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Die Frau hinter Taro

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Gerda Taro lässt ihre Biografin nicht los. Seit Irme Schaber die Kriegsfotografin aus dem Schatten von Robert Capa geholt hat, drängt sich die Tote immer wieder in ihr Leben. Zuletzt bei der Foto-Ausstellung in Leipzig, deren Bilder Anfang August mit Teer überschmiert wurden.

Die Zerstörung der Leipziger Taro-Tafeln war ein Schock. Diese Fotos von Flucht und Vertreibung während des Spanischen Bürgerkriegs hatte Irme Schaber aus der Vergessenheit ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Nun meinten Leipziger Vandalen Anfang August, sie wieder daraus verbannen zu können. Doch mit ein bisschen Teer lässt sich Geschichte nicht begraben. Die Veranstalter haben via Crowdfunding bereits das Geld für die Restaurierung zusammen. Die Polizei ermittelt. Und Irme Schaber, die Taro-Spezialistin, wird mal wieder nach Leipzig reisen und bei der Wiedereröffnung sprechen. Zeit hat sie eigentlich keine. Aber Gerda Taro funkt eben immer wieder dazwischen. Und Irme Schaber ist davon überzeugt, dass man der Vergangenheit auf den Grund gehen muss, um die Gegenwart zu verstehen. Vor allem in Zeiten von Flüchtlingshetze und AfD.

Gerda Taro ist lebendige Vergangenheit. Ihr Leben ist die Geschichte einer Jüdin, die aus Hitlerdeutschland floh. Die Geschichte einer Frau, die im Exil in Paris ums Überleben kämpfte. Die im Spanischen Bürgerkrieg fotografierte, engagiert und auf der Seite der Republikaner, die Spanien gegen Francos und Hitlers Faschisten verteidigten. Einer Frau, die den Blick auch auf die zivilen Opfer des Krieges richtete, auf Flucht und Vertreibung. Die gemeinsam mit Robert Capa die moderne Kriegsfotografie erfand. Nah ran, hieß ihr Motto. Die gebürtige Stuttgarterin war die erste Frau, die als Kriegsfotografin direkt im Gefecht fotografierte. So nahe dran, dass die 26-Jährige an der Front in El Escorial von einem Panzer überrollt wurde. Flüchtling, Shootingstar, Fotopionierin, das alles war Gerda Taro. Und trotzdem verschwand sie für lange Zeit hinter dem Lebensgefährten, dem Mann mit dem großen Namen, hinter Robert Capa.

Dass Gerda Taro inzwischen mehr als einem kleinen Kreis bekannt ist, daran ist Irme Schaber schuld. Seit 2008 gibt es in Stuttgart sogar einen Taro-Platz. Darauf ist Irme Schaber ein bisschen stolz. Auch wenn sie das so nicht sagen würde. Sie sagt lieber: "Weil der Platz mit seinen Infotafeln so informativ ist." Und fügt noch einen spröden Satz hinzu wie: "Das bestärkt meine Geschichtsarbeit." Die 60-Jährige redet lieber über ihre Forschung als über sich selbst. Und doch hat Gerda Taro, geboren als Gerta Pohorylle in Stuttgart, auch ihr Leben verändert. Und drängt sich heute noch wie eine alte Bekannte und gute Freundin immer wieder hinein. Wenn etwa die geschändeten Taro-Bildtafeln gerettet werden müssen wie jetzt in Leipzig.

Der Beginn einer anstrengenden Freundschaft

Man könnte sagen, mit Gerda Taro fing Irme Schabers zweites Leben an. Die beiden Frauen begegneten sich in Marburg. Das war vor fast 25 Jahren, und die gelernte Buchhändlerin arbeitete im linken Buchladen Roter Stern in Marburg. "Ästhetik des Spanischen Bürgerkriegs" hieß die Veranstaltung an der Uni, es wurde über das berühmte und umstrittene Capa-Foto "Falling Soldier" und andere Bilder diskutiert. Darunter auch wenige Fotos einer gewissen Gerda Taro. Da muss es noch mehr geben, dachte sich Irme Schaber. Es war der Beginn einer rechercheintensiven Freundschaft.

