Ein anderer: "Für hohe Auflage ist euch Medien nichts heilig." In dieser Tonlage wird eine Debatte geführt, die gar keine ist; denn in dieser Atmosphäre haben die Medien schon lange keinen Anwalt mehr, der wenigstens gelegentlich Karl Schillers legendären Appell "Genossen, lasst die Tassen im Schrank!" abwandelt. Dabei wäre eine öffentlich wahrnehmbare, seriöse Beurteilung der Medienlandschaft wichtig – wegen der erheblichen Bedeutung, die der sogenannten vierten Gewalt in der sogenannten Mediendemokratie nun mal zukommt.
Stattdessen allenthalben ein mainstreamiges Eindreschen, nicht zuletzt von Leuten, die sich den Vorwurf mainstreamigen Denkens in anderen Zusammenhängen aufs Schärfste verbitten würden. Auch bei Kontext melden sich solche Kommentatoren zu Wort. Einer wollte neulich nur mehr ein "PR-Gelalle der sogenannten Qualitätsmedien" wahrnehmen können, ein Zweiter rühmte Todesanzeigen als einzige nennenswerte Attraktion hiesiger Zeitungen – "das restliche Blatt besteht aus nichtssagender Hofberichterstattung".
Womöglich diktiert der Verleger persönlich die Meinungsmache
Derart abstrusen Anwürfen leisten viele Medien oft genug selber Vorschub, auf unterschiedlichste Weise. Das fing schon vor einem halben Jahrhundert an mit dem unzählige Male zitierten Bonmot ausgerechnet des FAZ-Publizisten Paul Sethe, die Pressefreiheit sei "nicht als anderes als die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten". Dergleichen befeuert die schaurige Mär von den Lohnschreibern, denen morgens befohlen wird – womöglich vom Verleger persönlich –, was sie tagsüber absondern müssen an Sensations- und Meinungsmache.
Um es in aller Klarheit zu sagen: Ja, in Zeitungen und Sendungen begegnet uns jede Menge Blödsinn, es wird aufgebauscht und tabuisiert und trivialisiert, es gibt Moden, Konformismus und Käuflichkeit, es gibt Gefälligkeitsinterviews, dubiose Deals und immer porösere Grenzen zwischen wirtschaftlichen Interessen und journalistischer Aufgabe. Und nicht nur gefühlt nehmen sie zu, der Zynismus und das leere Geschwafel, die klippschulhafte Ignoranz oder der Drang, sich im Glanze irgendwelcher Promis zu sonnen. Und es gibt den – auch durch Personalabbau in der Tagespresse verursachten – Niveauverlust, der sich auf verschiedenste Weise ausdrückt: nachlassende Professionalität, immer mehr Agenturmeldungen, immer weniger eigene Recherche, nicht zuletzt sprachliche Schludrigkeiten in einem früher unvorstellbaren Ausmaß.
Zum Schlimmsten gehört der Vorwurf der Rudelbildung und die unleugbare Tatsache, dass Medien auch ihn selber nähren. Wenn von halblinks bis rechts Choräle auf Schröders Agenda 2010 angestimmt werden, wenn "Zeit" oder "Welt" oder "Stuttgarter Nachrichten" unisono diesem infamen Begriff "Gutmensch" zu einer steilen gesellschaftlichen Karriere verhelfen, wenn sämtliche überregionalen Medien einen Bundespräsidenten mit einem investigativen Eifer jagen, den sie in anderen Zusammenhängen zuweilen schmerzlich vermissen lassen – dann stoßen so viel Herdentrieb und Einheitsbrei zu Recht auf Ablehnung.
Das alles ist höchst unerquicklich, und jedes Mal, wenn dergleichen zu besichtigen ist, ein Mal zu viel. Allerdings: Solche Verhaltensweisen und die ihnen zugrunde liegenden Untugenden haben die Medien wahrlich nicht exklusiv. Wie in deutschen Büros von Normalos getratscht und geschleimt, in Praxen geschummelt oder an Werkbänken gemobbt wird und wie in Chefetagen Opportunismus, Egoismus und Größenwahn gefrönt – man kann und man mag es sich nicht ausmalen. Das hat damit zu tun, dass da überall Menschen zugange sind, genau wie bei den Medien. Hat man aber schon mal gelesen oder gehört, dass die Ärzte als korrupt zu gelten hätten, die Schweißer als fremdenfeindlich, die Sekretärinnen als intrigant und die Manager als charakterlose Gesellen?
Womit Medienleute natürlich nicht aus dem Schneider sind. Fehler hören ja nicht auf, Fehler zu sein, bloß weil auch andere sie machen, und berufsmäßigen Öffentlichkeitsarbeitern kommt zweifellos eine erhöhte Verantwortung zu. Bei der so munter florierenden Verächtlichmachung der Medien geht es aber eben um weit mehr als Kritik an – tatsächlichen oder vermeintlichen – journalistischen Missgriffen und Unsitten. Sondern: um dieses hemmungslose Verallgemeinern und vor allem um die Unterstellung, es handle sich durchweg eben nicht um konkrete Fehlleistungen, sondern um ein branchentypisches Geschäftsmodell.
Die Wirklichkeit ist komplexer als eine bösartige Karikatur
Dies ist nun seinerseits ein Zerrbild, eine ziemlich bösartige Karikatur einer viel komplexeren Wirklichkeit. Es ist eben nicht eh alles eins und gleichermaßen nichtswürdig: Heribert Prantls Leitartikel in der "Süddeutschen", der hetzerische Aufmacher in "Bild", die Ukraine-Reportage in der FAZ, ein beflissener Deppendorf beim Merkel-Interview, Günter Jauchs Sonntagsrunden, die zigste neoliberale Titelgeschichte im "Spiegel" und Stefan Geigers preisgekrönter, im besten Sinne linker Essay über Freiheit und Gleichheit in der "Stuttgarter Zeitung", die geniale taz-Schlagzeile, der kritische Journalismus in TV-Magazinen wie "frontal 21" und "Monitor" oder die spießige Schlüssellochperspektive in der "Bunten".
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Franz M.
am 09.04.2014