Auch die SPD nicht?
Offenbar nicht. Bei der SPD gab es immer mindestens zwei Flügel. Einen, der in verkehrspolitischen Fragen eher oldschool ist, und einen, der ökologisch orientiert ist. Aber wer jetzt am Schluss wie agiert hat, das entzieht sich meiner Kenntnis. Es wurde ja bekanntlich hinter gut verschlossenen Türen verhandelt.
Offenbar haben die Grünen schlecht verhandelt.
Möglicherweise sind viele zu selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Grünen neben Umwelt und Klimaschutz auch das Verkehrsressort bekommen würden. Vielleicht hat es unerwartete Wendungen und Konflikte gegeben. Denn finale Verhandlungsrunden haben stets eine eigene Dynamik und es kommt immer auch darauf an, was die anderen beiden Parteien einem zu geben bereit sind.
Dass es mit den Verhandlungen für die Grünen nicht so gut läuft, konnte man ahnen. Sie haben in der "Süddeutschen Zeitung" ein Interview gegeben, erschienen am 8. November, in dem Sie Ihre Unzufriedenheit recht deutlich ausgedrückt haben. Unter anderem sagten Sie da: "Wenn wir beim Klimaschutz nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen."
Das Interview habe ich ja außerhalb der Verhandlungsgruppe und voller Sorge gegeben, weil mir alle, mit denen ich gesprochen habe, berichtet haben, dass die FDP viel blockiert, und dass im Verkehrsbereich eine Menge Fragen im Konflikt stehen. Ich habe meinen Freundinnen und Freunden geraten: Ihr könnt so nicht weitermachen, ihr könnt nicht wichtige grüne Forderungen aufgeben und dann sagen, das war schwierig zu verhandeln. Ihr müsst irgendwann die zentralen Streitpunkte benennen, sonst kann es unsere Basis und die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen, wenn etwas gar nicht geht und ihr schmerzhafte Kompromisse machen müsst. Dieser Sorge wollte ich Ausdruck verleihen und damit nochmal aufzeigen, wie wichtig die Verkehrswende für den Klimaschutz ist. Das Verhandlungsteam war zum Schweigen verpflichtet, ich nicht.
War das abgesprochen mit der grünen Parteispitze?
Sie war informiert, dass ich ein Interview gegeben habe. Ich habe übrigens auch nicht mit Neuwahlen gedroht, wie teilweise geschrieben wurde, das kann und will ich gar nicht. Ich habe nur gesagt, man müsse aufpassen, dass man am Ende nicht bei Neuwahlen landet, wenn jetzt keine Lösungen gefunden werden. Außerdem hat mich gestört, dass die FDP nach meinem Eindruck so getan hat, als könne sie bestimmen, wo’s langgeht. Und das geht nun mal nicht in dieser Dreier-Konstellation.
Hatte das Interview Auswirkungen auf die Verhandlungsführung?
Ich weiß nicht. Es wurde zumindest von sehr vielen Leuten gelesen und kommentiert, bis hin zum SPD-Parteivorsitzenden.
Dann schauen wir uns den Koalitionsvertrag doch mal konkret an: In den gut sechs Seiten zum Verkehr findet sich nirgends das Wort Verkehrswende, es ist höchstens von einer Antriebswende, also E-Auto statt Verbrenner, die Rede. Nichts Konkretes zu neuen Mobilitätskonzepten, nichts zu Verkehrsvermeidung, kein Hinweis, dass beispielsweise keine neuen Straßen mehr gebaut werden sollen.
Das stimmt. Aber nicht alles ist schlecht. Wenn man beispielsweise die Präambel des Textes vergleicht mit der Präambel des Verkehrsteils im grün-schwarzen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, stellt man fest: Bei uns steht ein klares Bekenntnis des Landes zu einer neuen nachhaltigen Mobilität und zur Verkehrswende, im Ampel-Koalitionsvertrag ist das etwas versteckt in Wendungen wie "Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen". Das deutet in Richtung Verkehrswende.
Aber das Wort wird vermieden.
Ja, das wird vermieden. Es fehlt ein konsistentes Leitbild für den Aufbruch. Ich hätte zudem erwartet, dass man klar beschreibt, was die großen Probleme und Herausforderungen im Verkehrssektor sind. Also zum Beispiel, dass gerade in diesem Bereich die Treibhausgasemissionen seit 30 Jahren trotz technischem Fortschritt nicht zurückgehen, dass es zu viele Unfälle gibt, dass wir zu viele Staus und in den Städten zu viele Autos haben, die sich gegenseitig im Weg stehen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Und dass deswegen eine Verkehrswende überfällig ist, die zwei Elemente hat: Antriebswende und Mobilitätswende. Beim Antrieb bedeutet das, raus aus der fossilen Verbrennung. Und Mobilitätswende heißt: eine andere Mischung der Verkehrsmittel, also mehr ÖPNV, mehr Bahnverkehr, mehr Fußverkehr, mehr Radverkehr, mehr Verkehrsvermeidung, eine andere Nutzung des Autos, Car-Sharing, Ride-Pooling und so weiter. Diese Philosophie geht dem Text des Koalitionsvertrags ab. Sie taucht aber in Bruchstücken auf.
Inwiefern?
Es gibt ein klares Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr. Auch, dass wir ihn massiv ausbauen wollen, dass man die Bahn massiv ausbauen, die Fahrgastzahlen verdoppeln will – das sind auch unsere Ziele in Baden-Württemberg, übrigens auch die der Verkehrsministerkonferenz.
Ein Erfolg?
Ja, es steht allerdings nicht konkret drin, wie viel Geld jetzt zusätzlich in die Schiene geht, aber immerhin ein Bekenntnis, dass zukünftig mehr in die Schiene investiert werden soll als in die Straße. Das ist ein Paradigmenwechsel.
19 Kommentare verfügbar
Jupp
am 06.12.2021In über 10 Jahren wurden 8(!) Kilometer Radschnellweg gebaut. Und darauf ist dieser Minister so stolz, dass er extra zur Eröffnung angereist ist. Natürlich wie immer dan ein Bildle mit Fahrradhelm. Diesen trägt er wahrscheinlich…