KONTEXT:Wochenzeitung
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Erbärmliche Meute?

Erbärmliche Meute?
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Medienschelte ist en vogue. Oft zu Recht, häufig aber auch nicht. Meint Kontext-Gastautor Peter Henkel, der lange Jahre in dem Gewerbe gearbeitet hat. Dem ehemaligen FR-Journalisten und Buchautor missfällt, dass alles über einen Kamm geschoren wird.

Ein Gespenst geht um im Land – nicht erst seit gestern, nicht erst seit Christian Wulffs Freispruch. Seit Langem schon grassiert in bundesdeutschen Köpfen der unstillbare Drang, etablierten Journalismus zu schmähen als Hort ehrloser Wirklichkeitsverdreher. Medienbashing ist Volkssport.

Für die unzähligen Durchblicker, die auf geheimnisvolle Weise Wind davon bekommen haben, wie abscheulich es zugeht in unseren Redaktionsstuben, steht unverrückbar fest: Die Medien produzieren unentwegt und absichtlich Zerrbilder. Skandalisieren, hochjubeln, niederschreiben, verschweigen, zensieren, dabei hinten dem Verleger oder Intendanten reinkrabbeln und vorne mauscheln mit den irgendwie Mächtigen. Wer sich am Weiterverbreiten dieser Horrorvision vom journalistischen Alltag beteiligt, muss sich selbst in bildungsbürgerlichen Kreisen nicht gefasst machen auf Widerspruch. Stattdessen verständiges Nicken, zustimmendes Murmeln.

Besonders derb langen naturgemäß die Anonymi im Internet hin. Bei Spiegel online schwadronieren Foristen von "Hetzjagden", "erbärmlicher Meute", "elender Truppe" und "übereifrigen Schmierfinken" in dieser "Asphaltjournaille" und befinden kurzerhand, dass Journalisten der Wahrheitsgehalt ihrer Artikel komplett egal sei. Mit einem herzhaften "Ich glaube den Medien und ihren Stichwortgebern aus Politik und Wirtschaft ohnehin nichts mehr" bringt einer sein vermeintlich kritisches, tatsächlich aber eher vorurteilsbeladenes Weltbild auf den Punkt.

Ein anderer: "Für hohe Auflage ist euch Medien nichts heilig." In dieser Tonlage wird eine Debatte geführt, die gar keine ist; denn in dieser Atmosphäre haben die Medien schon lange keinen Anwalt mehr, der wenigstens gelegentlich Karl Schillers legendären Appell "Genossen, lasst die Tassen im Schrank!" abwandelt. Dabei wäre eine öffentlich wahrnehmbare, seriöse Beurteilung der Medienlandschaft wichtig – wegen der erheblichen Bedeutung, die der sogenannten vierten Gewalt in der sogenannten Mediendemokratie nun mal zukommt.

Stattdessen allenthalben ein mainstreamiges Eindreschen, nicht zuletzt von Leuten, die sich den Vorwurf mainstreamigen Denkens in anderen Zusammenhängen aufs Schärfste verbitten würden. Auch bei Kontext melden sich solche Kommentatoren zu Wort. Einer wollte neulich nur mehr ein "PR-Gelalle der sogenannten Qualitätsmedien" wahrnehmen können, ein Zweiter rühmte Todesanzeigen als einzige nennenswerte Attraktion hiesiger Zeitungen – "das restliche Blatt besteht aus nichtssagender Hofberichterstattung".

Womöglich diktiert der Verleger persönlich die Meinungsmache

Derart abstrusen Anwürfen leisten viele Medien oft genug selber Vorschub, auf unterschiedlichste Weise. Das fing schon vor einem halben Jahrhundert an mit dem unzählige Male zitierten Bonmot ausgerechnet des FAZ-Publizisten Paul Sethe, die Pressefreiheit sei "nicht als anderes als die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten". Dergleichen befeuert die schaurige Mär von den Lohnschreibern, denen morgens befohlen wird – womöglich vom Verleger persönlich –, was sie tagsüber absondern müssen an Sensations- und Meinungsmache.

