Journalismus kann jeder. Und weil das so einfach wie schick ist, macht der modebewusste Nachwuchs in Medien. Kommunikationsberufe sind an Universitäten und Hochschulen der Hype – massenhaft Theorie und Seminarismus, kaum Praxis. Auch die allseits präsente Bloggerszene bestätigt den Eindruck, dass Laien dank Internet und Onlinemedien die Welt der Presse erobern. Freilich, die Ansprüche sinken mit den Hobby-Medienmachern rapide. So gerät die – selbst ernannte – "vierte Gewalt" in die Hände von Dilettanten und Amateuren. Verliert der beruflich ausgeübte Journalismus nun sein Existenzrecht? Ist das Pressegewerbe mangels extrem nachlassendem Interesse der Internet-Gemeinde gar dem Tod geweiht, wie es Kontext-Autor Thomas Rothschild in seinem Beitrag <link http: www.kontextwochenzeitung.de newsartikel das-ende-der-zeitung _blank>"Das Ende der Zeitung" befürchtet?
Der Beruf "Journalist/in" ist gesetzlich nicht geschützt. Amtlich gibt es ihn nicht, er kann also nicht aussterben. Jeder Leserbriefschreiber, Blogger oder Spion darf sich "Journalist" nennen. Und jeder "Profi" hält sich für wichtig genug, dem Publikum seine wahrhafte Medienwirklichkeit zu servieren. Doch realistisch betrachtet inszenieren vorwiegend andere – Einflussreiche und Großverleger –, was in der öffentlichen Wahrnehmung wahr und wirklich zu sein hat. Diese Macht wirkt extrem stark auf die professionelle Presse ein. Hier dominieren die allseits medial präsenten Spitzen von Parteien, Regierungen, Behörden, Verbänden, Konzernen, Vereinen, VIPs ... täglich mehr. Sie beherrschen die Tagesordnung an Themen ("Agenda-Politik") samt deren ideologischer Richtung und Gewichtung fürs öffentliche Meinungsbild in Wort, Schrift und Bild. Schleichend perfektioniert wird die allgegenwärtige Gehirnwäsche subtil in Form eines stalinistischen Star- und Personenkults. "Es menschelt bei denen da oben", lautet die genehme gängige Botschaft. Sie weicht das Gehirn auf und lenkt vom Kern der Sache ab.
Diese gefährliche Zuspitzung des Medienangebots auf "Großkopfete" und ihr vorgekautes Agenda-Menü heißt angloamerikanisch treffend "Mainstream". Das passende Wort für die Einspeisung von Themen und Meldungen lautet "Spoonfeeding". Dieser ehrliche Begriff benennt die (Über-)Fütterung der Medien durch Inszenierungen wie Pressemitteilungen und -konferenzen, durch Messen, Kongresse, Partys, Events, Geschenke und so weiter. Besonders infam, weil undurchsichtig, sind die Manipulationen betuchter Gutmenschen. Ungehemmt drängen sich die Mächtigen mit (Medien-)Preisen, Auszeichnungen, Studien, Stiftungen oder Sponsoring ungefragt ins öffentliche Bewusstsein. Aufwendig lancieren sie Berufsjournalisten – und diese lassen sich (gerne) lancieren. Rund 75 Prozent des gesamten journalistischen Angebots steuert diese Elite mittels ihrer medialen Machtinstrumente. Sie inszenieren "objektive" Nachrichten ebenso wie ganze Presseberichte und Reportagen oder Schwerpunkt- und Diskussionsthemen – auf allen Kanälen, serviert in gefällig-modernistischer Herrensprache. Diese institutionalisierte Meinungsmache kann jeder Leser, Hörer, Zuschauer – Fachwort: Rezipient – anhand der Quellen wie der omnipräsenten Protagonisten (Teilnehmer) in der Presse selbst überprüfen.
