KONTEXT:Wochenzeitung
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Vom Glauben abgefallen

Vom Glauben abgefallen
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Wem heute noch glauben? Dem Fernsehen, dem Radio oder den Zeitungen? Die Berichterstattung über Stuttgart 21 ist ein Lehrstück über den Verlust der Glaubwürdigkeit von Medien – auch wenn die Bahn plötzlich klagt. Der Medienwissenschaftler Horst Pöttker erklärt im Kontext-Interview, warum das so ist.

Herr Pöttker, wie wichtig ist Glaubwürdigkeit für Journalismus?

Sie ist der entscheidende Faktor. Journalismus, professionell hergestellte Öffentlichkeit, lebt von der Glaubwürdigkeit, davon, dass Menschen dem vertrauen, was Journalisten berichten.

Aus was besteht Glaubwürdigkeit?

Wenn man das auf Qualitäten herunterbricht, dann gehört sicher Richtigkeit dazu. Es gehört vor allem auch dazu, dass man eine Qualität realisiert, für die ich kein gutes Wort habe. Man könnte das Vollständigkeit nennen, aber das erweckt die Vorstellung, als müsse die Zeitung die Dinge, über die sie berichtet, bis ins Detail darstellen. Das ist nicht gemeint. Man könnte das auch Ausgewogenheit, Vielfalt oder Relevanz nennen. Es muss alles Wichtige mitgeteilt werden.

Was relevant ist, ist doch eine Zuschreibung?

Ja, das ist das Problem. Ich meine etwas anderes. Ich meine eine Qualität, die etwas mit dem Verhältnis dessen, was berichtet wird, zur Wirklichkeit zu tun hat. Vielleicht könnte man diese Qualität Angemessenheit nennen. Wenn ein Sportreporter über ein Fußballspiel berichtet und er teilt nur die Tore der Heimmannschaft mit, und die kann er präzise schildern, das kann sich alles bis ins Detail so abgespielt haben, aber er würde die Tore des Gegners und das Gesamtergebnis nicht mitteilen, dann wäre das alles richtig, aber extrem unwahr, und dann würde diese Qualität, die mit dem Verhältnis des Berichteten zur Wirklichkeit zu tun hat, fehlen.

Glaubwürdigkeit ist also nicht nur eine Eigenschaft, die Rezipienten Medien zuschreiben?

Nicht nur. Heute wird im Zusammenhang mit Glaubwürdigkeit häufig behauptet, dass man eine Marke bilden müsse, der die Leute dann vertrauen. Wenn Sie eine Marke bilden, der die Leute vertrauen, und dann machen Sie so etwas wie die Hitler-Tagebücher, dann kehrt sich das Vertrauen um. Dann steht die Marke für nicht berechtigtes Vertrauen. Also kommen wir mit der Zuschreibung allein nicht aus, sondern es geht um mehr. Es geht eben auch um Richtigkeit und Angemessenheit.

Also ist Glaubwürdigkeit das Vertrauen in eine angemessene Darstellung der Wirklichkeit?

Nehmen wir das Beispiel Stuttgart 21. Wenn eine Zeitung nur über die Schokoladenseiten des Projekts berichtet, dann kann das ja alles richtig sein, aber wenn die Zeitung die problematischen Seiten weglässt, dann kann die zugeschriebene Glaubwürdigkeit der Zeitung schnell zusammenbrechen.

Erstaunlicherweise hat sich die "Stuttgarter Zeitung" jetzt eine Klage der Bahn eingefangen. Es gibt also auch Kritik im Blatt.

Wie schnell eine Zeitung durch den Eindruck des "fellow travellings" auch bei ihrer wohlgesonnenen Gefolgschaft problematische Erwartungen wecken kann, die sich dann gegen sie selbst richten, zeigt sich an dieser Unterlassungsklage gegen die Zeitung. Die hatte im September berichtet, dass sich die Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs um ein Jahr verzögern könnte. Wenn die Bahn nun dagegen gerichtlich vorgeht, wirkt das angesichts der Geringfügigkeit dieses Detailaspekts befremdlich und kann eigentlich nur damit erklärt werden, dass die Bahn von publizistischen Parteigängern anderes gewohnt ist.

Gibt es empirische Untersuchungen über die Glaubwürdigkeit des Journalismus?