Um es in aller Klarheit zu sagen: Ja, in Zeitungen und Sendungen begegnet uns jede Menge Blödsinn, es wird aufgebauscht und tabuisiert und trivialisiert, es gibt Moden, Konformismus und Käuflichkeit, es gibt Gefälligkeitsinterviews, dubiose Deals und immer porösere Grenzen zwischen wirtschaftlichen Interessen und journalistischer Aufgabe. Und nicht nur gefühlt nehmen sie zu, der Zynismus und das leere Geschwafel, die klippschulhafte Ignoranz oder der Drang, sich im Glanze irgendwelcher Promis zu sonnen. Und es gibt den – auch durch Personalabbau in der Tagespresse verursachten – Niveauverlust, der sich auf verschiedenste Weise ausdrückt: nachlassende Professionalität, immer mehr Agenturmeldungen, immer weniger eigene Recherche, nicht zuletzt sprachliche Schludrigkeiten in einem früher unvorstellbaren Ausmaß. 

Zum Schlimmsten gehört der Vorwurf der Rudelbildung und die unleugbare Tatsache, dass Medien auch ihn selber nähren. Wenn von halblinks bis rechts Choräle auf Schröders Agenda 2010 angestimmt werden, wenn "Zeit" oder "Welt" oder "Stuttgarter Nachrichten" unisono diesem infamen Begriff "Gutmensch" zu einer steilen gesellschaftlichen Karriere verhelfen, wenn sämtliche überregionalen Medien einen Bundespräsidenten mit einem investigativen Eifer jagen, den sie in anderen Zusammenhängen zuweilen schmerzlich vermissen lassen – dann stoßen so viel Herdentrieb und Einheitsbrei zu Recht auf Ablehnung.

Das alles ist höchst unerquicklich, und jedes Mal, wenn dergleichen zu besichtigen ist, ein Mal zu viel. Allerdings: Solche Verhaltensweisen und die ihnen zugrunde liegenden Untugenden haben die Medien wahrlich nicht exklusiv. Wie in deutschen Büros von Normalos getratscht und geschleimt, in Praxen geschummelt oder an Werkbänken gemobbt wird und wie in Chefetagen Opportunismus, Egoismus und Größenwahn gefrönt – man kann und man mag es sich nicht ausmalen. Das hat damit zu tun, dass da überall Menschen zugange sind, genau wie bei den Medien. Hat man aber schon mal gelesen oder gehört, dass die Ärzte als korrupt zu gelten hätten, die Schweißer als fremdenfeindlich, die Sekretärinnen als intrigant und die Manager als charakterlose Gesellen?

Womit Medienleute natürlich nicht aus dem Schneider sind. Fehler hören ja nicht auf, Fehler zu sein, bloß weil auch andere sie machen, und berufsmäßigen Öffentlichkeitsarbeitern kommt zweifellos eine erhöhte Verantwortung zu. Bei der so munter florierenden Verächtlichmachung der Medien geht es aber eben um weit mehr als Kritik an – tatsächlichen oder vermeintlichen – journalistischen Missgriffen und Unsitten. Sondern: um dieses hemmungslose Verallgemeinern und vor allem um die Unterstellung, es handle sich durchweg eben nicht um konkrete Fehlleistungen, sondern um ein branchentypisches Geschäftsmodell.

Die Wirklichkeit ist komplexer als eine bösartige Karikatur

Dies ist nun seinerseits ein Zerrbild, eine ziemlich bösartige Karikatur einer viel komplexeren Wirklichkeit. Es ist eben nicht eh alles eins und gleichermaßen nichtswürdig: Heribert Prantls Leitartikel in der "Süddeutschen", der hetzerische Aufmacher in "Bild", die Ukraine-Reportage in der FAZ, ein beflissener Deppendorf beim Merkel-Interview, Günter Jauchs Sonntagsrunden, die zigste neoliberale Titelgeschichte im "Spiegel" und Stefan Geigers preisgekrönter, im besten Sinne linker Essay über Freiheit und Gleichheit in der "Stuttgarter Zeitung", die geniale taz-Schlagzeile, der kritische Journalismus in TV-Magazinen wie "frontal 21" und "Monitor" oder die spießige Schlüssellochperspektive in der "Bunten".