Online- und Blogger-Angebote deklassieren unkritische Medien
Sind das die Knackpunkte, die das Ende der Zeitung markieren? Tatsächlich mutiert dieser mut- und konzeptlose Journalismus der Anbiederung, der gern die "vierte Gewalt" wäre, zum zahnlosen Tiger. Wehr- und ideenlos treibt die Profipresse in eine tödliche Ecke. Jäh sinkende Auflagen belegen, dass der Bedarf nach karrierefixierter Parteilichkeit sinkt. Die Presse bekommt nun die Rechnung präsentiert. Zahlreiche Online- und Blogger-Angebote mit ihren frischen Ideen und tabulosen, unkonventionellen Themenansätzen deklassieren unkritische Medien zu geschniegelten Hofschranzen. Doch Vorsicht! Totgesagte leben gottlob länger.
Der gewaltige Auflageneinbruch täuscht darüber hinweg, dass gediegener Journalismus zu jeder Zeit sehr gefragt sein wird. An der Flut an subjektiven Meinungen, Storys, Gerüchten und Werbung aus dem Internet würde die Informationsgesellschaft verkümmern. Indes, Orientierung vermitteln nur journalistisch sauber recherchierte, verifizierte und aufbereitete Beiträge. Das Handwerk muss wieder offen und ehrlich angewandt werden. Nur spürbar bessere Qualität stoppt den Abwärtstrend, der die Zahl der Presseleute und Pressehäuser stark dezimiert. Dabei ist ersichtlich, dass sich der Markt für Massenmedien spaltet: Das wachstumshungrige Big Business einerseits bedient mit viel Show und Personenkult eine bedingt journalistische Nachfrage. Andererseits befriedigt ein kleinerer Teil der Presse das Bedürfnis nach zuverlässiger, glaubwürdiger journalistischer Information. Vergleichbare Entwicklungen gibt es in anderen Branchen, die schwere Krisen überlebt haben. Obwohl kaum mehr Schuhmacher und Schneider existieren, ist die Nachfrage nach Schuhen und Textilien ungebrochen, auch handwerkliche Machart. Und Chronometer, Radios und Fernseher werden heute mehr als je zuvor produziert und gehandelt – darunter sehr teure. Ähnlich schält sich ein hochwertiges Premiumsegment für journalistische Produkte heraus.
Ein Blick zurück zu den Wurzeln der Presse gibt ebenfalls Hoffnung. Denn das journalistische Publizieren begann nach Erfindung des Buchdrucks als eine Art Laien-Journalismus. Genau betrachtet sind die Blogger von heute die Nachfolger jener betuchten Adeligen und gebildeten Klerikalen, deren Abhandlungen einst die Welt der Printmedien mit erschufen. Die Angehörigen dieser Elite waren vermögend, gesellschaftlich eingebunden, und sie konnten lesen und schreiben. Ihre anfangs dünnen Blättchen enthielten überwiegend standesgemäße (Erlebnis-)Berichte. Später kamen Reise- und Kulturteile und wohlfeile Traktate über die bessere Gesellschaft hinzu. Allerlei Hofschranzerei und Liebedienerei entsprachen der zeitgenössischen Unterwürfigkeit "Objektivität", also Distanz, Neutralität und Wahrheitstreue, war den meisten subjektiven Postillenschreibern fremd. Die Lust und der Stolz aufs Publizieren motivierten sie eher – nebst einer enormen Selbstbespiegelung.
