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Thomas Strobl

Ein Münchhausen

Thomas Strobl: Ein Münchhausen
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Was hat Thomas Strobl nicht alles überstanden: Wahlerfolge seiner Südwest-CDU wie 2006 oder 2013, viel öfter aber Niederlagen, Ausrutscher, Demütigungen durch die eigene Partei oder den Schwiegervater Wolfgang Schäuble, jetzt auch noch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Das Eis ist dünn wie nie.

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Business as usual, selbst wenn es schmerzt. Am vergangenen Sonntag besucht Baden-Württembergs angeschlagener Innenminister Thomas Strobl (CDU) Braunsbach, die 2500-Einwohner-Gemeinde im Wahlkreis Schwäbisch Hall, deren Ortskern nach heftigen Regenfällen durch eine Sturzflutkatastrophe zerstört wurde. An seiner Seite, zwecks Begutachtung des Wiederaufbaus, die Stuttgarter Regierungspräsidentin Susanne Bay. Die 57-jährige Grüne hat Strobl eine seiner schmerzlichsten Niederlagen zugefügt, als sie bei der Landtagswahl 2021 im gemeinsamen Wahlkreis Heilbronn mit einem Vorsprung von sieben Prozentpunkten das Direktmandat holte und so den Einzug des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden ins baden-württembergische Landesparlament verhinderte.

Die Übung, sich nichts anmerken zu lassen, hat der gebürtige Heilbronner schon seit vielen Jahren perfektioniert. Wenn sich der Mentor Günther Oettinger öffentlich über ihn mokierte als "Andenpakt-Azubi", weil der auch irgendwie dazugehören wollte zum sagenumwobenen Verein von Schwarzen, die alle mal was werden wollten. Oder wenn Wolfgang Schäuble auf Parteitagen entweder seiner Missbilligung oder seinem Sarkasmus freien Lauf ließ. Nach einem mittelprächtigen Wiederwahlergebnis des Schwiegersohns unterbrach er sich sogar in seiner Rede, um ihn zu beglückwünschen: "Damit es nicht wieder heißt, ich hätte dir nicht gratuliert." Wenn der angeheiratete Onkel und Vorgänger im Innenministerium Thomas Schäuble fehlenden politischen Tiefgang bemängelte. Oder wenn es seine erfolgreiche Ehefrau Christine, der jetzt nach dem CDU-Wahlsieg in NRW Chancen auf die WDR-Intendanz nachgesagt werden, nicht der Mühe wert findet, in Stuttgart zu erscheinen, wenn der Gatte zum zweiten Mal vereidigt wird als Winfried Kretschmanns Vize. Höher steigt er in diesem Leben nicht mehr.

Die schlimmste Niederlage seines Lebens

Öffentlich verliert er die Nerven jedenfalls nur gegenüber Untergebenen oder in ganz speziellen Sonderfällen. Als im Frühjahr 2016 die CDU-Fraktion ihm den Tort antat, Kretschmann einen Tag vor der dessen Wahl in einer internen Probeabstimmung durchfallen zu lassen, rauschte er bleich wie die Wand aus Stuttgart ab, drauf und dran, das ganze komplementärkoalitionäre grün-schwarze Projekt zum Platzen zu bringen, wenn ihn die Fraktion derart hängen ließe. Nur mühsam konnten ihn Parteifreunde, die ihm nach Heilbronn nachreisten, umstimmen.

Die schlimmste Niederlage seines Lebens hatte er da schon hinter sich. Im Dezember 2014 konnte der Landesvorsitzende seit immerhin gut drei Jahren – zuvor war er neun Jahre Generalsekretär – im Basisentscheid um die Spitzenkandidatur bei den anstehenden Landtagswahlen gerade mal rund 16.000 der 67.000 CDU-Mitglieder aktivieren. 4.000 weniger als sein Kontrahent Guido Wolf, was sich schlussendlich und angesichts der krachenden Niederlage 2016 gegen Winfried Kretschmann nicht eben als der Weisheit letzter Schluss herausstellte. Trotzdem blieb Strobl beschädigt.

Apropos Kretschmann: In den Turbulenzen der vergangenen Wochen um die Brief-Affäre und seine sich als immer absurder herausstellende Weitergabe eines Anwaltsschreibens in einem "Me too"-Disziplinarverfahren gegen den Inspekteur der Polizei wird viel spekuliert über die Achse zwischen dem Regierungschef und seinem Stellvertreter. Unstrittig ist, dass der Grüne anders als viele von dessen Parteifreunden seinen Stellvertreter so ordentlich behandelt, dass viele Grüne den Kopf schütteln über so viel Noblesse. Die aber damit zu tun hat, dass Kretschmann eine von ihm geführte Koalition um nahezu jeden Preis stabil halten und zum Erfolg führen will, ob das nun eine grün-rote ist oder eine grün-schwarze.