Merke mithin: Ein Satz, der mit "Die Medien ..." anfängt, hat im Regelfall keinerlei Aussicht auf leidlich sinnvolle Fortsetzung. Vor allem aber: Einer zugegeben altmodischen Meinung zufolge benötigt eine These Hinweise, die sie stützen, und deshalb sollten sich bei verständiger Betrachtung dessen, was da täglich gedruckt und gesendet wird zwischen Flensburg und Friedrichshafen, massenhaft Indizien finden lassen für flächendeckende Verzerrungsabsichten, konzertierte Verschleierung oder permanentes Klappern der Schere im Kopf. Um eine lehrreiche Probe aufs Exempel zu machen, könnten sich Interessierte also etwa über eine x-beliebige Ausgabe jenes Presseorgans beugen, welches als ebenso belangloses wie willfähriges Provinzblatt zu schmähen in gewissen Kreisen in und um Baden-Württembergs Landeshauptstadt zum guten Ton gehört.

Zum Großen und Ganzen: Woher bezieht der geneigte Zeitgenosse eigentlich seine Kenntnisse von den Zeitläuften, über die er sich dann seine ebenso kritische wie fundierte Meinung bildet? Reist er denn selbst auf die Krim, zu einem Grünen-Parteitag oder nach Brüssel zur EU, hält er sich seine eigenen Informanten über Berliner Kabinettsitzungen und Hauptdarsteller, über Stefan Mappus und den Brandschutz im Fildertunnel? Oder sind es nicht doch ganz vorrangig die gescholtenen etablierten Medien, auf die er da angewiesen ist und auf die er sich beruft? Und wäre diesen Medien dann nicht fairerweise wenigstens diese Dienstleistung als bei allen Mängeln doch unverzichtbare Informationsquelle gutzuschreiben?

Ein Blick über den Tellerrand wäre hilfreich

Zu viel verlangt. Viel wärmender ist die generalisierende üble Nachrede, gern auch mit dem unausrottbaren Unsinn, es gehe in der heutigen Medienwelt ja nur noch um Auflage und Quote. Wäre das so, wären die Redaktionen schon längst noch viel ausgedünnter, als sie sind, wären aufwendige und kostspielige Reportagen, Magazine und Korrespondentenstellen längst allenthalben als überflüssiger Luxus gestrichen oder noch stärker zusammengekürzt worden. Im Übrigen ist auch hier ein Blick über den Tellerrand hilfreich: Wenn ernsthaft hiesige Medien als von irgendwelchen finsteren Mächten gelenkte beschrieben werden, welches Prädikat wäre dann angemessen beispielsweise für die große Mehrheit der russischen? Und ihnen pauschal Substanz und Niveau abzusprechen vermag nur, wer noch nie einen Blick beispielsweise in große französische Regionalblätter geworfen hat, in denen alltäglich das ganze politische Weltgeschehen auf eine einzige Seite passt.

 

Peter Henkel war von 1978 bis 2004 Korrespondent der "Frankfurter Rundschau". Sein letztes Buch ("Streit über Gott") hat er zusammen mit Norbert Blüm verfasst.


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19 Kommentare verfügbar

  • Franz M.
    am 09.04.2014
    Antworten
    Die "StgZ auf B..d-Niveau". Was ist daran nicht richtig? Die Boulevardisierung (oder so) ist doch deutlich zu sehen. Achsoooo: die Wortwahl. Jomei, an den Tatsachen ändert das nix. Die Bennenung ist halt anderst. Knicke, oder wie der heißt, wird immer noch hochgehalten... Das Kaisers neue Kleider.…
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