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GDL-Chef Claus Weselsky

"Tricksen, täuschen, Taschen füllen"

GDL-Chef Claus Weselsky: "Tricksen, täuschen, Taschen füllen"
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Pöbeleien ist Claus Weselsky seit dem Bahnstreik von 2014 gewöhnt. Nun stehen dem streitbaren Gewerkschaftschef die nächsten bevor: denn just zur Reisezeit will die GDL für mehr Lohn streiken. Ein Gespräch über die Verhöhnung von Bahn-Beschäftigten und den Willen zum Arbeitskampf.

Herr Weselsky, die Urabstimmungsergebnisse liegen vor. Wie ist die Stimmung an der Basis der GDL, der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer?

Schon der hohe Rücklauf an Abstimmungsunterlagen, aber auch die deutlichen Signale aus der Belegschaft haben im Vorfeld eine hohe Zustimmung zum Arbeitskampf erwarten lassen. Das nun erzielte Ergebnis von 95 Prozent übertrifft unsere Erwartungen. Es bestätigt zugleich das herrschende Stimmungsbild unter den Eisenbahnern. Die direkt systemrelevanten Beschäftigten sind wütend und frustriert angesichts eines DB-Managements, das ihnen weder einen Inflationsausgleich noch eine Corona-Prämie zugesteht, während sich die Führungskräfte im Homeoffice weiterhin ungerührt die Taschen füllen. Sie haben im vergangenen Jahr 2021 51 Prozent ihrer Boni erhalten – trotz miserablem Finanzergebnis des Bahnkonzerns. Allein diese variablen Vergütungen zusätzlich zum ohnehin schon üppigen Fixgehalt übersteigen trotz der Halbierung immer noch das gesamte Jahresgehalt eines wertschöpfend tätigen Eisenbahners. Das ist unanständig, unsozial und eine Verhöhnung der Menschen, die während der Pandemie unter erschwerten Bedingungen tagtäglich den Kopf hingehalten haben. Gemessen an der Stimmung in der Belegschaft könnten wir schon lange im Streik sein und der Streik selbst könnte angesichts dieser Stimmungslage gar nicht lange genug dauern.

In den Medien heißt es immer wieder: Die Forderungen der GDL seien "unverhältnismäßig". Der Personalvorstand der DB, Martin Seiler, spricht gar von "rechtswidrigen Forderungen"; inhaltlich gebe es "Nullkommanull Grund zu streiken" (FAZ vom 9.8.2021). Dabei wird auf die Corona-Krise und den Einbruch bei den Fahrgästen verwiesen. Neuerdings werden auch die Hochwasserschäden der Deutschen Bahn ins Spiel gebracht. Woran orientiert sich die GDL bei ihren Forderungen?

Unsere Forderungen orientieren sich am Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. 1,4 Prozent Entgelterhöhung und 600 Euro Corona-Prämie 2021, 1,8 Prozent 2022 und das alles über eine Laufzeit von 28 Monaten sind maßvoll und gerechtfertigt. Die GDL lässt nicht zu, dass die systemrelevanten Eisenbahner mit einer Null- oder gar einer Minusrunde abgespeist werden. Außerdem gilt es, die kleinen Betriebsrenten zu schützen. Wir lassen sie uns nicht, wie der DB-Vorstand das fordert, als Volumen anrechnen. Die Zusage dieser Betriebsrente ist bei der Einstellung erfolgt und niemand hat das Recht, sie zu kürzen oder gar einzustellen.

Der Arbeitgeber Deutsche Bahn AG stellt sich als arm wie eine Kirchenmaus dar. Es gäbe hier keine Ressourcen zur Befriedigung der GDL-Forderungen.

Das ist nur eine weitere Schutzbehauptung, mit der die DB vom eigenen Versagen ablenken will. Die DB hat ihre Bilanz 2020 mit einem Minus von 5,7 Milliarden Euro nach Steuern abgeschlossen, der Umsatz sank gegenüber dem Vorjahr um mehr als zehn Prozent auf 39,9 Milliarden Euro. Sie behauptet, das Minus sei eine unausweichliche Folge der Corona-Pandemie, weil deutlich weniger Fahrgäste mit der Bahn unterwegs gewesen seien. Doch tatsächlich ist der größte Teil der Misere hausgemacht.

Die wahre Ursache für die fehlenden Milliarden sind Leuchtturmprojekte in Deutschland wie Stuttgart 21, weltweite Einkaufstouren, mit denen sich der DB-Vorstand schon oft verzockt hat, wie die milliardenschwere Übernahme des Bahnkonzerns Arriva sowie ein grotesk aufgeblähter Verwaltungsapparat. Die Abenteuerspielplätze auf der ganzen Welt, in den Geschäftsberichten versteckt unter dem Oberbegriff "Beteiligung/Sonstiges", erzeugten allein in der Bilanz 2020 einen finanziellen Verlust von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Schon mit einem Bruchteil dieser Summe könnte man den Mitarbeitern das zukommen lassen, was ihnen nach Verdienst gebührt. Im Übrigen ist der Eigentümer Bund immer dann großzügig, wenn es um die Finanzierung dieser Abenteuerspielplätze geht – und dabei noch derart großzügig und einseitig allein die DB AG begünstigend, dass er damit immer wieder aufs Neue eine Intervention seitens Brüssels provoziert.

Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere – erfolgreiche – Arbeitskämpfe der GDL. Derjenige von 2007/2008 hat nach Aussage des damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn auch dazu beigetragen, dass der Bahnbörsengang erfreulicherweise geplatzt ist. Welche Bedeutung haben diese vorausgegangenen Kämpfe für den aktuellen GDL-Arbeitskampf?

Seit wir unsere ersten eigenständigen Tarifverträge mit der DB im März 2008 abgeschlossen haben, hat sich so gut wie nichts geändert. Wir kämpfen stark, unbestechlich und erfolgreich für bessere Entgelt- und Arbeitsbedingungen unserer Kolleginnen und Kollegen. Dass unsere Mitglieder das Herz am rechten Fleck haben und solidarisch sind, das haben die Ergebnisse der Urabstimmung erneut gezeigt. Sie sind unser größtes Pfund, ohne sie läuft gar nichts. Auch dass die DB am liebsten allein mit ihrer braven Hausgewerkschaft die Tarifverträge aushandeln möchte, ist nicht neu. Hat diese sich doch immer mit niedrigeren Abschlüssen abspeisen lassen.

Was ist 2021 anders als beispielsweise 2014/2015?

Eine neue Waffe der DB ist das 2015 im Bundestag verabschiedete Tarifeinheitsgesetz (TEG), das die DB seit Anfang 2021 erstmals zur Anwendung bringt. Scheinheilig behauptet die DB, sie könne als gesetzestreuer Arbeitgeber gar nicht anders, als das Tarifeinheitsgesetz anzuwenden. Das ist reine Heuchelei. Natürlich erkennt die GDL das TEG und seine faktischen Auswirkungen an. Doch so tendenziös, wie der Arbeitgeber die Tarifeinheit gegen die GDL-Mitglieder richtet, ist deren Anwendung nicht rechtens. Unter bewusster Falschauslegung der TEG-Regelungen will sie die einzig kritische Gewerkschaft im Eisenbahnmarkt vernichten. Das mutwillige und sachfalsche Herunterrechnen der GDL-Betriebe im DB-Konzern auf 16 gegenüber 55 EVG-geführten Betrieben ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs.

Mitte Juli brachte die Deutsche Bahn AG neu das Angebot ins Spiel, eine Absprache wie 2015 sei möglich, bei der das Tarifeinheitsgesetz keine Anwendung findet. Auch der Bundesverkehrsminister, Andreas Scheuer, äußerte am 8. August in der "Welt am Sonntag": "Gerade jetzt brauchen wir ein Miteinander". Ist das realistisch?

Auch das läuft unter der Überschrift "Tricksen, täuschen, Taschen füllen". Bereits im Februar 2021 haben wir mit DB-Personalvorstand Martin Seiler die Frage einer trilateralen Vereinbarung ausgelotet. Die EVG hatte gleich abgewunken. Trotzdem haben wir uns am 25. Februar über mehrere Stunden die Bedingungen angehört, die uns die DB als Tarifvertragspartei gestellt hat. Anschließend haben wir Herrn Seiler eine klare Absage erteilt, denn ein Verzicht auf die Gestaltung der Arbeitszeitbedingungen für das Zugpersonal und eine vertraglich fixierte Abhängigkeit von der Zustimmung der EVG und seitens der DB AG ist gleichzusetzen mit der Abgabe unserer Tarifautonomie am Garderobenhaken. Also war die Scheinofferte im Juli 2021 nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Dem Lügenbaron geht es in erster Linie darum, in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von uns zu erzeugen, was ihm allerdings immer schlechter gelingt.

Wir haben schriftlich mitgeteilt, dass die TEG-Frage nicht Gegenstand der Tarifauseinandersetzung ist. Hier geht es um mehr Einkommen und den Schutz der Betriebsrente. Erst nachdem wir den Tarifkonflikt erfolgreich bewältigt haben und der Kompromiss mit der DB in neuen Tarifverträgen für alle systemrelevanten Berufe verankert wurde, ist der Zeitpunkt für eine echte Tarifkollision gemäß TEG gekommen. Erst dann macht es Sinn, nochmals auszuloten, ob trilateral – also in Form einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber DB, der EVG und uns – überhaupt etwas geht. Bis dahin haben wir hoffentlich auch eine gerichtsfeste Form der Mehrheitsfeststellung in den einzelnen Betrieben. Dann wird sich zeigen, wer in welchen der insgesamt 174 Betriebe im Eisenbahnsystem des Bahnkonzerns in Deutschland die größere Anzahl an Mitgliedern hat. Dabei zählen nur Fakten, keine Wunschvorstellungen der EVG oder der DB.

