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Stuttgart 21


Murks bleibt Murks

Stuttgart 21: 
Murks bleibt Murks
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In einem Interview thematisiert Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann bekannte Schwachstellen von Stuttgart 21. Und die Deutsche Bahn, sekundiert von der Union, recycelt ihre altbekannte Strategie: Verschleierung ist die beste Verteidigung.

"Wir sind vertragstreu", tönt Thomas Dörflinger, im sicheren Wissen, dass es darum überhaupt nicht geht. Und der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im baden-württembergischen Landtag benutzt ein verräterisches Verb. Im Koalitionsvertrag sei festgehalten, "dass die Umsetzung des beschleunigten Nordzulaufs, der P-Option und des langen Gäubahntunnels angegangen werden soll". Tatsächlich steht darin zu lesen, die Koalitionspartner "befürworten die Umsetzung der im Zuge des Deutschland-Taktes vorgesehenen Bundesprojekte des beschleunigten Nordzulaufs, der P-Option und des Ausbaus der Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen mit dem langen Gäubahntunnel zum Flughafen". Nicht weniger, vor allem aber auch nicht mehr. Eine Spitze gegen den Verkehrsminister und seine Partei jedoch lohnt die gezielte Ungenauigkeit allemal, weil die CDU wie seit Jahrzehnten beim Thema Tiefbahnhof inhaltlich wenig drauf hat.

Der Anlass für die Spitze war ein Interview, das Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) den StZN gegeben hatte, betitelt mit "Der Gäubahntunnel allein ist nicht die Lösung". Hermann beschrieb darin vor der nächsten Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises am 2. Mai die wichtigsten Probleme, mit denen die Deutsche Bahn zu kämpfen hat. Vor allem diejenigen, die nach der Eröffnung des unterirdischen Milliardenbauwerks lauern. "Wir werden eine schrittweise Inbetriebnahme erleben", prognostiziert der Grüne, "die große Wendlinger Kurve wird nicht fertig und die Gäubahn wird in der City von Sommer 2025 an etwa zehn Jahre unterbrochen sein statt wie geplant sechs Monate." Und weiter, für alle KennerInnen des Projekts oder jene, die es noch werden wollen: "Der erste Teil des Bahnhofs am Flughafen wird vermutlich erst 2027 in Betrieb gehen. Das liegt am neuerdings geplanten Tunnel zwischen Böblingen und dem Flughafen, dem Pfaffensteigtunnel." Deswegen würden die Züge von der Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm 2025 noch am Flughafen "vorbeirauschen". Wenn außerdem im Zuge des geplanten Nordzulaufs des Hauptbahnhofes die zusätzliche Strecke der P-Option – die Einfädelung eines dritten und vierten Gleises – realisiert wird, "kann im Cannstatter Tunnel nur eine von zwei Röhren betrieben werden", so Hermann weiter. Und damit nicht genug: "Beim Abstellbahnhof Untertürkheim weiß man nicht, ob er beziehungsweise die Zufahrt rechtzeitig fertig wird. Die Bahn hat noch nicht erklärt, wo stattdessen die Züge abgestellt werden."


Das saß. So sehr, dass sich Thorsten Krenz, der DB-Konzernbevollmächtigte für das Land Baden-Württemberg, unverzüglich zur Replik aufgefordert sah. Nicht an Hermann natürlich, auch nicht im Austausch von Fakten, Zahlen und Daten, schon gar nicht im Geißler'schen Sinne Strittiges so erklärend, dass es das Publikum nachvollziehen kann. Sondern in einem Brief an alle Mitglieder des Lenkungskreises. Und in gewohnter Manier strotzt das Schreiben von waghalsigen Behauptungen, Halbwahrheiten und absichtlichen Verkürzungen.

Hoppla: Bahn kopiert Argument der S-21-Gegner

Das Sahnehäubchen in Krenz' Argumentation stellt dabei wohl seine Replik auf Hermanns Äußerung von den bis 2027 am Flughafen "vorbeirauschenden" Zügen dar: Diese will der Bahn-Beauftrage so nicht stehen lassen, denn die Bahn strebe "eine Teilinbetriebnahme an, bei der der Flughafen vom Stuttgarter Hauptbahnhof aus über eine Stichanbindung in acht Minuten zu erreichen wäre". Damit führt Krenz die bestehende S-21-Planung ad absurdum: Denn genau dies ist die langjährige Argumentation der S-21-GegnerInnen, die eine Express-S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Flughafen empfehlen für jene, die besonders schnell in die Luft wollen – weswegen man eine Führung der Neubaustrecke von Ulm über den Flughafen gar nicht brauche. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass einst in den 1990ern nicht die Bahn, sondern die Politik auf diese Streckenführung drängte (Kontext berichtete).


Ein Beispiel von vielen, wo die Bahn lieber vage bleibt, ist der Pfaffensteigtunnel, wie die früher als Gäubahntunnel bekannte Idee mittlerweile heißt. In einem "ersten Aufschlag" hatte die DB Ende März den Gemeinderat von Leinfelden-Echterdingen über das zusätzliche Vorhaben informiert. Thomas Türk, Chef der Stakeholdermanagement DB Projekt Stuttgart Ulm GmbH, beteuerte einmal mehr, dass "die Schiene attraktiver und leistungsfähiger" werden solle. Über interessante Details wie genaue Trassenführung, Erdaushub, Kosten oder Zeitplan schwieg er sich weitgehend aus.

