD-PolitikerInnen im medialen Diskurs platziert und sollen so in der Mitte der Gesellschaft verankert werden. Die jeweiligen Positionierungen erfolgen lautstark und medienwirksam und werden – wenn sie dann als rassistisch oder menschenfeindlich charakterisiert werden – nicht zurückgenommen, sondern nur relativiert und so im Diskurs gehalten. Das Ziel dabei ist die Erringung einer kulturellen Hegemonie über das, was als diskutabel in einer Demokratie erscheint – mit der Hoffnung, dies in einem späteren Schritt dann auch umsetzen zu können.

[...]

Wie ein Strategiepapier des AfD-Bundesvorstandes aus dem Dezember 2016 zeigt, geht es der Partei darum, "sorgfältig geplante Provokationen" zu platzieren, man müsse "ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein", "harte und provokante Slogans" seien "wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze". Zentrales Ziel der AfD ist dabei die "Eskalation der Konflikte" und die "Verschärfung der inhaltlichen Positionierung", denn: "Je klarer und kontroverser die AfD sich positioniert desto weniger können die Medien sie ignorieren". Das offensichtliche Ziel dieser Hoffnung auf Kaperung der demokratischen Medien besteht darin, möglichst viele Lügen und Halbwahrheiten zu streuen und dabei um jeden Preis zu provozieren. Es soll das aggressive Gefühl geschürt und der irrationale Glaube verbreitet werden, es gebe keine Wahrheit, sondern nur noch "postfaktische" Emotionen – umso in einem dichten Nebel der Gerüchte die eigene völkische, rassistische und antisemitische Weltsicht schleichend zu verankern und dabei die demokratischen Medien zu instrumentalisieren.

Die Wahrheit ist, dass die bundesdeutsche Demokratie gut daran täte, Aussagen wie den exemplarisch von Petry und von Storch zitierten überhaupt keine öffentliche Bühne zu bieten, da ihr Anliegen einzig in der Verschiebung des Sagbaren besteht und sich gegen die bundesdeutsche Verfassungsnorm richtet. Es gibt keinen Anspruch, nach dem eine Verrohung der Gesellschaft oder eine Barbarisierung der Sprache öffentlich Raum bekommen müsste – im Gegenteil. Denn die bundesdeutsche Demokratie ist eine pluralistische Demokratie. Und zum Konzept des Pluralismus gehört, klar zu sagen, was nicht demokratisch, was antidemokratisch und was demokratiefeindlich ist. In Konsequenz auf den Nationalsozialismus hat die bundesdeutsche Verfassung eine Reihe von Regelungen geschaffen, die Demokratiefeinde hindern soll, die Demokratie – wieder – auf legalem Weg abzuschaffen.

[...]

"Political Correctness" ist ein rechter Kampfbegriff

Einen Erfolg im Ringen um die Verschiebung des öffentlichen Meinungsklimas in antidemokratischer Intention können die völkischen RebellInnen allerdings schon lange verbuchen – und er ist eine Grundlage dafür, dass man Rechten so exorbitant viel TV-Raum einräumt: Heute wird von vielen Menschen der Terminus Political Correctness (PC) verwandt – aus völlig unterschiedlichen politischen Spektren. Dass dieser rechte Kampfbegriff in die öffentliche Debatte eingesickert ist, ist dabei ein Erfolg neurechter Strategien: In den 1990er Jahren startete die Wochenzeitung Junge Freiheit eine Imagekampagne, bei der Anti-PC-Aufkleber verteilt wurden. Man hat dazu eine intentional gänzlich anders gelagerte amerikanische Debatte, die auf Antidiskriminierung zielte, instrumentalisiert, den Begriff übernommen und dafür genutzt, um zu suggerieren, dass es nicht gute, berechtigte und für eine Demokratie richtige Gründe sind, rechte Positionen auszugrenzen, sondern dass es eine Haltung der Political Correctness gebe, dies zu tun.

Wenn man den Begriff etwas genauer unter die Lupe nimmt, fällt auf, dass er mit einer völkischen Phantasie arbeitet – nämlich der Unterstellung, dass es jenseits des (Straf-)Rechtes irgendwelche Menschen oder Gruppen geben würde, die die Macht darüber hätten zu definieren, was nun politisch korrekt sei und was nicht. Insofern liegt hinter dem Begriff ein Verschwörungsglaube an unfassbare Mächte im Hintergrund, die Menschen kontrollieren und ihnen Vorschriften machen würden. Das ist zwar schlichtweg gelogen, aber spielt mit der Phantasie von Menschen, die selbst glauben, bestimmte Dinge nicht sagen zu können und verschafft denen, die an die Existenz einer Political Correctness glauben, einen selbstgefälligen und arroganten Opferstatus, bei dem man jede noch so menschenverachtende und antidemokratische Gesinnung stets im Gestus vorbringen kann, man selbst werde ja unterdrückt in seiner Meinungsfreiheit.

Dass in einer Demokratie die systematische Diskriminierung von Menschen aus rassistischen, antisemitischen und völkischen Gründen rechtlich und politisch unterbunden werden muss, soll die Freiheit und Gleichheit der Menschen garantiert werden, wird mit der Phantasie der Existenz einer Political Correctness vom Tisch gewischt – und dass der Begriff in den Mehrheitsdiskurs eingesickert ist, zeigt, wie wirkmächtig neurechte Strategien sein können: Denn wenn man erstmal den Begriff verwendet, dann kauft man unter der Hand damit auch seine Assoziationen ein und beteiligt sich – oftmals, ohne dies zu wollen oder gar nur zu wissen – an einem schleichenden Prozess der Entdemokratisierung. Dies geschieht auch in den Fernsehtalkshows, wenn man dort bei der Programmplanung glaubt, man können offen über "alles" reden, sich besonders plural und unbeeinflusst von der (erfundenen) Political Correctness wähnt, dabei aber mit jeder Einladung an eine/n rechte/n PolitikerIin ein Stück demokratischer Freiheit herschenkt, statt sie gegen die neurechten AgitatorIinnen zu verteidigen, für die demokratische Medien sowieso nur als – so der vom Nationalsozialismus übernommene Kampfbegriff – "Lügenpresse" gelten.

 

Prof. Dr. Samuel Salzborn ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Uni Gießen und war Sachverständiger im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg. Der Text ist eine gekürze Fassung der Einleitung zu seinem neuen Buch "Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten". 224 Seiten, Euro 14,95, Verlag Beltz Juventa. <link http: www.salzborn.de ada.html external-link-new-window>Hier gibt es das Inhaltsverzeichnis.

 


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13 Kommentare verfügbar

  • Charlotte Rath
    am 05.09.2017
    Antworten
    „Wer finanziert die AfD? Es wäre eigentlich im ureigensten Interesse der Partei, hier endlich unbequemen Klartext zu sprechen, Transparenz herzustellen und Ross und Reiter zu nennen. Dies ist die AfD gerade ihrer kleinbürgerlichen Wählerschaft schuldig - anstatt sich in rechtlichen Grauzonen zu…
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