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Hass ist eine Seuche

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Hass fressen Seele auf. Und Gehirn dazu. Die Krankheit ist ansteckend. In Redaktionen laufen die Online-Postfächer mit unflätigen Beschimpfungen voll, Lehrkräfte schlagen Alarm mit einem Manifest. Und im NSU-Ausschuss machen Extremismusforscher einmal mehr klar, wie unerreichbar viele Anhänger des rechten Populismus mittlerweile sind.

Eine Pandemie ist eine sich kontinentübergreifend ausbreitende Krankheit. Von der FPÖ in Österreich bis zu den Rechtsnationalen in Australien, die nicht an fehlenden Wählern, sondern regelmäßig nur am ganz speziellen Wahlsystem scheitern. Von Donald Trump bis Andreas Scheuer reichen die beunruhigenden Diagnosen eines mehr oder weniger rabiaten völkischen Egoismus. "Das Schlimmste", sagt der CSU-Generalsekretär, "ist ein Fußball spielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier – als Wirtschaftsflüchtling. Den kriegen wir nie wieder los." Tatsächlich sind das Schlimmste Politiker, die in der von ihnen selbst geschürten Konfusion Kontrolle und Überblick verlieren und nicht mehr erkennen, was sie anrichten mit solchen Sätzen. Wovon auch die nachgeschobene Erklärung zeugt: Anstatt sich zu entschuldigen, schwadroniert er von einer "bewussten Zuspitzung".

Eine zweite Aufregergeschichte dieser Tage spielt ebenfalls in Bayern. Also dort, wo die nach der AfD eifrigsten Retter des Abendlandes sitzen. Lehrer und Lehrerinnen haben zum Schuljahresbeginn ein Manifest gegen den Hass publik gemacht, unter dem Titel "Haltung zählt". Mit Auslöser war eine Schmiererei an einer Dorfschule: "Fickt euch, ihr Lehrergesindel, ihr Untermenschen." Die Pädagogen sehen die Verfassung tangiert. Der Grundkonsens des Artikels eins, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", sei in Gefahr, weil "unsere Gesellschaft gespalten und Menschen emotional aufgehetzt werden sollen". Extreme Gruppierungen und Personen, insbesondere Repräsentanten der Rechtspopulisten und Rechtsextremen, "tragen zu dieser Verrohung des Umgangs maßgeblich bei und bereiten den Boden für Zwietracht, Verfolgung und physische Gewalt".

Milde Urteile gegen fremdenfeindliche Gewalttäter befördern Rassismus

Das ist nicht übertrieben. Am vergangenen Montag schlug der Göttinger Wissenschaftler Samuel Salzborn als Sachverständiger im neuen NSU-Ausschuss des Landtags den Bogen von den Unterstützern rechter Gedanken zum harten Kern des Terrorismus. Grafisch in Kreisen wird dargestellt, wie weltanschauliche Festigung und Gewaltbereitschaft sich entwickeln. Der Extremismusforscher nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über die Zeit in den Neunzigern spricht, als sich der Nationalsozialistische Untergrund zu formieren begann. "Rassistische Pogromstimmung" habe es nicht nur im Nach-Wende-Osten gegeben, sondern auch im Westen, etwa in Mannheim, wo Hunderte Bürger und Bürgerinnen tagelang gegen Migranten gehetzt hätten und von örtlichen Politikern unterstützt worden seien.

Die beschriebenen Kaskaden lassen wenig Gutes hoffen für die Zukunft. Zum alltäglichen Rassismus damals haben laut Salzborn milde Urteile gegen fremdenfeindliche Gewalttäter beigetragen sowie Union und SPD mit der Grundgesetzänderung und den damit verbundenen "massiven Einschränkungen des Asylrechts". Damals wie heute spielte das Thema Überfremdung eine zentrale Rolle, weiß der linke Professor. Den "Kampf gegen die multikulturelle Gesellschaft" verurteilt er scharf und sieht heute erneut einen Nährboden, in dem sich Menschen radikalisieren können. "Können, wohlgemerkt", so Salzborn. Wie postete die stellvertretende AfD-Landesvorsitzende Christina Baum dieser Tage: "Das deutsche Volk wird zurückgedrängt, sein freiheitlicher Lebensstil, seine Kultur und seine Traditionen werden unweigerlich weichen müssen."