Immerhin: Für den Pfaffensteigtunnel veranschlagt die Bahn eine reine Bauzeit von sechs Jahren. Denn der Tunnel – beziehungsweise jede seiner zwei Röhren – ist stattliche elf Kilometer lang und wird dann der längste Eisenbahntunnel in der ganzen Republik sein. Kein Wunder, dass der Verkehrsminister in besagtem Interview ziemlich anders rechnet und eine Fertigstellung "allerfrühestens in zehn Jahren" erwartet, aber auch 15 Jahre für möglich hält – denn "man sollte realistisch sein und aus der bisherigen Geschichte von Stuttgart 21 lernen".

Transparenz? Lieber nicht

Was für eine Steilvorlage für die Bahn, um den Stand der Dinge zum gerade Mal vorgeplanten neuen Bauwerk zu erläutern. Hatte der damalige Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer in der Schlichtung 2010 nicht versprochen, nie mehr hinter das damals erreichte Niveau von Transparenz in Sachen Planung zurückfallen zu wollen? Krenz könnte in seinem siebenseitigen Brief mit Fakten belegt dartun, warum der Grüne falsch liegt. Er kann oder will aber nicht. Stattdessen nennt er "die unterstellte Unterbrechung der Gäubahn von zehn bis 15 Jahren nach Inbetriebnahme von S21 im Jahr 2025 eine nicht nachvollziehbare Annahme". So steht Annahme gegen Behauptung – obwohl die DB und alle Projektfans im Laufe von inzwischen fast drei Jahrzehnten doch wissen müssten, wie schlecht sie gefahren sind mit ihren Behauptungen. 


Jedenfalls steht die DB unter immensem Druck, ihre Hochglanz-Ankündigungen zu Angebotsverbesserungen und Deutschland-Takt wenigstens im Ansatz zu erfüllen. Deshalb wünscht sich der Konzernbevollmächtigte von der Sitzung des Lenkungskreises am 2. Mai "eine verantwortungsvolle Entscheidung". Die Baufirma möchte nämlich wissen, übermittelt Krenz, ob sie die Anschlussbereiche für den Pfaffensteigtunnel gleich mitbauen soll. Ein negativer Bescheid hieße: "Für einen späteren Anschluss des Pfaffensteigtunnels müssten beide Röhren des dann eben erst fertiggestellten Flughafentunnels auf einer Länge von 150 Metern wieder abgebrochen werden – zu deutlich höheren Kosten und mit wesentlich größeren Auswirkungen auf den Betrieb." Und weiter: "Wer will es verantworten, das Zeitfenster für Synergien zwischen dem Bau von Stuttgart 21 und dem Ausbau der Gäubahn ungenutzt verstreichen zu lassen?"


Beim Thema Verantwortung allerdings müssten sich angesichts der ewigen Nachbesserungen, der unentwegt steigenden Kosten und diverser anderer Probleme eher die Entscheidungsträger bei der Bahn und in der Politik angesprochen fühlen, die meinten, das viel zu teure, viel zu große, viel zu heikle Projekt mit aller Macht durchpauken zu müssen. Wie sehr Murks dazu neigt, immer Murks zu bleiben, zeigt sich beispielhaft an der schrägen Idee, Züge der Gäubahn in Singen und Böblingen nicht halten zu lassen, damit so die Vorgaben des Deutschland-Takts eingehalten werden können (Kontext berichtete). "Dass die größten Städte entlang der Strecke abgehängt werden, können wir aber keinesfalls zulassen", legt Hermann sich fest. Und die CDU, als Partei der regionalen Infrastruktur, hätte die Chance, ihm beizuspringen.

Das Filstal wird abgehängt

Aber die ist – ganz offensichtlich – anderweitig beschäftigt. Denn so nach und nach diffundiert durch, welche Kröten Landtagsabgeordnete ihrer Wählerschaft vor Ort noch auftischen werden müssen. Zum Beispiel im Filstal. Der CDU-Landtagsabgeordneten Sarah Schweizer aus dem Wahlkreis Göppingen dämmert gerade, dass es an der dort laufenden Bahnstrecke keine direkte Anbindung an den Fernverkehr mehr gibt dank der Neubaustrecke entlang der A8, dass stattdessen immer ein Umstieg notwendig wird auf der Reise in die weite Welt. Das sei "ein großes Problem", so die Rechtsanwältin und Finanzexpertin ihrer Fraktion, aus deren Nachbar-Wahlkreis Geislingen die glühende Stuttgart-21-Kämpferin Nicole Razavi kommt. Perspektivisch werde es nach der vollständigen Inbetriebnahme der Strecke Wendlingen-Ulm kein vertaktetes Fernverkehrsangebot an den Halten im Filstal geben, beklagt Schweizer nun einen Umstand, der S-21-KritikerInnen seit Jahren geläufig ist.

Und wer soll's richten? Richtig: ausgerechnet Winfried Hermann! Es sei wichtig, so Schweizer, "dass das zuständige Landesverkehrsministerium zugesagt hat, dass es weiter auf ein gutes verbleibendes Fernverkehrsangebot im Filstal drängen wird". Noch eine Behauptung, und wieder eine, die für die Durchdringungstiefe in Sachen Stuttgart 21 steht. Denn die DB fährt den Fernverkehr bekanntlich eigenwirtschaftlich und lässt sich nicht reinreden. Ein Landesminister kann bestenfalls bitten. Sicher fände sich ein Schwarzer, um ihn sogar deshalb schlecht aussehen zu lassen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Nico
    am 16.04.2022
    Antworten
    Herr Spreer, nicht nur in BW.
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