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Thomas Strobl

In Stellung gebracht

Thomas Strobl: In Stellung gebracht
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Der Untersuchungsausschuss in der Causa Strobl erweitert sein Feld und will auch Seilschaften im Innenministerium prüfen. Das könnte einen beträchtlichen Flurschaden für die CDU anrichten, wenn sich die Nähe zum Hausherrn als Karrierebeschleuniger erweisen sollte.

Aus heutiger Sicht hat die Lobpreisung einen ganz speziellen Oberton. "Andreas Renner ist für diese herausragende Stellung bestens geeignet, hat genau das richtige Format und wird der Polizei des Landes in den nächsten Jahren die richtigen Impulse geben, damit unser Land weiterhin eines der sichersten in Deutschland bleibt", rühmt Innenminister Thomas Strobl (CDU) im Herbst 2020 den damals 47-Jährigen. Der wird befördert zum bisher jüngsten Inspekteur der Polizei (IdP) in Baden-Württemberg, weil er über eine "breite polizeiliche Erfahrung" verfügt und die Ordnungsmacht aus verschiedensten Blickwinkeln "bestens kennt".

Nun wollen SPD und FDP noch nach anderen, wichtigeren Gründen für die Ernennungen fahnden. Ihren Untersuchungsausschuss dürfen sie zwar nicht mit "Machtmissbrauch" betiteln, weil die Grünen und CDU darin eine Vorverurteilung Strobls sehen, aber durch den neuen Namen "IdP und Beförderungspraxis" wird über den Vorwurf der sexuellen Belästigung hinaus ganz anderes in den Fokus gerückt: die Personalakten von Führungskräften, die über seinen Schreibtisch gingen.

"Strobls Liebling" nennt SPD-Fraktionsvize Sascha Binder den suspendierten ranghöchsten Polizisten im Land. Er will wissen, wie es dazu kam, "dass er so schnell aufsteigen konnte". Julia Goll, die frühere Staatsanwältin und FDP-Abgeordnete, wird noch deutlicher. Als Vize im Landeskriminalamt (LKA) war Renner binnen nur 13 Monaten Inspekteur geworden, obwohl sämtliche Polizeipräsidenten "vor ihm an der Reihe gewesen" wären. Es sei gut möglich, "dass man schon sehr früh vorhatte, ihn genau da hinzubringen, weshalb er ja möglicherweise schon Vize im LKA wurde". Jedenfalls kommt für sie diese "superschnelle Beförderung" überraschend, und damit spreche viel dafür, dass sie "nicht in Ordnung war".

Strobls Liebling, der Beste der Besten

13 Fragen haben Sozialdemokrat:innen und Liberale im Einsetzungsantrag des Untersuchungsausschusses zum Komplex "Beurteilungs-, Beförderungs- und Besetzungsverfahren" gestellt. Es geht um den in Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz verankerten Grundsatz der Bestenauslese, um den Einfluss der Hausspitze im Innenministerium, um die sogenannten Beurteilungskonferenzen, um die Benotung von Kandidat:innen, um Andreas Renner und seine Zuständigkeiten für die Karrieren anderer. In Frage elf etwa darum, wie der Innenminister, sein Ministerium, andere Mitglieder der Landesregierung oder Personen wie der heutige CDU-Staatssekretär im Justizministerium Siegfried Lorek eingebunden waren.

Der Waiblinger CDU-Landtagabgeordnete ist selbst Polizeioberrat außer Dienst und immer wieder Gegenstand von Spekulationen. Er war befreundet mit Renner und vor seinem Aufstieg ins Justizressort oft gesehener Gast in der für ihr Eigenleben berühmt-berüchtigten Abteilung 3 im Innenministerium, dem Landespolizeipräsidium. Und, eher ungewöhnlich unter Schwarzen, er hat mit Matthias Pröfrock einen Landtagsabgeordneten bei der Kandidaten-Aufstellung zur Landtagswahl erfolgreich herausgefordert und damit aus dem Parlament gekickt. Der 45-Jährige, dem von der Uni Tübingen wegen Plagiatsvorwürfen der Doktortitel entzogen worden war, fiel indes auch nicht besonders hart, sondern ist inzwischen ausweislich des Organigramms im Hause Strobl Leitender Ministerialrat und zuständig für die Digitalisierungsstrategie.

