Satire darf alles. Da steht einer und schaut aus wie ein Depp, weil die Zugbegleitermütze bis auf die Ohren rutschen muss, und brüllt Hitler imitierend: "Wir wollen eine Lokführerweltgewerkschaft, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat." Natürlich tobt das Publikum vor Begeisterung; wer zu Oliver Welkes "heute-show" geht, ist konditioniert auf Brüllen, Lachen und Applaus. Aber nicht nur die Freitagabend-Spaßvögel machen Lokführer und Piloten platt. Fakten und Maßstäbe spielen insgesamt keine große Rolle mehr.
Denn wo außerhalb der Gewerkschaften, bei den direkt Betroffenen oder in einzelnen Wortmeldungen von Betriebsräten wird noch oberhalb des Stammtischniveaus über die Arbeitswelt diskutiert? Über Tarifrecht, -autonomie und -bindung, die Zersplitterung von Unternehmen in Stamm- und Leihbelegschaft, über die Verbindlichkeit von Entgeltverträgen? Nicht einmal zur Hauptsendezeit werden Abschlüsse richtig erklärt: Fünf Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung klingt gut, bedeutet aber bei einer Laufzeit von 24 Monaten nur 2,5 Prozent. Nein, das ist kein Thema für Liebhaber und die wenigen linken Wirtschaftsprofessoren.
Mit den neuen Bildungsplänen will Baden-Württemberg auch das Fach "Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung" einführen. Über die Verankerung der sexuellen Vielfalt wird seit vielen Monaten heftig debattiert, die Geschichte der Arbeiterbewegung verkommt zur Fußnote. Im seit 2004 gelten Bildungsplan für alle Realschulen im Land finden sich Worte wie Streik gar nicht und Gewerkschaften ein einziges Mal unter der Überschrift "Wesensmerkmale von Revolutionen". Verdi-Landeschefin Leni Breymaier versucht zu verhindern, dass der Unterricht "auf Teufel komm raus marktkonform gestaltet wird". Schon bisher seien die Materialen für die Behandlung einschlägiger Themen im Unterricht an den heimischen Schulen von Südwest-Metall und der Bertelsmann-Stiftung geliefert worden. "Was da drin vorkommt und nicht vorkommt", so die Gewerkschafterin, "können sich alle vorstellen."
Und wie passt die viel gerühmte wirtschaftliche Stärke Baden-Württembergs zur Streikgeschichte? Vor allem in der Welt jener, die – allen voran Talkmasterin Anne Will – am besten noch die Nummern der für sie relevanten ausfallenden Flüge und Züge rechtzeitig für die persönliche Reiseplanung aufs Smartphone gesimst bekommen wollen?
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karunkel
am 05.11.2014