Ja, wir Journalisten sind Besserwisser. Zuweilen auch Maulhelden. Kein Thema, zu dem uns nichts einfiele: Globalisierung, demografischer Wandel samt seinen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft, die Krise einzelner Branchen, des VfB nicht zu vergessen. Journalisten sind stets zur Stelle mit Patentrezepten, darin geübt, anderen den Spiegel vorzuhalten. Nur in eigener Sache tun wir uns schwer, wie der seit Monaten sich hinziehende Tarifkonflikt der Printmedien zeigt.
Vordergründig geht es seit Sommer 2013 um Geld und soziale Besitzstände. Tatsächlich aber steht nicht weniger als das Berufsbild der Journalisten auf dem Spiel. Damit auch die Qualität ihrer Arbeit, also ihrer Produkte. Und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Sehen sich die Verleger doch durch rückläufige Werbeeinnahmen und bröckelnde Auflagen dazu legitimiert, mit einem "Tarifwerk Zukunft" ebenjene Zukunft für ihre angestellten und freien Mitarbeiter in den Redaktionen zu verbauen und das gemeinsam zu verantwortende Produkt in seiner Substanz zu gefährden.
Die Zukunft der Verleger ist ein Kahlschlag für die Journalisten
Zähneknirschend registrieren wir Journalisten, dass die Verleger (die ansonsten nur ausnahmsweise mit einer Zunge sprechen) unsere beiden Verbände DJV und dju/Verdi mit diesem Begriff sauber in die Defensive befördert haben. Der Kahlschlag quer durch beide Tarifwerke (Mantel und Gehalt) würde weiteren Einschnitten Tür und Tor öffnen, gestandenen Redakteuren bis zur Rente ein deutlich sechsstelliges Minus zumuten und zudem qualifizierten Nachwuchs abschrecken. Die Zahl der Billiglöhner im Status von Pauschalisten in tariflosen Tochterfirmen würde weiter zunehmen – ein jederzeit verfügbares Druckmittel gegenüber den Stammbelegschaften. "Tarifwerk Zumutung" keilten unsere Verbandsvertreter zurück.
Die Liste der Grausamkeiten ist lang. So wollen die Verleger freie Hand für regionale Abweichungen vom Flächentarif, natürlich nach unten, für Kürzungen von Weihnachts- und Urlaubsgeld bei Beschäftigten mit krankheitsbedingten Fehlzeiten, und sie wehren sich vehement gegen die überfällige Einbeziehung der Online-Journalisten in den Tarif. Darüber geriet die Forderung von DJV (6,0) und dju/Verdi (5,5 Prozent) für einen deutlich über der Inflationsrate liegenden Gehaltsaufschlag ins Hintertreffen. Mit der Parole "Wir sind die Guten" und der Begründung "Gutes Geld und gute Bedingungen für gute Arbeit" versuchen Journalisten und Fotografen, spät genug, gegenzuhalten.
Erst jetzt, in der achten Verhandlungsrunde und nach mehreren Streiktagen mit nennenswerter Beteiligung in Baden-Württemberg, signalisierten die Unterhändler der Verlage Bereitschaft, über die Forderungen der Journalisten überhaupt zu reden. Die wollen sich nicht länger hinhalten lassen. Vor der nächsten Verhandlungsrunde (26. März) drängen vor allem die Belegschaften im Südwesten auf eine härtere Gangart, also Streiks über mehrere Tage. Auch eine Urabstimmung oder Mitgliederbefragung wird von der Basis gefordert, was insbesondere der DJV-Verbandsspitze im Wissen um eine deutlich geringere Mobilisierung nördlich der Mainlinie Schweißperlen auf die Stirn treibt.
StZ und StN: Wie unabhängig sind die beiden Blätter noch?
Der Umbau ganzer Verlagshäuser wie etwa bei Springer in Hamburg und Berlin, die ungewisse Zukunft von Traditionstiteln wie der "Frankfurter Rundschau" oder der "Abendzeitung" in München, Gebietsabsprachen zwischen Verlagshäusern, Kooperationen ehemals konkurrierender Blätter wie jetzt in Stuttgart oder Köln über die Köpfe der Redaktionen hinweg sowie die stets präsente Keule betriebsbedingter Kündigungen wecken allenthalben Zukunftsängste. Zielsetzung hier wie dort: Arbeitsplatzabbau um buchstäblich jeden Preis, der rasch substanzgefährdende Züge annimmt.