Bürgerliche Publizisten richteten Redaktionen ein
Erst als Zeitungen immer breitere (bürgerliche) Schichten ansprachen und ein lukratives Geschäft wurden, wollten die Verleger auch über aktuelle Ereignisse und Hintergründe in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft berichten. Doch die erstarkte Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert mit der Bildung sozialkritischer Parteien – Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten – bereitete Probleme. Denn von den Inhalten und Aktionen der Opposition, gar von Streiks, Werksbesetzungen oder Revolten, wollten sich die Blätter distanzieren. Die bürgerlichen Publizisten richteten für ihre Berichterstatter Korrespondenzstellen und in den Verlagen journalistische Redaktionen ein. Alle hatten den Auftrag, vom Weltgeschehen "strikt neutral und sachlich" zu reportieren. Die eigene Meinung sollte stets getrennt von den Berichten durch Kommentare oder Glossen abgebildet sein. Aufgrund dieser unterschiedlichen (Darstellungs-)Formen der Artikel konnten die Leser – auch grafisch – klar zwischen Nachricht und Meinung (des Blattes oder Autors) unterscheiden. Zudem pochten die Verlagsherren angesichts von staatlicher Zensur und Zeitungsverbot darauf, dass sie sich von den nachrichtlichen Artikeln durch ihre eigene staatstragende Meinung distanzieren konnten. Die Redakteure waren gehalten, den Wahrheitsgehalt der Informationen und Themen durch sorgfältige Recherche strikt zu prüfen (verifizieren). So entstand im Zuge von Repression und Demokratiebewegung – verkürzt dargestellt – allmählich journalistisches Handwerk. Redaktionen als Filter und Texter von Nachrichten, Meldungen, Themen und Meinungen sind in der Geschichte der Presse also relativ junge Einrichtungen.
Diese redaktionelle Funktion geht Bloggern und Zwitscherern ab. Sie schreiben drauflos, was Notebook, PC, iPod und Internet hergeben. Berufsjournalismus hingegen ist weit mehr als bloßes Bloggen, Posten oder Simsen. Er muss Verantwortung tragen und glaubwürdig bleiben. Presseprofis dürfen nicht selbstgefällig Meinungen verkünden und wie mancher Feuilletonist luftig manieristische Pirouetten drehen. Sie müssen stattdessen auf ihre "Kunden" – Leser, Hörer, Zuschauer – zugehen. Berufsjournalisten hingegen müssen jede selbstverliebte Lyrik meiden und in einer 180-Grad-Kehrtwende sich dem Publikum als Dienstleister in verständlichem Ton offen zuwenden.
Die gebotene Transparenz geht verloren
Die Gegenwart indes ist ernüchternd. Leider sind die meisten Printmedien von den Ursprüngen des Handwerks weit entfernt – wie übrigens auch die Grafik. Wären Zeitungen Autos oder Flugzeuge, niemand würde ihnen trauen. Alles purzelt wild durcheinander, verschwallt schleierhaft im Nebel. Die einzelnen Darstellungsformen verwischen zwischen Fakten und Meinungen. In dieser üblen Mixtur geht die gebotene Transparenz zwischen Wahrheit, Wirklichkeit, Lüge und Intrige verloren. Am Ende steht das Feature. Denn schlaue Journalisten, die sich keine Zeit zum gründlichen Arbeiten nehmen, "featuren" flott hinweg, was das Zeug hält. Das Feature zeichnet sich durch einen barocken, zeitraubenden Anfang (Einstieg) in den Beitrag aus, wogegen der harte Kern des Themas später wie beiläufig verraten wird. Inhaltlich klebt das Feature zäh an der Oberfläche (wie auch Filmberichte). Analytische Tiefe ist der schwammig-literarischen Präsentation wesensfremd, ebenso stringente Erzähllogik. Hohles Gefeature der "Edelfedern" lässt die Leser am Ende im Stich. Das Feature, das sehr in seiner inhaltsleeren Oberflächlichkeit die heutige Zeit des bedenkenlosen Alles-Wegsparens widerspiegelt, zehrt an den Medien wie ein Krebsgeschwür. Selbst simple Nachrichten oder Hintergrundartikel folgen zunehmend dieser Mode. Deshalb räume ich dieser Anti-Stilform breiten Raum der Kritik ein.
