"Frauen im Fokus" heißt eines der zentralen Modernisierungsprojekte, mit dem die Landes-CDU punkten will. Und dort steht sie: Brigitte Schäuble, die Witwe des einstigen baden-württembergischen Innen- und Justizministers Thomas und Schwägerin des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Die 60-Jährige strebt den einflussreichen Posten der Bezirksvorsitzenden an – als Gegenkandidatin von Fraktionschef Peter Hauk. Der müsste im Falle einer Niederlage seinen Traum, nächster CDU-Ministerpräsident zu werden, beerdigen. Ohne die Truppe aus Nordbaden geht das nicht.
Der Mutter von drei erwachsenen Kindern, die mit 38 die Fachhochschulreife nachholte, Bauingenieurin wurde und als Bauleiterin arbeitete, werden durchaus Chancen eingeräumt. "Wenn ich ängstlich gewesen wäre, hätten mich die Kollegen vom Gerüst gestoßen und einbetoniert", meinte sie bei der Präsentation ihrer Kandidatur hinter verschlossenen Türen.
"Schon wieder Schäuble", soll Wolfgang in Berlin, nicht ohne Anerkennung für die Schwägerin, gestöhnt haben. Seine Tochter Christine, die Chef-Filmeinkäuferin der ARD, ist – um das familiäre Netzwerk von Soap-Opera-haften Ausmaßen zu komplettieren - verehelicht mit Thomas Strobl, dem Chef der Südwest-CDU und Merkel-Vize auf Bundesebene. Noch einer, den der Gedanke reizt, Winfried Kretschmann 2016 herauszufordern und zu beerben. Denn bisher wartet er, ewig in den Startlöchern festgetackert, auf den Abschied des Schwiegervaters aus der Bundespolitik, um dort endlich selber groß rauszukommen. Was allerdings ganz und gar nicht ansteht: Der Doyen des Bundestags im Rollstuhl will im September zum zwölften(!) Mal ins Parlament einziehen.
Offiziell hält sich Wolfgang Schäuble aus Schlamassel und Scharmützeln im eigenen Landesverband heraus. Er ist hochgeschätzter Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, will die Hand aber nicht reichen, um wieder so etwas wie selbstbewusste Gelassenheit zu befördern. Nach fast 59 Jahren die Macht zu verlieren ist einmalig in der Geschichte der Republik. Und das hiesige Wahlrecht hat einen zwiespältigen psychologischen Effekt auf die CDU-Parlamentarier: Alle, ohne Ausnahme, haben ihren Wahlkreis direkt gewonnen, mit den jeweils meisten Wählerstimmen und teilweise meilenweit vor Grünen- oder SPD-Kandidaten. Vor allem Neulinge kommen schlecht zurecht mit dieser Rolle des Wahlkreiskaisers auf der Oppositionsbank. Frust und Verunsicherung sitzen tief. Schleichend hat sich ein Reflex eingebrannt in den politischen Alltag: Was immer von Grünen oder Roten kommt, wird dämonisiert, und das mit einer Wortwahl ungewöhnlicher, unversöhnlicher Schärfe.
Landtagsfraktion in notorischer Schieflage
Gerade die Landtagsfraktion, traditionell Dreh- und Angelpunkt der Oppositionsarbeit, befindet sich in notorischer Schieflage: aufgestanden mit dem falschen Fuß, umgeknickt und von Anfang an von der Rolle seit dem ersten Tag. Verbale Exzesse ("Lügner", "Heuchler", "Verräter") sind an der Tagesordnung. Inzwischen liegt die Latte im Hohen Haus so tief, dass dieser Zustand als solcher thematisiert wird. "Wissen Sie", knöpfte sich Winne Hermann die Krakeeler bei der Haushaltsdebatte vor, "ich habe mir jetzt zwei Tage lang Ihre Zwischenrufe angehört. So viele Beleidigungen habe ich noch nie erlebt. Sie merken schon gar nicht mehr, wie beleidigend Sie sind." Immerhin kennt der grüne Verkehrsminister seit fast drei Jahrzehnten sowohl Land- als auch Bundestag. Die Aufregung unter den Kritisierten war deutlich größer als die Kritik scharf. "Ziehen Sie das sofort zurück!", forderte Hauk mehrfach mit rotem Kopf und in deutlich erhöhter Lautstärke.
