"Wir sind vertragstreu", tönt Thomas Dörflinger, im sicheren Wissen, dass es darum überhaupt nicht geht. Und der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im baden-württembergischen Landtag benutzt ein verräterisches Verb. Im Koalitionsvertrag sei festgehalten, "dass die Umsetzung des beschleunigten Nordzulaufs, der P-Option und des langen Gäubahntunnels angegangen werden soll". Tatsächlich steht darin zu lesen, die Koalitionspartner "befürworten die Umsetzung der im Zuge des Deutschland-Taktes vorgesehenen Bundesprojekte des beschleunigten Nordzulaufs, der P-Option und des Ausbaus der Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen mit dem langen Gäubahntunnel zum Flughafen". Nicht weniger, vor allem aber auch nicht mehr. Eine Spitze gegen den Verkehrsminister und seine Partei jedoch lohnt die gezielte Ungenauigkeit allemal, weil die CDU wie seit Jahrzehnten beim Thema Tiefbahnhof inhaltlich wenig drauf hat.
Der Anlass für die Spitze war ein Interview, das Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) den StZN gegeben hatte, betitelt mit "Der Gäubahntunnel allein ist nicht die Lösung". Hermann beschrieb darin vor der nächsten Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises am 2. Mai die wichtigsten Probleme, mit denen die Deutsche Bahn zu kämpfen hat. Vor allem diejenigen, die nach der Eröffnung des unterirdischen Milliardenbauwerks lauern. "Wir werden eine schrittweise Inbetriebnahme erleben", prognostiziert der Grüne, "die große Wendlinger Kurve wird nicht fertig und die Gäubahn wird in der City von Sommer 2025 an etwa zehn Jahre unterbrochen sein statt wie geplant sechs Monate." Und weiter, für alle KennerInnen des Projekts oder jene, die es noch werden wollen: "Der erste Teil des Bahnhofs am Flughafen wird vermutlich erst 2027 in Betrieb gehen. Das liegt am neuerdings geplanten Tunnel zwischen Böblingen und dem Flughafen, dem Pfaffensteigtunnel." Deswegen würden die Züge von der Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm 2025 noch am Flughafen "vorbeirauschen". Wenn außerdem im Zuge des geplanten Nordzulaufs des Hauptbahnhofes die zusätzliche Strecke der P-Option – die Einfädelung eines dritten und vierten Gleises – realisiert wird, "kann im Cannstatter Tunnel nur eine von zwei Röhren betrieben werden", so Hermann weiter. Und damit nicht genug: "Beim Abstellbahnhof Untertürkheim weiß man nicht, ob er beziehungsweise die Zufahrt rechtzeitig fertig wird. Die Bahn hat noch nicht erklärt, wo stattdessen die Züge abgestellt werden."
Das saß. So sehr, dass sich Thorsten Krenz, der DB-Konzernbevollmächtigte für das Land Baden-Württemberg, unverzüglich zur Replik aufgefordert sah. Nicht an Hermann natürlich, auch nicht im Austausch von Fakten, Zahlen und Daten, schon gar nicht im Geißler'schen Sinne Strittiges so erklärend, dass es das Publikum nachvollziehen kann. Sondern in einem Brief an alle Mitglieder des Lenkungskreises. Und in gewohnter Manier strotzt das Schreiben von waghalsigen Behauptungen, Halbwahrheiten und absichtlichen Verkürzungen.
Hoppla: Bahn kopiert Argument der S-21-Gegner
Das Sahnehäubchen in Krenz' Argumentation stellt dabei wohl seine Replik auf Hermanns Äußerung von den bis 2027 am Flughafen "vorbeirauschenden" Zügen dar: Diese will der Bahn-Beauftrage so nicht stehen lassen, denn die Bahn strebe "eine Teilinbetriebnahme an, bei der der Flughafen vom Stuttgarter Hauptbahnhof aus über eine Stichanbindung in acht Minuten zu erreichen wäre". Damit führt Krenz die bestehende S-21-Planung ad absurdum: Denn genau dies ist die langjährige Argumentation der S-21-GegnerInnen, die eine Express-S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Flughafen empfehlen für jene, die besonders schnell in die Luft wollen – weswegen man eine Führung der Neubaustrecke von Ulm über den Flughafen gar nicht brauche. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass einst in den 1990ern nicht die Bahn, sondern die Politik auf diese Streckenführung drängte (Kontext berichtete).
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Nico
am 16.04.2022