Davon profitiert Strobl. Auch deshalb wird er wegen seiner Steherqualitäten als Marathon-Mann beschrieben. Als Generalsekretär war er Diener zweier Herren, nach Oettinger ab 2010 von Stefan Mappus. Beide gehörten den beiden ziemlich verfeindeten Lagern in der Südwest-CDU an, die ihre Gegnerschaft weniger aus unterschiedlichen ideologisch-programmatischen Positionen bezogen als aus persönlichen Ressentiments. Strobl hätte sie also zusammenführen können, brachte sie aber beide gegen sich auf, weil er programmatisch wie ein Schachtel-Teufel mal da und mal dort auftaucht mit dem Maximal-Effekt potentieller Partner:innen. Ein Beispiel von vielen: Schon 2005 promotete er die Zusammenarbeit mit den Grünen in einer schwarzen Ampel, um nur zwei Jahre später für die Verschiebung des Atomausstiegs zu werben.

Wenn schon danebenliegen, dann mit Anlauf

Vielleicht ist schon der Start in die lange ohne Zweifel erfolgreiche Karriere bis zum Vize von Angela Merkel eigentlich ein Missverständnis. Gern und nicht nur am späteren Abend erzählt er, wie die Jusos an seiner Schule, am renommierten Robert-Mayer-Gymnasium samt Sternwarte, einen Alleinanspruch auf die Zuständigkeit für die Welterklärung erhoben hätten. Wie so vieles in seinem späteren Politikerleben bezog er das auf sich, denn: "Das wollte ich mir nicht gefallen lassen." Als wären die Jusos keine Demokrat:innen, gründete er einen "Arbeitskreis demokratischer Schüler", trat alsbald in die Junge Union ein und lernte Oettinger kennen.

Eine Männerfreundschaft, die Jahrzehnte später in der kleinkunstpreisverdächtigen, aber doch nicht ganz ernst gemeinten Idee gipfelte, das – in Wahrheit so fragwürdige – Milliardenprojekt Stuttgart 21 in Oettinger 21 umzubenennen, weil "das größte bauliche Modernisierungsprojekt in der Geschichte Baden-Württembergs seit der Begradigung des Oberrheins im 19. Jahrhundert" so eng mit dem Namen des damaligen Ministerpräsidenten verbunden sei: "Jetzt können wir endgültig zum wirtschaftlichen Mittelpunkt Europas werden."

Wenn schon danebenliegen, dann mit Anlauf – wie bei der erst recht für einen studierten Juristen eigenartigen Idee, ein Anwaltsschreiben im Disziplinarverfahren gegen den ranghöchsten uniformtragenden Polizisten im Land an einen Journalisten weiterzugeben und diesen Fehlgriff sogar noch als Bemühen um "maximale Transparenz" hinzustellen, unbekümmert sowohl um seine Fürsorgepflicht gegenüber dem mutmaßlichen Missetäter als auch um datenschutzrechtliche Aspekte.

Unter Druck möglichst viel Verwirrung stiften

Aber da ist sie wieder, diese Münchhausen-Fähigkeit. Zwei Stunden bevor SPD und FDP Details zum Untersuchungsausschuss präsentieren, tischt Strobl der Öffentlichkeit digital den Berliner Medienrechtler Christian Schertz auf. Der hat nicht nur seit vielen Jahren eine Liste von Promi-Mandaten in Überlänge, sondern gilt als gewieft wie wenige. Und er wirft – tricky oder besser informiert als bisher alle anderen in der Brief-Affäre – einen ganz neuen Blick auf die Ergebnisse. Mit einem Mal soll nicht der Innenminister das Schreiben aktiv durchgestochen, sondern auf "das Ansinnen" des Journalisten reagiert haben. Er sei also de facto verpflichtet gewesen, so und nicht anders zu handeln. Nicht im Ansatz könne er erkennen und verstehen, wie es zu dieser sogenannten Affäre gekommen sei, resümierte der Anwalt, das Ganze "wurde zu einem Skandal hochgejazzt". Er dagegen habe sich "unvoreingenommen und neutral" dem Sachverhalt genähert, "denn ich stehe mit Wort und Namen für meine Einschätzung".

Ob sein Freispruch erster Klasse hält oder sich doch nur einreiht in die Versuche Strobls, unter Druck möglichst viel Verwirrung zu stiften, wird sich irgendwann im Herbst zeigen, wenn die Abgeordneten ihre Arbeit auf- und die ersten Zeug:innen vernommen haben. Dass der politisch Hauptbeschuldigte darunter sein wird, ist unstrittig. Fragt sich nur in welcher Funktion. Denn wenn die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungen nicht einstellt, sondern mit einem Strafbefehl überkommt, wird eine lange Karriere dann doch eher unrühmlich schnell zu Ende gehen. Das Eis ist dünn wie nie.


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2 Kommentare verfügbar

  • Dietmar Rauter
    am 01.06.2022
    Antworten
    Solange der Retter der B.W.-CDU , ein gewisser Herr Kretschmann noch im Boot bleibt und keine besonders auffällige Persönlichkeit der Grünen oder der CDU interveniert, sollte es doch weiter gut gehen, ein Wüst oder Günther als Friede, Freude, Eierkuchen-Spezialist ist ja nicht in Sicht. Leider…
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