Zuschauer auf der Tribüne des Landtags reagieren verständnislos angesichts von Schlammschlachten bei Plenardebatten, die doch eigentlich das Schaufenster politischer Ideen sein sollen. Zwischenrufduelle werden befeuert von dem Neid, den die Unionisten auf die Beliebtheit Kretschmanns empfinden. Eine Gruppe aus Südbaden – "wir sind fast alle CDU-Anhänger" – diskutierte vor Monaten einigermaßen fassungslos das gerade im Plenarsaal Erlebte, weil "die Leute Politiker nicht wollen, die so auftreten". Und dann fuhr der Stachel ins Fleisch: Selbst das schwarze Fußvolk lobte den Regierungschef als glaubwürdig. "Wir können uns im tagespolitischen Kampf hart streiten", hatte der zuvor wieder einmal erfolglos gemahnt, "wir sind ja schließlich politische Gegner." Dabei dürfe aber nicht aus Gegnerschaft Feindschaft werden, weil "Feindschaft in der Demokratie nichts zu suchen hat". Für so viel Besonnenheit schätzen und mögen ihn viele Leute im früheren CDU-Stammland.
Wer das Gespräch zur beispiellosen Verluderung der Sitten sucht, wird von CDU-Abgeordneten – als wäre eine Sprachregelung ausgegeben – sogleich auf die "Lügenpack"-Sprechchöre von S-21-Gegnern verwiesen. Dass Parlament und Demo nicht dasselbe sind und gerade Kretschmann mehrfach die "Lügenpack"-Rufe öffentlich gerüffelt hat – solche Argumente dringen nicht durch. Wohl auch deshalb, weil Argumente traditionell wenig gelten in einer Partei, für die der wichtigste Maßstab immer Erfolg und Macht war. Verdrängt wird dabei, dass vier CDU-Ministerpräsidenten – Hans Filbinger, Lothar Späth, Günther Oettinger und Stefan Mappus – ihr Amt unrühmlich aufgeben mussten und diese Abgänge nie aufgearbeitet wurden. Genauso wenig wie der Umstand, dass Erwin Teufel einen tief gespaltenen Landesverband hinterließ.
Grassierender Realitätsverlust
Die Sozialisation von Christdemokraten zwischen Main und Bodensee fand über Jahrzehnte in der Hybris statt, und das schlägt hart zurück. Der Realitätsverlust grassiert. Bestes Beispiel: die Nachwehen des EnBW-Deals, die ein doppelt problematisches CDU-Selbstverständnis offenbaren. Zum einen werden für den milliardenschweren Rückkauf der Aktien von der französischen EdF allein der abgewählte Ministerpräsident Stefan Mappus und sein Banker-Freund Dirk Notheis verantwortlich gemacht. Völlig ausgeblendet ist, dass wenige Tage nach Unterzeichnung der Verträge sämtliche Unionsabgeordneten das Geschäft am Parlament vorbei im Nachhinein absegneten. Und zum anderen nahmen sich Abgeordnete, allen voran Ex-Umweltminister Ulrich Müller, Rechte heraus, die sie anderen niemals zugestehen würden, die alle Maßstäbe zertrümmern. Weil der Opposition naturgemäß bestimmte Informationsquellen nicht zugänglich sind, begann Müller als Ausschussvorsitzender selber zu ermitteln, nahm heimlich Kontakt zu Mappus auf, eine dubiose Aktenübergabe auf einem nicht näher beschriebenen Autobahnparkplatz zwischen Stuttgart und Pforzheim inklusive. Müller musste gehen, zwei weitere Parteifreunde folgten aus ähnlich unerquicklichen Gründen.
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JK
am 07.07.2013