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Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21

Überraschung!

Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21: Überraschung!
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In der vergangenen Woche sorgte ein Bericht der britischen Wirtschaftszeitung "Financial Times" (FT) für Aufregung. Es geht um Vorwürfe von Korruption in großem Stil bei Stuttgart 21, um möglicherweise 600 Millionen Euro entstandenen Schaden. Die Bahn dementiert. Aber auch Verkehrsminister Winfried Hermann ist "nicht grundsätzlich" überrascht.

Die Überschrift des Artikels ist lang und nicht gerade reißerisch, doch sie dürfte für einige Wallungen bei der DB AG und beim Stuttgart-21-Projektbüro gesorgt haben: "Deutsche Bahn whistleblowers alleged fraud at Germany's biggest infrastructure project", titelte die Londoner "Financial Times" (FT) am vergangenen Donnerstag – "Whistleblower der Deutschen Bahn erheben Betrugsvorwurf gegen Deutschlands größtes Infrastrukturprojekt". Es soll, so der Vorwurf, zu Unregelmäßigkeiten und Missmanagement bei Auftragsvergaben im Mega-Projekt Stuttgart 21 gekommen sein. Leitende Angestellte sollen Firmengelder veruntreut  und überflüssige Arbeiten in Auftrag gegeben haben, möglicherweise sollen auch Schmiergelder geflossen sein. Dabei soll ein Schaden von 600 Millionen Euro entstanden sein. Es geht also um Korruption in großem Stil.

Zwei Mitarbeitende, ehemalige Ingenieure, einer davon seit 1997 bei der Bahn beschäftigt, hätten die interne Compliance-Abteilung mehrfach darauf hingewiesen. "Group audit needs to act quickly and decisively! Compliance needs to evaluate who is receiving personal gains from this behaviour”, zitiert die FT die Notiz eines Whistleblowers aus dem Juli 2016 – "Die Konzernrevision muss schnell und entschlossen handeln! Die Compliance-Abteilung muss beurteilen, wer durch dieses Verhalten persönliche Vorteile hat." Während die Untersuchungen dazu liefen, sei einer der Mitarbeitenden, seit 2013 bei der Bahn, gekündigt worden. Aus Angst vor Repressionen habe sich der zweite Hinweisgeber zurückgezogen, berichtet die Wirtschaftszeitung.

Aufgegriffen wurden die erheblichen Vorwürfe von diversen Medien, die Bahn indes antwortet durch ebendiese: Die Vorwürfe seien "völlig falsch" zitiert die "Stuttgarter Zeitung"  die Bahn. Das Unternehmen habe die Hinweise geprüft, "Rechtsverstöße wurden nicht festgestellt". Auch sei man nicht gegen die Mitarbeitenden vorgegangen, ein Urteil des Arbeitsgerichts in Stuttgart vom 1. Juli bestätige das, dort ging es um die Kündigung eines der beiden Whistleblower.

Bloß: Auch Kontext sind in anderem Zusammenhang eben solche Vorwürfe zu Ohren gekommen. Von massivem Missmanagement und daraus resultierender Geldverschwendung. Von Mitarbeitenden, die sich eben deshalb in der Vergangenheit an die Compliance-Abteilung der Bahn gewandt hätten, und denen in der Folge deutlich gemacht worden sei, dass solches Handeln unerwünscht sei. Die Quelle dieser Informationen betonte im Gespräch mit Kontext, dass sie nicht fassen könne, wie hier mit Steuergeldern umgegangen werde. Denn Stuttgart 21 ist ein komplett steuerfinanziertes Projekt. Es spricht also einiges dafür: "Völlig falsch" ist sie mitnichten, die Recherche des FT-Journalisten Olaf Storbeck – der übrigens 2020 gemeinsam mit seinem Kollegen Dan McCrum für Enthüllungen zum Wirecard-Skandal vom Branchenmagazin "Wirtschaftsjournalist" einen Sonderpreis für die "beste journalistische Leistung des Jahres" bekommen hat.

Auch der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann, den Kontext zum Interview getroffen hat, lässt durchblicken, die Vorwürfe seien durchaus ernst zu nehmen.  Korruption am Bau ist keine Seltenheit, also müsse man auch bei Stuttgart 21 "damit rechnen". "Sagen wir mal so, es hat mich konkret überrascht, aber nicht grundsätzlich", sagt Hermann. Konkret, das meint die 600 Millionen, die sind schon eine Hausnummer. Hermann sagt: "Die DB hat uns versichert, dass die Vorwürfe schon lange ausgeräumt seien. Wir haben die DB aufgefordert, dies aufzuklären und uns umfassend zu informieren." Die Bahn verspricht nun: "mit maximaler Transparenz" werde man "den berechtigten Stellen gegenüber die Ergebnisse der Untersuchungen mitteilen."
Da bleibt eigentlich nur: Lachen. Und, weil’s Spaß macht, die Google-Suchanfrage nach "Stuttgart 21" und "Transparenz". Kleine Auswahl: "Schluss mit Trickserei statt Transparenz bei Stuttgart 21" (Die Grünen, 2011, damals noch S 21-Gegner), "Steuerzahlerbund fordert mehr Transparenz bei S 21" (2016), "Stuttgart 21: Die Fakten wurden verschwiegen" (Die Zeit, 2017), "Immer noch nicht transparent: Wir verklagen Bahn zu Stuttgart21" (frag den Staat, 2020), "Brandschutz in Tunneln: S-21-Kritiker erzwingen mehr Transparenz" (StZ, 2021).

Transparenz? Da lacht der Bundesrechnungshof

Die Gegner des Großprojekts zeigen sich wenig überrascht. "Das passt!", lässt das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zu der FT-Veröffentlichung verlauten. Und dass der kolportierte Vorgang nicht der erste Korruptionsskandal in Zusammenhang mit S 21 sei. So hätte sich etwa bereits 2012 die projektkritische Gruppe "Juristen zu S 21" an die europäische Korruptionsbehörde OLAF gewandt, ihr Vorwurf: Mit falschen Angaben zur Kapazität des neuen Tiefbahnhofs seien für das Projekt rund 114 Millionen Euro EU-Fördermittel erschlichen worden. Konkret habe das Bundesverkehrsministerium im Jahr 2007 den Förderungsantrag mit der "doppelten Leistungsfähigkeit" des Durchgangsbahnhofs begründet, eine Behauptung, die selbst vehemente Projektbefürworter längst nicht mehr aufrechterhalten, während die Juristen gar auf einen Rückbau der Leistungsfähigkeit verwiesen. OLAF wurde allerdings nicht aktiv, mit der Begründung, "dass die Informationen nicht ausreichen, um eine Untersuchung einzuleiten."

Dass es um die Transparenz, besonders hinsichtlich der Kosten, bei Stuttgart 21 nicht gut steht, hat auch der Bundesrechnungshof (BRH) schon wiederholt bemängelt. 2019 hatte es die Behörde in einem Bericht als "erforderlich" bezeichnet, "Risiken, Termine, Kosten und Gesamtfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 sowie die Notwendigkeit der noch ausstehenden Projektteile neu zu bewerten." Dem Bundesverkehrsministerium attestierten die Prüfer damals eine "laissez-faire-Haltung", denn es wisse um Kostensteigerung, habe allerdings "offen gelassen, wie es den Auswirkungen der erkannten Risiken begegnen will". Ob sich dies unter einem FDP-Verkehrsminister Volker Wissing ändert?

 


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