Nach und nach sickerte die Fotografin in ihr bisheriges Leben. Es begann mit dem Stöbern in Archiven in Stuttgart und Reutlingen auf den Spuren der jungen Gerta Pohorylle. Es folgten Anfang der 90er-Jahre Reisen in die Ex-DDR, als noch keine Digitalisierung die Arbeit erleichterte. Anfangs finanzierte Schaber ihre Recherchen mit dem Job als Buchhändlerin, später von einer Erbschaft. Immer tiefer tauchte die Kulturwissenschaftlerin hinein in das Leben der anderen. Reiste nach Frankreich, Spanien, Italien und in die USA, interviewte Bekannte, Freunde und Zeitzeugen, wie die 91-Jährige Krankenschwester, die die schwer verwundete Taro im Hospital von El Escorial betreut hatte. Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Irme Schaber wurde zur Detektivin, zur Journalistin, zur Wissenschaftlerin, zur Autorin. 1994 erschien ihr erstes Buch im Marburger Jonas-Verlag mit dem schlichten Titel "Gerda Taro. Fotoreporterin im spanischen Bürgerkrieg". Aus der Buchhändlerin war die Taro-Spezialistin geworden. 

Die sitzt an diesem heißen Sommertag in der freundlichen Unaufgeräumtheit ihrer Wohnküche in Schorndorf, konzentriert und gut vorbereitet, ihre zweite Taro-Biografie von 2013 vor sich, unzählige Zettel darin, schlägt hier auf, "diese Bilder von Vertreibung sind noch heute aktuell", und dort, "das sind Bilder aus dem mexikanischen Koffer", akribisch und perfektionistisch bis an die eigenen Grenzen. Es ist eine anstrengende Beziehung, auf die sie sich eingelassen hat.

Und es ist schwierig, diese lange Bekanntschaft in wenigen Worten zusammenzufassen, diese Vertrautheit, aber auch Distanz, die sich im Laufe der Recherchen eingestellt hat. Wie aus der anfänglichen Euphorie und Faszination das differenzierte Bild einer schillernden Persönlichkeit mit Brüchen wurde, einer glamourösen, gut aussehenden Frau, die sich in Leipzig bei den Sozialisten engagierte. "Als ich das erste Mal unsympathische Züge an Gerda entdeckte", erinnert sich Schaber, "wollte ich das nicht wahrhaben." Es fällt nicht leicht, aus einer Heldin einen Menschen werden zu lassen.

Aus den Archiven rein ins Rampenlicht

Draußen scheint die Sonne auf die Terrasse und das Indiaca-Netz im Garten, das zum Zeitvertreib einlädt. An der Wand hängt ein Bild von der Privatgelehrten vor ihrer übervollen Bücherwand, ihr Mann hat es fotografiert, es gab kaum Fotos von der Frau, die das Leben einer Fotografin beleuchtete, sie lässt sich ungern ablichten. Lieber arbeitet sie an ihrem Schreibtisch, in dem Arbeitszimmer einen Stock höher, wo in der Bücherwand noch mehr Bildbände und Bücher voller Zettel stecken, die signalisieren: "Hier muss noch weitergearbeitet werden." Doch die Fotografin hat ihre Biografin auch zu einer öffentlichen Person gemacht, hat die Gelehrte nicht nur in Archive gelockt, sondern selbst ins Rampenlicht gestellt.