In der Vorbereitung des Untersuchungsausschusses hatten dessen Mitglieder vier Wochen Zeit, um die unvollständigen und teilweise geschwärzten Akten aus dem Innenministerium rund um den IdP zu durchforsten. Am letzten Plenartag vor den Pfingstferien ließ sich erkennen, dass und wie die Opposition schon fündig geworden ist. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, der ohnehin Material für gleich drei Untersuchungsausschüsse wittert, lenkt den Blick auf die Beurteilungskonferenz des Jahres 2021, "wo offensichtlich der Inspekteur seine Seilschaften in Stellung gebracht hat". Für seinen SPD-Kollegen Andreas Stoch ist "nach dem, was wir aus den Akten wissen" die Frage berechtigt, ob alles nach Recht und Gesetz zuging. "Falls Parteinähe oder eine zu erwartende politische Willfährigkeit eine Rolle gespielt haben sollten", schreibt die FAZ, "dann wären Strobls Tage im Innenministerium vermutlich gezählt."

Die Grünen wollen Fokus auf Renner legen

Dunkle Wolken hängen also über der grün-schwarzen Koalition. Winfried Kretschmanns Partei ist zwar deutlich besser dran als die CDU, aber richtig komfortabel ist ihre Lage nicht. Turnusgemäß stellt sie mit der Freiburger Rechtsanwältin Daniela Evers die Ausschussvorsitzende. In der vergangenen Legislaturperiode, im Untersuchungsausschuss zur Zulagen-Affäre an der Ludwigsburger Verwaltungshochschule, hat dessen Vorsitzende Sabine Kurtz (CDU) festgestellt, dass Solidarität damals mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) in deren Befragungen keineswegs oberste Koalitionär:innen-Pflicht sein muss. Es wird spannend sein zu beobachten, ob die Schwarzen den Grünen genauso viel Spielraum zugestehen, wenn der stellvertretende Ministerpräsident befragt werden wird.

Vorerst haben sich die Strateg:innen in der größeren Regierungsfraktion darauf verlegt, die Vorwürfe gegen den IdP in den Mittelpunkt zu rücken. "Sexualisierte Belästigung, sexualisierte Diskriminierung, sexualisierte Gewalt haben innerhalb der Landespolizei keinen Platz", sagt Fraktionsvize Oliver Hildenbrand und verspricht "mögliches Fehlverhalten genau zu beleuchten und für größtmögliche Aufklärung zu sorgen". Außerdem müsse die Frage nach der Notwendigkeit struktureller Veränderungen beantwortet werden. Das jedoch könnte das Koalitionsklima eintrüben, wenn sich beispielsweise herausstellt, dass die bisher offiziell vorgelegten Zahlen – es soll 27 Fälle sexueller Belästigungen in fünf Jahren gegeben haben – im Innenministerium allzu ambitionslos und ohne den Willen zur Wahrheitsfindung zusammengetragen wurden.

Und noch eine Latte hat Hildenbrand hochgelegt. In einem Untersuchungsausschuss gehe es nicht um "Skandalisierung und Effekthascherei", sagt er, sondern um "Aufarbeitung und Aufklärung". Was aber tun, wenn irgendwann im Herbst nach den Auftritten der ersten Zeug:innen nicht nur gerüchteweise, sondern offen über jene Listen diskutiert wird, auf denen die Karrieren künftiger Spitzenpolizisten exakt geplant worden sind? Und wenn sich praktisch jeder neue Polizeipräsident im Land dem Verdacht ausgesetzt sehen muss, es sei bei seinem Aufstieg womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen?

Die lobenden Worte des Ministers bei den Urkundenübergaben ähneln sich häufig frappant. Gerne wird der jeweils Erwählte "als Idealbesetzung" gepriesen, als "richtiger Mann am richtigen Ort", der Führungsqualitäten in unterschiedlichen herausragenden Funktionen unter Beweis gestellt habe. Über Renner sagte Strobl, egal in welcher Funktion oder Dienststelle er bislang tätig gewesen sei, überall habe er "exzellente Arbeit" geleistet und genieße er einen "hervorragenden Ruf".


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1 Kommentar verfügbar

  • chr/christiane
    am 08.06.2022
    Antworten
    "es soll 27 Fälle sexueller Belästigungen in fünf Jahren gegeben haben"

    Sorry-Kontext- so wurde das nicht offiziell --jedenfalls nicht in der Antwort auf die kleine Anfrage der FDP kommuniziert.Richtig heißt es dort: Es soll 27 Eingaben im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen innerhaln 5…
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