Das wird seit den Sechziger-, Siebzigerjahren vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Medien gemacht. Gefragt wird: Für wie glaubwürdig halten Sie Fernsehen, Radio, Zeitungen, heute auch Online-Medien?

Und was kommt raus?

Interessanterweise ist, über Jahrzehnte gesehen, das Niveau der zugeschriebenen Glaubwürdigkeit gesunken. Immer noch ist das Fernsehen das Medium, das als glaubwürdigstes gilt, die Presse liegt noch immer am Schluss, aber auf viel niedrigerem Niveau. Das Verhältnis zwischen den Medien hat sich nicht verändert. Da sehen wir noch mal das Problem mit der zugeschriebenen Glaubwürdigkeit: Das Fernsehen wirkt glaubwürdiger, weil es mit Bildern arbeitet, die als authentisch gelten, dies aber nicht immer sind. Die Presse gilt als weniger glaubwürdig, weil sie ein schriftliches Medium ist, weil später berichtet wird, nicht in Echtzeit, da sieht man eher, dass die Berichterstattung etwas mit Selektion zu tun hat, mit Perspektiven, aus denen berichtet wird. Ob die Presse tatsächlich weniger glaubwürdig ist, bezweifele ich.

Gibt es Untersuchungen darüber, für wie glaubwürdig Regionalzeitungen gehalten werden?

Regionalzeitungen bilden traditionell das Rückgrat des Zeitungsmarkts und werden für glaubwürdiger gehalten als die Boulevardpresse. Regionalzeitungen können ihre Glaubwürdigkeit gefährden. Das Beispiel Stuttgart 21 ist ein gutes dafür, wie man seine Glaubwürdigkeit gefährdet, indem man einseitig berichtet. Und eben nicht vollständig und relevant, sondern nur die positiven Seiten darstellt.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der schwierigen Lage der Tageszeitungen und ihrer Glaubwürdigkeit?

Es sind ja von der Krise nicht alle Zeitungen in gleichem Maße betroffen. Wochenzeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" und die "Zeit" weniger als die Tageszeitungen. Ich glaube, dass die Glaubwürdigkeit mit der Frage zusammenhängt, wie ausführlich über Hintergründe berichtet wird. Klebt eine Zeitung an der Oberfläche der aktuellen Fakten, an dem, was heute Morgen im Bundestag passiert ist oder was in Ägypten passiert ist oder an der Bundesliga? Oder geht man darüber hinaus, berichtet auch über Hintergründe? Aber Sie wollten auf etwas anderes raus?

Ja.

Wahrscheinlich darauf, dass es ein Problem der Glaubwürdigkeit dann gibt, wenn der finanzielle Druck, unter dem die Verlage stehen, dazu führt, dass Zeitungen sich einseitig mit bestimmten Interessen gemein machen, weil sie sich davon ökonomische Vorteile versprechen. Auch das demoliert die Glaubwürdigkeit. Wenn man die Distanziertheit und die Qualitäten, von denen wir am Anfang sprachen, aufgibt, wenn also Glaubwürdigkeit nicht nur eine Zuschreibung ist, sondern auch etwas mit realer Stimmigkeit zu tun hat, dann kann man plötzlich große Lesergruppen haben, die enttäuscht sind, die sich in ihrer Zeitung nicht mehr wiederfinden, die kein Vertrauen mehr haben. Die Versuchung, sich mit Sonderinteressen wie dem Bau eines unterirdischen Bahnhofs gemein zu machen, ist in der Krise besonders groß. Passiert das, belastet das die Glaubwürdigkeit zusätzlich.

Bekommen viele Tageszeitungen Probleme mit der Glaubwürdigkeit, wird es irgendwann ...

... ein Problem der ganzen Presse – ja. Da entsteht aber auch eine Chance. Ich glaube, es sortiert sich im Moment. Hat das Publikum den Eindruck, dass das, was eine Zeitung macht, nicht mehr Journalismus ist, sondern PR oder Werbung, gelenkte Kommunikation, geht die Glaubwürdigkeit verloren und bietet denen, die das nicht machen, eine Chance. Ich vermute, dass auf Dauer das journalistische Gesamtprodukt kleiner wird, aber bei Schrumpfungsprozessen gibt es auch Sieger. Das sind die, die an der Unterscheidbarkeit festhalten von professioneller journalistischer Kommunikation und einer Kommunikation, die nicht professionell ist und sich nicht an der Öffentlichkeit orientiert, sondern an Partikularinteressen. Die einen werden für das Publikum irrelevant, den anderen glaubt man, und die werden bleiben.