Pikant an dem jüngst verfügten Rückzug der "Stuttgarter Nachrichten" aus der eigenständigen Regionalberichterstattung und der Übernahme von Texten der Schwesterzeitung "Stuttgarter Zeitung": Diese Vermengung redaktioneller Inhalte steht im krassen Gegensatz zum Ausgang des Kartellverfahrens, in dem die Zeitungsgruppe Stuttgart einst die Genehmigung des gemeinsamen Anzeigenteils von StZ und StN erstritten hatte. Die StZ-Anzeigengemeinschaft war nach der Übernahme der StN 1974 durch die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) eingeführt worden, um der notleidenden Zweitzeitung das Überleben zu sichern. Die Wettbewerbshüter hatten letztinstanzlich verfügt, diese Zwangsbelegung sei nur statthaft, um den Fortbestand zweier redaktionell unabhängiger Tageszeitungen zu gewährleisten.
Geklagt gegen die auch bei der Werbewirtschaft nicht unumstrittene Wettbewerbsbeschränkung hatte seinerzeit der Rotenberg-Verlag der lokalen "Cannstatter Zeitung" und deren Herausgeber Otto Wolfgang Bechtle, zugleich Mehrheitsgesellschafter der "Eßlinger Zeitung". Nicht nur weil der streitbare Verleger OWB mittlerweile verstorben ist, wäre eine solche Konfrontation heute schwerlich vorstellbar. Die SWMH hält inzwischen ihrerseits Anteile an der EZ, bei der SWMH-Chef Rebmann daher über Sitz und Stimme im Gesellschafterkreis verfügt. Auf der Strecke bleibt bei derlei Verflechtungen der für den Erhalt publizistischer Vielfalt unerlässliche Wettbewerb.
Nun rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. In keiner Branche ist es um die Mitbestimmung der Beschäftigten so schlecht bestellt wie bei den Medien, deren Eigentümer auf das Privileg des Tendenzschutzes pochen. Betriebsräte in Verlagshäusern können über die Qualität des Kantinenessens oder des Toilettenpapiers befinden, die Ausrichtung einer Zeitung oder die Arbeitsbedingungen ihrer Redaktion (und damit deren Arbeitsergebnisse) bestimmen allein die Verleger. Oder deren Manager.
So hatten sich die Alliierten und die von ihnen mit dem Aufbau einer demokratischen Zeitungslandschaft beauftragten Presseoffiziere die Zukunft so wenig vorgestellt wie die Väter des Grundgesetzes. Erstere statteten politisch unbelastete Personen mit Lizenzen aus, und die verfassunggebende Versammlung sicherte über Artikel fünf des Grundgesetzes das Grundrecht der freien Meinungsäußerung als wichtigste Voraussetzung für eine freie Presse ab. Die Ausgestaltung der inneren Pressefreiheit, also das Zusammenwirken von Verlegern und Publizisten (und damit deren Mitbestimmung), sollte nachgeholt und über ein vom Bundestag zu verabschiedendes Presserechtsrahmengesetz geregelt werden.
Anläufe hierzu gab es immer wieder. Den letzten hatte sich Herta Däubler-Gmelin als Justizministerin vorgenommen. Ihr Entwurf freilich setzte im Kanzleramt Staub an. Der Kanzler der Bosse, Gerhard Schröder, der später Berater des größten Schweizer Verlags, Ringier, werden sollte, hatte Wichtigeres zu tun. Die Lobbyarbeit der Verleger tat ein Übriges.
8 Kommentare verfügbar
Bruno Bienzle
am 29.03.2014wie gern würd' ich dran glauben! Also hoffe ich vorerst mal. In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob wir Journalisten uns hinhalten und uns mit ein bisschen Kosmetik am "Tarifwerk Zumutung" abspeisen lassen. Zu lange waren wir auf Prozente und auf Besitzstand fixiert.…