Kommen zum verhunzten Berichtsstil noch eine sperrige Bürokratensprache, quälende Schachtelsätze und sinnlose Fremdworte, dann ist die Abkehr des Publikums von den Medien nur konsequent. Indes, die Rettung der Journalistenzunft ist – wie gesagt – mit der Rückkehr zu strikt angewandten handwerklichen Regeln möglich. Dieser neue Qualitätsjournalismus wird Teil eines zukunftsfähigen Medienkonzepts sein, das sich klar vom flüchtigen Fast-Food-Journalismus im Internet abhebt. Denn Printmedien verlieren das Rennen gegen sämtliche elektronische Medien um die neueste Nachricht oder das sensationellste Bild vom Start weg. Zeitungen und Zeitschriften sollten also ein Stück weit entschleunigen. Stattdessen müssen sie sich auf die unschlagbaren Stärken des gedruckten Worts besinnen: die Kraft der tiefgründigen Analyse wie der sachlichen Argumentation. Und alle Texte sind beliebig nachlesbar – gedruckt oder online. Bei diesem Wandel haben regionale, lokale und themenspezifische Medien besonders gute Chancen. Sie füllen eine Nische aus, welche die mächtigen Online- und Internetanbieter kaum besetzen werden. Die Lokalen/Regionalen bedienen ein tiefes Informationsbedürfnis: Was am Ort oder in der nächsten Umgebung passiert, interessiert stets viele Leser brennend – heute und in Zukunft.
Journalismus für eine aufgeklärte Medienwelt
Printmedien, die diese Chance erkennen und ihre Stärken fokussieren, werden überleben. Und bei Neugründungen bietet das Internet sogar Vorteile. Hier sind die Kosten und damit die Eintrittsbarrieren ins Pressegeschäft relativ niedrig. Generell gilt: Im Mittelpunkt der neuen redaktionellen Konzepte müssen neben dem gekonnten Handwerk der Mut, das (journalistische) Gespür und der Wille stehen, aus eigenem Antrieb brisante, bewegende Ereignisse aufzugreifen. Die Hintergründe gilt es gründlich und fair zu recherchieren und analytisch-fundiert zu veröffentlichen – auch bei unpopulären Themen. Das Publikum darf gnadenlose Aufklärung statt Blockade mit konzept- und ideenlosem Parteibuch-Journalismus erwarten – von privaten Medien wie von öffentlich-rechtlichen Anstalten.
Journalismus für alle – dieses Ziel einer demokratisch-aufgeklärten Medienwelt – liegt fern. Er fordert die Journalisten wie ihr Publikum heraus. Sie sollten an dieser Zukunft arbeiten und den Blick zurück zu den Anfängen nicht scheuen. Großes Kino, doch im Gegensatz zu Hollywoodfilmen ist kein Happy End in Sicht. Die Kritik am Pressealltag verhallt. So etwa die bemängelte Intransparenz bei der Auswahl und Präsentation der Themen. Auch die gedankenlos gebrauchte Sprache ist ein heikles Kapitel. Die Texte wimmeln von Formulierungen mit dem Allerweltswort "man". Statt süffig genießbaren Texten wird bürokratische Anonymität serviert. Und zunehmend werden Sätze mit dem frech alle vereinnahmenden Wort "wir" gebaut – wie überhaupt die grassierende Suggestion der (Herren-)Sprache ein brennendes Problem ist. Ebenso umstritten ist die Legitimation der Gebührensender bei sinkendem journalistischem Gehalt. Defizite ohne Ende.
Gut, dass meine Nestbeschmutzung des Pressegewerbes erst angefangen hat. Sie wird in loser Folge in Kontext fortgesetzt werden müssen.
Ulrich Viehöver, Jahrgang 1947, gelernter Verlagsbuchhändler und Diplom-Betriebswirt, arbeitete als Redakteur für die "Stuttgarter Nachrichten", "Wirtschaftswoche" und "Focus". Seit 2000 selbstständiger Wirtschaftsjournalist in Stuttgart, Redaktionsberater und Buchautor.
5 Kommentare verfügbar
Florian Popp
am 06.05.2013Tatsächlich läuft es häufig auf Stückwerk hinaus und das, was man gemeinhin "Medienkompetenz" schimpft - was finde ich auf Blogs, was in der Presse, wie setze ich es zusammen und in Relation. Anstrengendes Tagwerk, nur um einigermaßen informiert zu bleiben. (Denn richtig gute Tages-…