Die GDL kündigte Anfang 2021 an, bei der Gewinnung von Mitgliedern sich nicht mehr nur auf die Bereiche Lokführer und das übrige fahrende Personal wie Zugbegleiter und Gastrobeschäftigte zu beschränken. Was sind die Gründe für diese Neuorientierung – und welche Ergebnisse gibt es dabei bisher?

Schon lange wollen auch Mitarbeiter in den Werkstätten und den Stellwerken Mitglied bei uns werden, obwohl wir bis Herbst letzten Jahres gesagt hatten, dass wir für sie keine Tarifverträge schließen können. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für eine Erweiterung unseres Organisationsbereichs, denn das direkte Personal will sich nicht länger mit Almosen abspeisen lassen, während sich die Führungskräfte die Taschen vollstopfen. Und die 3.000 Neumitglieder, die seit dem vergangenen Jahr zur GDL kamen, sind dafür die beste Bestätigung. Wenn die DB eben nur mit einer Gewerkschaft im Betrieb den Tarifvertrag schließen will, dann sollte das schon die GDL sein.


Das Interview wurde geführt für die Streikzeitung. Diese (achtseitige) Zeitung in Solidarität mit dem GDL-Streik geht am 16. August in Druck und wird dann der taz beiliegen.
 

Bahnstreik '21: Ein Kommentar

Von Winfried Wolf

Entgegen den Aussagen der DB-AG-Chefs Richard Lutz, Martin Seiler und Ronald Pofalla fordert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) exakt das, was im Frühjahr 2021 im Verdi-Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung für das Den-Kopf-Hinhalten in der Pandemie (600 Euro Sondervergütung). Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft.

Die Deutsche Bahn AG will in ihrem Bereich erstmals in Deutschland das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Dieses wurde nicht ganz zufällig im Frühjahr 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen – am Ende des letzten großen GDL-Bahnstreiks. Das TEG läuft darauf hinaus, dass den sogenannten kleinen – und oft kämpferischen – Spartengewerkschaften (wie GDL, Marburger Bund, Cockpit) der Spielraum massiv verkleinert, ja sogar ihre Existenz bedroht wird. In einem "Betrieb" soll nach dem TEG nur noch ein Tarifvertrag gültig sein – und dann derjenige der relativ größten Gewerkschaft. Wobei die Definition was ein "Betrieb" ist, ebenso offen ist wie die Feststellung, was denn die jeweils relativ größte Gewerkschaft in diesem Betrieb sei. Das öffnet Manipulationen Tür und Tor. Der im Frühjahr 2015 vereinbarte GDL-Tarifvertrag beinhaltete, dass für die Laufzeit dieses Vertrags das TEG keine Gültigkeit hat. Anfang 2021 kündigte der Bahnkonzern an, ab sofort das TEG anzuwenden. Das wiederum bewirkte, dass die GDL inzwischen in allen Bereichen der "Produktion" – also auch bei Stellwerkern, in den Werkstätten, auf den Bahnhöfen – um Mitglieder wirbt.

Der Streik findet wenige Wochen vor der Bundestagswahl statt. Er richtet sich formal gegen den Konzern Deutsche Bahn AG. Doch Eigentümer dieses Konzerns ist der Bund, den wiederum die Bundesregierung, gestellt von CDU/CSU und SPD, vertritt. Der Dachverband der GDL ist der Deutsche Beamtenbund (dbb), der als CDU-nah gilt. Weselsky selbst ist CDU-Mitglied. Allein diese Konstellationen verdeutlichen, wie politisch dieser Streik faktisch ist, auch wenn es bei ihm um einigermaßen schlichte soziale Forderungen geht.

Hinzu kommt: Die Bahn müsste im Kontext einer ernsthaften Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Dennoch muten die DB AG, also die Bundesregierung, gerade den hier Beschäftigten einen erheblichen Reallohnabbau zu. Und wenn der Bahn-Eigentümer Bund bei den Bahnbeschäftigten knausert, dann hat er dort die Spendierhosen an, wo es um verkehrspolitisch zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder um größenwahnsinnige Engagements im Ausland geht. Dass die GDL auch diese Aspekte der verkehrten Verkehrspolitik thematisiert, macht den Streik zusätzlich zum Politikum.


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7 Kommentare verfügbar

  • Andrea K.
    am 15.08.2021
    Antworten
    So ist das in der Politik: Wenn die Argumente ausgehen, dann versucht man es über persönliche Angriffe. Ich bin immer wieder überrascht, dass es Menschen wie Herrn Weselsky gibt, die das mehr als einmal aushalten.
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