Die wenigen Zuhörer im Saal 156 des Stuttgarter Landgerichts wissen bereits nach wenigen Worten des Vorsitzenden Richters, wer Sieger und Verlierer des Rechtsstreits ist: "Der 'Stuttgarter Zeitung' wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 250 000 Euro, hilfsweise unter Androhung von sechs Monaten Haft, vollstreckbar an den Geschäftsführern des Verlags, untersagt, künftig zu behaupten, dass ....", beginnt Richter Christoph Stefani am vergangenen Montag (4. November 2013) die Urteilsverkündung, die einen vorläufigen Schlusspunkt unter die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Kommunikationsbüro des Bahnprojekts Stuttgart 21 als Kläger und der wichtigsten Tageszeitung in Baden-Württemberg als Beklagte setzt. Die 11. Zivilkammer des Landgerichts folgte mit ihrem Urteil fast allen Unterlassungsanträgen der klagenden Seite. Das spiegelt sich auch in der Kostenfestsetzung wider: Der Verlag muss vier Fünftel, das Kommunikationsbüro ein Fünftel der Gerichtskosten tragen.
So darf die "Stuttgarter Zeitung" im Namen des Volkes künftig nicht mehr schreiben, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn in seiner Sitzung am 18. September über eine verspätete Inbetriebnahme von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm informiert wurde. Das Blatt hatte sich einen Tag vor der Sitzung in einem Anreißer auf Seite 1 sowie in einem ausführlichen Bericht im Lokalteil auf eine bahninterne Vorlage berufen, in der als Inbetriebnahmetermin das Jahr 2022 genannt werde. Öffentlich beteuerte die Bahn bislang stets, dass beide Projekte 2021 in Betrieb gehen sollen. Das Gericht untersagte der Zeitung, insgesamt vier Behauptungen aus dem Artikel zu wiederholen. Darunter beziehen sich zwei auf den Projektsprecher Wolfgang Dietrich. So etwa die Passage, wonach dem Bahn-Aufsichtsrat in der entsprechenden Sitzung Termine genannt wurden, die "Dietrich bisher beharrlich dementiert hat". Laut Urteil hat die Zeitung im Zusammenhang mit der Aufsichtsratssitzung unwahre Tatsachen behauptet, so die Kammer.
Tatsächlicher Fertigstellungstermin nicht entscheidend
"Es ging nicht um die Frage, wann Stuttgart 21 tatsächlich fertiggestellt wird. Gegenstand war die Frage, was dem Aufsichtsrat der Bahn berichtet wurde bezüglich der Fertigstellung des Tiefbahnhofs", erläuterte Richter Stefani den Urteilsspruch nach der Verkündung. Als Beweis diente der Kammer offenbar die entsprechende Sitzungsvorlage des Bahnvorstands, die die Anwälte des Kommunikationsbüros während der Verhandlung einbrachten. "Das Projekt geht von einer Inbetriebnahme 2021 aus" heißt es gleich am Anfang der Präsentation, die auch Kontext vorliegt.
Aber auch der Artikelautor beruft sich auf interne Bahndokumente, wie die Münchner Anwälte des Verlags vor Gericht betonten. In den Unterlagen, die ausrissweise als Faksimilie abgedruckt wurden, ist für Stuttgart 21 die "Inbetriebnahme 12/2022" vermerkt. Offenbar handelt es sich bei den Dokumenten um Unterlagen der DB Netz AG, der Infrastrukturtochter der Bahn. Darauf lassen Begrifflichkeiten in dem Papier schließen. Nach Auffassung der Kammer wurden diese den Bahn-Aufsehern während der September-Sitzung aber nicht vorgelegt.
Zeitung prüft, Berufung einzulegen
Nach dem Urteil prüft die "Stuttgarter Zeitung" nach eigenen Angaben, Berufung einzulegen – sowohl aus inhaltlichen Gründen als auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. "Inhaltlich kann die Redaktion nachweisen, dass der Aufsichtsrat der Bahn mindestens seit März 2013 damit rechnen muss, dass Stuttgart 21 erst 2022 fertig wird. Bereits in einer Beschlussvorlage für die Aufsichtsratssitzung am 5. März 2013, in welcher der Aufsichtsrat den Gesamtwertumfang des Projektes auf 5,987 Milliarden zuzüglich Risikopuffer erhöht hat, steht auf Seite 9: 'Als Inbetriebnahmetermin für Stuttgart 21 und Neubaustrecke ist dabei Dezember 2022 unterstellt'", heißt es in einer Pressemitteilung, die knapp sechs Stunden nach der Urteilsverkündung vom StZ-Newsroom aus versendet wurde.
Grundsätzlich sorge sich die "Stuttgarter Zeitung" nach dem Urteil auch um die Pressefreiheit, heißt es in der Mitteilung. "Aus Sicht der Redaktion hat die 'Stuttgarter Zeitung' ihre journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt. Sie hat einerseits aus einer schriftlichen Unterlage der Bahn zitiert und den Lesern gegenüber mit dem Abdruck eines Faksimile sogar dokumentiert, dass sie im Besitz des Bahn-Papiers ist. Andererseits hat die 'Stuttgarter Zeitung' das Kommunikationsbüro von Stuttgart 21 mit dem Inhalt dieses Papiers konfrontiert, um eine Stellungnahme gebeten und die Kernaussagen daraus abgedruckt", heißt es weiter in der Pressemitteilung, die in "eigener Sache" auch auf dem <link http: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.stz-intern-in-eigener-sache.32704f64-3151-4ddf-8abd-41ca329f442c.html _blank>Online-Portal der StZ veröffentlicht wurde.
Anders als die "Stuttgarter Zeitung" wollte sich Projektsprecher Wolfgang Dietrich nicht zum Urteilsspruch äußern. Das S-21-Kommuniktionsbüro war auf Kontext-Anfrage zu keiner Stellungnahme bereit.
Das Urteil des Landgerichts schließt demnach nicht aus, dass sowohl die "Stuttgarter Zeitung" als auch andere Medien künftig über etwaige Terminverzögerungen beim Bau des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs berichten. "Nur eben nicht im Zusammenhang mit der Aufsichtsratssitzung am 18. September diesen Jahres", betont der Sprecher des Landgerichts. Tatsächlich enthält die entsprechende Sitzungsvorlage, auf die sich das Urteil stützt, einen Vermerk, dass bei Stuttgart 21 weiterhin Terminrisiken bestehen. Es wird explizit sogar erwähnt, dass der Tiefbahnhof erst im Jahr 2022 fertig wird – mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent.
10 Kommentare verfügbar
Monika Henriette Imhoff
am 12.11.2013der Artikel von Susanne Stiefel, ist wirklich aufschlussreich. Ich habe selbst, nach einem Gespräch mit einem Journalisten der SZ festgestellt, dass, trotz meiner Kritik zu der Poltik der Regierung und meiner Aussage, wie viel Arbeit da, nach der Bundestagswahl, bevorstünde, gelesen, wie…