Mangelndes Selbstbewusstsein hat Thomas Strobl noch nie zu schaffen gemacht. "Ich bin wie eine Ameise, ich schaffe Ordnung im Wald", sagt der CDU-Landesvorsitzende dieser Tage vor der Presse in Stuttgart. Und nach einer kleinen Kunstpause: "In Baden-Württemberg wie im Bund." Dann zieht er lächelnd die Augenbrauen hoch wie ein Primaner, der sich doch nicht ganz sicher ist, ob er das Abi mit einer Eins schafft. Denn – ob ihm das gedämmert hat? – die Union braucht eine ganze Ameisenkolonie. Der Blick auf die zersplitterte Parteienlandschaft und die interne Gemütslage lässt jedenfalls genügend Gründe dafür erkennen, dass dieses Lager in einer schweren, einer unvermeidlichen Krise steckt – im Land wie im Bund.
Jahrzehntelang wurden Parlamente und Kabinette von zwei Volksparteien beherrscht, denen die FDP bei Bedarf, mal links und mal rechts, zu Mehrheiten verhalf. Inzwischen hat sich die Zahl der relevanten Akteure durch Grüne, Linke und AfD verdoppelt. Folglich schrumpfen bei Wahlen zumindest auf längere Sicht die jeweiligen Anteile am Stimmenkuchen. Begleitet wird dies von einem Prozess anschwellender Desorientierung, der gegenwärtig vor allem in der CDU sowohl ihren Anhang erfasst hat als auch ihre Politik(erInnen).
Wer da ernsthaft Ordnung schaffen will, muss die Unordnung analysieren. "Wir wollen doch", sagt Jens Spahn am Deutschlandtag der Jungen Union am vergangenen Wochenende in Münster, "dass von dieser Union in zehn, zwanzig Jahren noch was übrig ist." Dabei ist nicht einmal dieser Wunsch neu, sondern ziemlich genau vier Jahre alt.
Geäußert allerdings wurde er auf dem Bundesparteitag einer anderen Partei: Nachdem die Sozialdemokratie die Bundestagswahl gründlich versemmelt hatte, appellierte Juso-Chef Kevin Kühnert an die altvorderen Genossen "als Vertreter der Generation, die künftig Verantwortung übernehmen kann, soll und muss," doch bitte noch was übrig zu lassen von der SPD. 2021 stellen die Jusos mit 49 Abgeordneten ein Viertel der neuen roten Bundestagsfraktion, die JU keine 20, sieben davon immer aus dem Südwesten. Die SPD hat einen schmerzlichen Selbsterkennungs- und -findungsprozess vielleicht nicht hinter sich, darf ihn aber erst einmal als einigermaßen erfolgreich einordnen, wenn's klappt mit dem Einzug ins Kanzleramt.
Gegensätzliche Positionen sorgen für Verwirrtheit
Die Union steht noch mitten in diesem Selbstfindungsprozess. Ihr stellen sich derzeit Fragen über Fragen. Wie viele WählerInnen oder Mitglieder der beiden Parteien mit dem C im Namen haben beispielsweise Angela Merkels erstaunlichem Satz zugestimmt, dies sei "nicht mehr mein Land", wenn es auf Kritik stoße, Flüchtlingen ein freundliches Gesicht zu zeigen? Wie passen dieses C und die biblische Aufforderung zur Nächstenliebe zu der hilflosen Gleichgültigkeit, mit der Tausende Tote im Mittelmeer registriert werden? Wieso meinen christlich-demokratische WahlkämpferInnen, es ließen sich mit dem wichtigen und richtigen Digitalisierungsthema die Herzen ihrer Zuhörerschaft erwärmen? Warum bemerkt eine Volkspartei nicht, dass sie keine mehr ist, wenn sie gebetsmühlenartig maßvolle Steuererhöhungen selbst für Tausende richtig Reiche ausschließt, obwohl die sogar großen Teilen des ihr zuneigenden Volks durchaus einleuchten als sinnvoll und nötig? Wie ernst nimmt die CDU als Ganzes wirklich die Gefahren der Erderwärmung, wie bereit sind ihre Basis und ihre tonangebenden Leute, diesen Gefahren entgegenzutreten mit dem Maß an Radikalität, das die Lage erfordert?
Zugleich wurde in Münster wie in einer Schnellbleiche sichtbar, dass aus Vielfalt Verwirrtheit geworden ist. Sichtbar wird sie an diametral gegensätzlichen Positionen, die nicht so sehr das Resultat von Toleranz sind, sondern von der Unlust an leidlich gründlicher Debatte über christlich-demokratisches Selbst- und Weltverständnis im 21. Jahrhundert. So hat das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP den Parteifreunden Armin Laschet und sogar Friedrich Merz wohlwollenden Respekt abgenötigt, während Ralf Brinkhaus, Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag, wie ein Springer-Leitartikler mitten im Kalten Krieg doch tatsächlich von der "strammsten Linksagenda seit Jahrzehnten" fabuliert.
Und beim Thema Ehe und Familie, seit eh und je eine Säule der Unions-Programmatik, schlägt Jens Spahn in Münster mutig ungewohnte Töne an. "Mit meinem Mann" kann sich der Gesundheitsminister vorstellen, Kinder großzuziehen: "Ich glaube, wir wären gute Eltern." Und er plädiert ganz prinzipiell für eine Erweiterung des Familienbegriffs auf Menschen, "die füreinander einstehen und füreinander Verantwortung übernehmen". Schwer verdaulich, nicht nur im Münsterland, wo die beiden leben, sondern sicher auch auf der Schwäbischen Alb oder in Oberschwaben. Wenn dann aber auch noch die andere Spitzenkraft – abermals Brinkhaus, natürlich zwecks Schärfung des eigenen Profils – ganz andere Akzente setzt, klingt das fast wie ein Appell an die Wählerschaft: Bitte wendet euch erst einmal ab, damit wir ohne Regierungsdauerdruck Ordnung schaffen können.
Wie bitte geht Opposition?
Wie ein Schachtelteufel springt da das nächste Problem aufs Parkett. Im von erheblicher Konfusion heimgesuchten Spitzenpersonal herrscht keine Einigkeit, wie denn wohl die nach 16 Merkel-Jahren ungewohnte, von Herzen ungeliebte Oppositionsrolle anzulegen ist. Nicht einmal der gerade im Südwesten zum Liebling der Basis stilisierte und sich stilisierende Friedrich Merz kommt damit zurecht. Wem hilft's, wenn er wie vor Monaten die eigene Bundesregierung als "grottenschlecht" niedermacht oder in Münster die eigene Partei zum "insolvenzgefährdeten Sanierungsfall" erklärt, um ihr fast im selben Atemzug einen ziemlich anspruchsvollen "Modus einer konstruktiven Opposition" abzufordern. Laschet wiederum empfiehlt "nicht schrill und nicht plump, sondern klug und intelligent den Finger in die Wunden" zu legen. 24 Stunden später haut schon wieder dieser Brinkhaus auf die Pauke, hält die SPD für erfolgreich ohne Konzepte, will schnellstmöglich wieder hinein ins Kanzleramt und die, die nach seiner Meinung bald drin sein werden, mit den besseren Konzepten "beschämen".
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 26.10.2021Bitte, es kann allzu leicht die Furcht vor dem Versagen – nicht mit dem erfolgreich sein, was die nur in Hinterzimmern in den Vordergrund tretenden erwarten und fordern –…