Irme Schaber hat nie gezählt, wie viele Vorträge sie in diesen vergangenen 25 Jahren schon gehalten hat. Einer der ersten war sicher im Theaterhaus in Stuttgart 1994, als sie aus ihrem Buch las. Sie war Gastkuratorin der ersten Taro-Ausstellung des International Center of Photography (ICP) in New York 2007, sie hat Capas Bruder und seinen Biografen davon überzeugt, dass es Capas Ruhm nicht schmälert, wenn auch seine Lebensgefährtin ins Licht gerückt wird. In vielen Fotos, wo Copyright Capa draufstand, war Taro drin. Die große Taro-Ausstellung ging nach Madrid, Barcelona, Mailand. Es dauerte drei Jahre, bis die Bilder auch in Taros Geburtsstadt im Stuttgarter Kunstmuseum zu sehen waren. Nicht ganz unschuldig daran war auch der Stuttgarter Flaneur Joe Bauer, der auf die beiden Frauen, die Stuttgarter Fotografin und ihre Schorndorfer Wiederentdeckerin, beim Besuch der New Yorker ICP-Ausstellung aufmerksam wurde. Wo auch sonst.

Natürlich war Irme Schabers Vortrag im Stuttgarter Kunstmuseum ein Heimspiel und ein kleiner Triumph. Ebenso wie ihr Auftritt bei der Eröffnung der New Yorker Taro-Ausstellung. Doch wer sie nach den aufregendsten Momenten mit Gerda Taro fragt, bekommt eine andere Antwort: "Das war die Entdeckung des mexikanischen Koffers." 3000 spanische Negative von Taro und Capa waren 2007 auf einem mexikanischen Dachboden aufgetaucht, und Schaber tauchte noch tiefer hinein in das Leben der Frau, die von den Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg "die kleine Blonde" genannt wurde. Der Koffer war eine Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit und Material für eine Erweiterung ihrer Biografie. Sie erschien 2013.

Die Biografin tauchte immer tiefer hinein in das Leben der anderen

Und noch etwas hat Gerda Taro mit Irme Schaber gemacht. Sie hat ihr neue Recherchefelder eröffnet. Die Frau mit der unstillbaren Neugierde hat sich mit zeitgenössischer Fotografie beschäftigt, mit Exilfotografie oder mit Arbeiterfotografie der Region. Schnell stellte sie fest, dass das öffentliche Interesse weit geringer war als an der ersten Kriegsfotografin und ihrer aufregenden Liebesgeschichte mit Capa. Gerda Taro, die lange Jahre aus dem kollektiven Gedächtnis gerutscht war, wurde 1937, am Tag ihres 27. Geburtstags, begraben und von Zehntausenden auf dem Weg zum Friedhof Père Lachaise begleitet. Pablo Neruda führte den Trauerzug an, ihr Grab schmückt ein Grabmal von Alberto Giacometti. Da haben es weniger glamouröse Leben schwer.

Doch Schaber hat es gelernt, die Freundin geschickt zu instrumentalisieren. Und sie hat akzeptiert, dass die kleine Blonde sie immer wieder einholt. Im Moment arbeitet Irme Schaber fieberhaft an einer Konzeption zu Werner Graeff, Presse- und Propagandachef der Werkbundausstellung, Bildhauer, Grafiker, Maler und – natürlich – Fotograf. Doch in diesem Jahr jährt sich auch der Spanische Bürgerkrieg zum 80. Mal. Und auch dazu ist die Expertin immer wieder gefragt.

Irme Schaber könnte gut davon leben, wenn sie ihre intime Bekanntschaft mit Gerda Taro geschäftsmäßiger betreiben würde. Doch Schaber hat noch so viel Neues, Unbearbeitetes, Spannendes im Kopf. Die vielen Zettel in den Büchern schreien nach Aufmerksamkeit. "Du bist 60 Jahre alt, wann willst du das alles machen?", fragte sie neulich ihr Mann. Sie lacht. Sie weiß, dass sie sich gerne zu viel Arbeit aufhalst. Doch eins hat die Biografin in den 25 Jahren, die ihr Gerda Taro nun inzwischen dazwischenfunkt, gelernt: Die Frau, der sie das Laufen beigebracht hat, läuft immer. 


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2 Kommentare verfügbar

  • Zaininger
    am 09.09.2016
    Antworten
    "Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch..."
    Ob auf Usedom mit dem Wahlzettel oder in Leipzig mit dem Teerpinsel. Liebe Irme: Damit werden die nicht noch einmal durchkommen: No passaran!
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