Welche Leser reagieren auf den Verlust von Glaubwürdigkeit, die "Stuttgarter Zeitung" hat seit dem zweiten Quartal 2008 Zehntausende von Abonnenten verloren?

Den Fall der "Stuttgarter Zeitung" muss man ja auch im Kontext der politischen Veränderungen in Baden-Württemberg sehen. An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass sich Menschen in ihrem Wahl- und Abo-Verhalten ändern können. Die beiden Entwicklungen sind ineinander verschränkt. Wenn ein Prozess eine solche Dynamik bekommt, dass große Teile der Bevölkerung engagiert sind, dann trifft es breitere Schichten, dann reagieren viele und abonnieren nicht mehr. Da gibt es noch einen Aspekt.

Welchen?

Die Südwestdeutsche Medienholding und ihr Geschäftsführer Richard Rebmann reduzieren die Ökonomie der Zeitungen auf eine Ökonomie der Kosten, was dazu führt, dass man nur Kosten spart. Ursprünglich ging es in der Ökonomie immer um ein Nutzen-Kosten-Kalkül. Die Frage also: Welche Art von Tageszeitung brauchen die Menschen in Stuttgart? Und das hängt mit der Frage zusammen: Mit welcher Art von Tageszeitung kann ich publizistischen Nutzen schaffen und deshalb ein Geschäft machen? Diese Fragen werden nicht gestellt. Die Strategie, am alten Produkt festzuhalten, Kosten zu senken, Preise zu erhöhen, ohne daran zu denken, was die Leser brauchen, verspricht keinen Erfolg.

Kann eine Tageszeitung Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?

Dem "Stern" ist das nach den Hitler-Tagebüchern bis heute nur bedingt gelungen. Bei der "Stuttgarter Zeitung" ist der Qualitätsverlust nicht so offenkundig wie beim "Stern", aber es ist auch hier schwer, verlorene Glaubwürdigkeit wieder zurückzuholen.

Die "Stuttgarter Zeitung" hat ihre Position zu Stuttgart 21 nie revidiert.

Das ist ein entscheidender Punkt. Das halte ich für sehr problematisch, wenn man sich im Stile des Gesinnungsjournalismus auf immer und ewig mit einer programmatischen Position verbindet. Das heißt nicht, dass eine Zeitung keine Meinung zu Stuttgart 21 haben soll, natürlich gehört Meinung in eine Zeitung. Aber wenn es immer dieselbe Position ist, ist das problematisch. Man signalisiert dem Publikum: Hier geht es nicht darum, Öffentlichkeit herzustellen, Transparenz, sondern darum, bestimmte Positionen zu verstärken. Das ist nicht professionell, nicht glaubwürdig. Glaubwürdig wird Journalismus, wenn er die Welt so transparent macht, wie sie ist.

Also widersprüchlich?

Genau, in ihren Widersprüchen, in ihrer Vielfalt. Alle Positionen sollen in der Zeitung vorkommen, die Leser dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas untergejubelt wird. Mit Gesinnungsjournalismus macht man keine guten Geschäfte, wenn die "Stuttgarter Zeitung" nur eine Position darstellt, trifft sie nur die Leser, die diese Position teilen, die anderen nicht. Das wird auch ökonomisch zum Problem.

 

Horst Pöttker, Jahrgang 1944, hat Soziologie, Philologie, Philosophie und Mathematik in Hamburg, Zürich, Kiel und Basel studiert. Er war von 1985 bis 1996 verantwortlicher Redakteur der medienkritischen Zeitschrift "medium", von 1995 bis 2013 Professor für Journalistik der TU Dortmund und von 2004 bis 2011 Vorsitzender des Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle.


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5 Kommentare verfügbar

  • eraasch
    am 10.11.2013
    Antworten
    Schön, daß so nebenbei auch ans Licht kommt, welche Charakterköpfe im Stadtrat sitzen. Freude darüber, daß ein Redaktor vor Gericht kommt...Gott sei dank sind sie zusätzlich noch so feige und freuen sich nicht öffentlich. Ziehen in der Öffentlichkeit die schöne demokratische Maske auf.
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