Keine Ahnung, ob es die Leser*innen interessiert, wie eine Kolumne zustande kommt. In meinem Fall geschieht es auf keinen Fall nachts. Charles Willeford hat gesagt: "Falls du nachts eine gute Idee hast, steh nicht auf und schreib sie auf. Wenn du das tust und es dann am nächsten Morgen liest, wird es wie etwas aussehen, das du mitten in der Nacht aufgeschrieben hast." Willeford, ein von Quentin Tarantino verehrter US-Schriftsteller, der den übergewichtigen Detektiv und Gebissträger Hoke Mosely erfunden hat, starb im Jahr vor dem Berliner Mauerfall.
Es ist der Morgen des 3. Oktober 2020, als ich diese Zeilen tippe, und schon dieses Datum lässt erahnen, was der deutsche Michel in mir mit dieser Kolumne absondert. Dass dieser Text, wie mir erst beim Schreiben auffällt, ausgerechnet an einem 7. Oktober erscheinen wird, macht die Sache nur schlimmer. Außer ein paar DKP-Veteranen wird sich bei uns kaum jemand erinnern, dass am 7. Oktober 1949 die DDR gegründet wurde und dieser Tag bis zum bitteren Ende als Nationalfeiertag begangen wurde. Auch ich hätte davon womöglich keinen Schimmer, zwänge mich nicht ein eher dürftiger Gesichtshaarwuchs, mich hin und wieder zu rasieren.
Dieser Herausforderung stelle ich mich seit Jahren mit einem klassischen Edelstahl-Hobel von Mühle. Die Firma Mühle wurde im 19. Jahrhundert im Erzgebirge gegründet, in der DDR verstaatlicht und nach der Wende privatisiert. Bis heute ist das Unternehmen international erfolgreich. Mit elegantem Mühle-Hobel und einfacher Klinge, mit Pinsel und Seife zelebriert ein Mann, vielleicht auch manche Frau, was man im Spanischen "ritual del hombre" nennt.
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