Am Haus Nummer 170 A gehe ich durch ein eisernes Tor und eine Treppe hinunter. Im Hinterhof kann ich durch ein gekipptes Fenster eine Frau sehen, ich rufe: Guten Tag, ich bin doch hier richtig bei 170 A? Wissen Sie ein wenig über dieses Haus? Ja, sagt die Frau, hier hat Frau Taro gewohnt. Treffer. Als ich vor ein paar Jahren da war, wusste niemand etwas von einer Frau Taro.
In einer kleinen Stadt findest du immer was vor deiner Haustür. 1989, fünfzig Jahre nach Georg Elsers Hitler-Attentat im Münchner Bürgerbräukeller, fuhr ich für eine Reportage nach Königsbronn, wo der schwäbische Widerstandskämpfer lebte, bevor er Hitler töten wollte, um den Krieg zu verhindern. Dreißig Jahre später, als ich im Stuttgarter Westen wohnte, traf ich den ehemaligen Kriminalpolizisten Michael Kühner, der privat die Nazi-Verbrechen seiner Vorgänger erforschte. Er erzählte mir, dass er in meiner Nachbarschaft aufgewachsen sei, in der Lerchenstraße 52. Mit seinen Eltern wohnte er im selben Haus wie die Familie seines Schulfreunds Karl-Heinz Hirth.
Wer die Mutter seines Kameraden Karl-Heinz war, erfuhr er erst 2007 beim Blättern in einem Buch: Maria Hirth, Georgs Elsers Schwester, verheiratet mit dem Metzger Karl Heinz Hirth. Der Name Georg Elser war jahrzehntelang tabu, überall.
Als Kühner 2007 von der Geschichte der Hirths erfuhr, reiste ich als Tourist nach New York, im Portemonnaie einen aus dem "Spiegel" gerissenen Hinweis auf eine Ausstellung von Arbeiten des berühmtesten Kriegsfotografen der Welt: "This Is War! Robert Capa at Work". Als ich im International Center of Photography ankam, sah ich zunächst keine Capa-Bilder, nur Fotos von einer gewissen Gerda Taro – "born in Stuttgart". Im Museum fand ich ein Buch über sie in deutscher Sprache, geschrieben von Irme Schaber. Sie hatte die NY-Schau mitkuratiert – und lebt in Schorndorf.
Beim Herumgehen, da bin ich mir sicher, schrumpft die Welt. Der Spaziergänger geht irgendwo hin, und dann ist da was, weil da was war.
19 Jahre lang ist Gerda Taro, geboren am 1. August 1910, unter ihrem ursprünglichen Namen Gerta Pohorylle in der Alexanderstraße zu Hause. Dann zieht sie mit ihrer jüdischen Familie nach Leipzig und muss schon bald vor den Nazis ins Exil fliehen. In Paris begegnet sie dem ungarischen Fotografen Andrei Friedmann. Ihren neuen Lebenspartner tauft sie in Robert Capa um, sich selbst in Gerda Taro. Im Juli 1937 kommt sie als Kriegsfotografin bei der Arbeit im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben. Die erste Reporterin, die in einem Krieg fällt. Ihre gesamte Familie wird später im Holocaust ermordet.
1 Kommentar verfügbar
ExilSchwäbin
am 02.08.2020Wie er es immer wieder schafft, das Gegenwärtige mit dem scheinbar Vergangenen zu vernetzen, ist einfach wunderbar. Und der AngryYoungMan in ihm hat einfach nur recht, den erwähnten Stuttgter Kulturoberen die…