Die promovierte Zahnärztin vertritt im Ausschuss die ursprüngliche AfD-Gruppierung, also jene Abgeordneten, die Jörg Meuthen im Antisemitismus-Streit nicht folgen wollten. Sie könnte viel lernen in diesen Stunden, in denen Salzborn und der Rassismus-Forscher Thomas Grumke referieren. Sie darf aber getrost zu jener Gruppe gezählt werden, die eine weitere wesentliche Rolle in der Radikalisierung der Gesellschaft spielen: die "Antirationalisten", die nicht mehr bereit und irgendwann nicht mehr in der Lage sind, sich vernünftigen Argumenten zu öffnen, damit eigene Positionen kritisch zu überprüfen und sie womöglich aufzugeben. "Noch so starke Fakten und belegte Sachargumente", sagt Salzborn, "ändern dann nichts mehr an der einmal aufgestellten Theorie." Solche Zeitgenossen trügen bei zur "Rhetorik des Ressentiments" und zu einem "terroraffinen Milieu".

Hass ist ansteckend

Grumke, ein Ku-Klux-Klan-Forscher seit vielen Jahren, erinnert an die Entstehung dieser rassistischen Vereinigungen nach dem Niedergang der Südstaaten im US-amerikanischen Bürgerkrieg. Für sehr wichtig hält er die Rolle, die das Thema Geltungsdrang für Rechtsextreme spielt. Zumal in einem Land, in dem Propaganda nicht bestraft wird, auch keine neonazistische oder antisemitische: "Sie können in den USA so oft 'Heil Hitler!' schreien, wie Sie wollen." Oder New York immer nur 'Jew York' nennen. Die Rechtslage wäre in Deutschland eine andere. Auf vielen AfD-Seiten, aber selbst in Posts, die Unionspolitiker nicht löschen, kümmern sich die Verfasser aber nicht darum, nennen Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik nur noch "Ferkel" oder Joachim Gauck "Bundesgauckler". Und es wird munter über die völkische Gesinnung debattiert oder darüber, ob die Bezeichnung Nazi nicht längst einem Ritterschlag gleichkommt.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass Hass ansteckend ist", warnte der inzwischen verstorbene Friedensnobelpreisträger Elie Wesel zu Beginn des Jahrtausends. Hass kenne "keine geografischen, religiösen oder ethnischen Grenzen. Leute, die hassen, hassen jedermann, und am Ende hassen sie sich selbst." Der Shoa-Überlebende hatte sich mit Kinderpsychologen zusammengetan, "weil Kinder erst mit drei Jahren hassen können". Es müsse ein Weg gesucht werden, Menschen in diesem Stadium zu halten oder zumindest Strategien zu entwickeln, "wie Hass wieder verlernt werden kann". Sein Traum blieb bis heute unerfüllt. In der Redaktion der "Tagesschau" landen im Durchschnitt täglich 12 000 Kommentare. Jeder dritte wird inzwischen als verhetzend eingestuft.

"Wir wollen, dass unsere Kinder in einer weltoffenen Gesellschaft leben, sie sollen Respekt, Wertschätzung und Interesse für die anderen Menschen erleben und leben – unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, welche Hautfarbe sie haben, welche Muttersprache sie sprechen und welche Meinung sie vertreten", schreiben die bayerischen Pädagogen. Und appellieren "an alle, unsere Gesellschaft vor Spaltung, Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Radikalisierung zu schützen". Andreas Scheuer will da nicht mithelfen. Er legt weiter nach und behauptet dreist, es gehe ihm mit seiner Verbalattacke "um die Sache". Allein die hat natürlich auch Donald Trump Jr. Im Blick mit einem aktuellen Vergleich von Flüchtlinge mit vergifteten Süßigkeiten: "Wenn ich Ihnen eine Schale mit Kaubonbons hinhalten würde und erklärte, drei davon wären vergiftet – würden Sie eine Handvoll davon nehmen? Das ist unser Problem mit syrischen Flüchtlingen." Hass ist nicht nur ansteckend. Hass ist erblich.


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11 Kommentare verfügbar

  • hp. blomeier
    am 18.01.2017
    Antworten
    fakt ist: die bewußt neoliberale politik unserer neoliberalen
    politikerkaste " merkel " ist der quell des hasses; hass kann politisch " bewusst " erzeugt werden.
    wer also ist der brandstifter?
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