Immerhin soll der Ausbau des Schienennetzes Vorrang vor der Straße bekommen und der Erhalt von Straßen wichtiger als der Neubau werden. Dafür soll ein "Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040 auf den Weg" gebracht werden. Ein Ende des Ausbaus von Autobahnen und Bundesstraßen ist das aber noch lange nicht. Und jeder neue Verkehrsweg erzeugt bekanntlich neuen Verkehr. Wir brauchen aber sehr viel weniger statt weiter wachsendem Lkw- und Pkw-Verkehr, um der Klimakrise zu begegnen. Es besteht zudem das Risiko, dass auch ein Großteil der versprochenen Mittel für die Schiene wieder in neue betonlastige Großprojekte mit fragwürdiger Klimabilanz investiert wird, die momentan im Zuge des Deutschlandtakts geplant werden – beispielsweise die Neubaustrecken von Bielefeld nach Hannover oder von Würzburg nach Nürnberg. Notwendig wäre stattdessen vor allem die Umsetzung vieler kleiner kapazitätserweiternder Maßnahmen im Schienennetz sowie Ausbauprojekte, womit letztlich sogar ein robusterer Taktfahrplan umgesetzt werden könnte.
Der Bahnkompromiss ist keine Lösung
Ein großer Streitpunkt zwischen den Koalitionsparteien war die zukünftige Struktur der Bahn. Dabei ging es vor allem um die Frage einer Zerschlagung des bisherigen DB-Konzerns, den Grüne und FDP gerne in eine staatliche Netzgesellschaft und privatwirtschaftliche Transportbetriebe zerteilt hätten. Die SPD tritt hingegen für eine integrierte Bahn ein – mit Netz und Betrieb unter einem Dach. Auch hier ist das Ergebnis ein Kompromiss: Die Bahn-Infrastruktur soll zwar vom Rest des DB-Konzerns wirtschaftlich getrennt und gemeinwohlorientiert geführt werden, aber dennoch weiterhin innerhalb der DB bleiben. Der Streit könnte bei der Umsetzung wieder aufbrechen, denn die grundsätzlichen Visionen einer zukünftigen Bahn bleiben entgegengesetzt. Es fehlen zudem Aussagen zur zukünftigen Steuerung der DB, die nach wie vor profitorientiert agiert und stattdessen eigentlich dringend politische Ziele benötigt. Hier bleibt der neue Koalitionsvertrag sogar hinter dem alten der GroKo zurück – auch wenn das damals angekündigte neue Steuerungskonzept nie umgesetzt wurde. Und auch zu der überfälligen Abstoßung der internationalen Geschäfte, mit denen sich die DB in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl verzettelt als auch hoch verschuldet hat, findet man im Koalitionsvertrag erstaunlicherweise kein Wort.
Die Koalitionspartner bekennen sich hingegen klar zu einem liberalisierten Bahn-Markt: "Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt." Der liberalen Lehrmeinung zufolge sollte dieser Wettbewerb zu besserer Qualität und niedrigeren Preisen führen. Allerdings ist genau dieses Modell in Großbritannien gerade krachend gescheitert: Dort gründet man nach großen Reibungsverlusten zwischen den verschiedenen Bahngesellschaften und schlechter Qualität im Betrieb gerade "Great British Rail" als staatliche Bahngesellschaft wieder. Und auch in Deutschland sind die Erfahrungen mit der Qualität von Flixtrain als einzigem echten Wettbewerber im Fernverkehr bestenfalls durchwachsen. Zudem konzentriert sich die Konkurrenz auf wenige lukrative Strecken, durchgehende Tickets werden dadurch für viele Verbindungen unmöglich, und im Falle von Verspätungen und Ausfällen können Züge der DB und von Flixtrain nicht gegenseitig genutzt werden. Daher spricht vieles für eine integrierte, gemeinwohlorientierte Bahn nach Schweizer Vorbild anstatt immer mehr Wettbewerb, insbesondere im Sinne des zukünftigen Deutschlandtakts.
Kein Wort zu weniger Verkehr
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Bernd L.
am 02.12.2021