Schauergeschichten über die "gefährliche Droge" Cannabis prägten einst das Bild der Pflanze: Wer Gras raucht, wird verrückt, vergewaltigt, mordet, verfällt dem Wahnsinn. Deshalb müssen Verbote her. Nur mit einer Prohibition könne man diesem Unheil entgegentreten – so die Maxime, die weltpolitisch seit über 100 Jahren verfolgt wird. Das Problem dabei: Die Verbotspolitik ist unglaublich ineffizient. Sie hat keine ihrer Versprechungen eingelöst. Tatsächlich schaden die Nebenwirkungen mehr, als die Therapie nützt.
Menschen kaufen und konsumieren auf einem Schwarzmarkt – ohne jegliche Qualitätskontrolle. Menschen machen sich strafbar und werden wie Kriminelle behandelt – weil sie sich dazu entscheiden, eine Pflanze zu essen oder zu rauchen, die weniger schädlich ist als viele legale Substanzen. Es ist paradox: Nach über 100 Jahren Prohibition sind illegale Drogen in nahezu jedem Land verfügbar – und zwar in Hülle und Fülle. Der menschliche Drang nach Rausch ist nicht zu unterdrücken.
Global und mittlerweile auch national erkennt man diese Widersprüche mehr und mehr. Deswegen werden Entkriminalisierung und Legalisierung offen diskutiert. Die dreiteilige Kontext-Podcast-Reihe "Flora non grata" beleuchtet die großen Fragen rund um dieses kleine Kraut. In der ersten Episode beschäftigen wir uns mit der Historie der Verbote. Warum eigentlich ist die Pflanze verboten? Wie kam es dazu? Und warum spielt Rassismus dabei so eine große Rolle? Das alles finden wir heraus.
Der Krieg gegen Cannabis beginnt
Für diese Folge haben wir den Legalisierungsaktivisten, Soziologen und emeritierten Kriminologie-Professor Sebastian Scheerer eingeladen. Er erklärt, wieso er das Verbot von Cannabis für verfassungswidrig hält, weshalb Prohibition ohne Rassismus nicht denkbar gewesen wäre und wer der Hauptverantwortliche des modernen "Kriegs gegen die Drogen" war.
Wer den Zusammenhang zwischen Rassismus und Drogenverboten verstehen will, muss sich mit der Geschichte Billie Holidays beschäftigen. Die talentierte Jazzsängerin durchlebte als Kind und Jugendliche Abscheuliches. Mit verschiedensten Drogen versuchte sie sich zu betäuben und ihre Vergangenheit zu vergessen. Das sogenannte Federal Bureau of Narcotics (FBN) hatte ein Auge auf Billie Holiday geworfen. Aus deren Sicht, vor allem jener des FBN-Chefs Harry J. Anslinger, versteckten sich in der "satanischen" Musikrichtung Jazz böse Codewörter, die nur Drogenabhängige verstünden.
Billie Holiday war der Prohibitionsbehörde in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge: Sie war schwarz, konsumierte Drogen – und war erfolgreich. Ihr Stück "Strange Fruit" war eine gesungene Revolte gegen Lynchmorde und den allgegenwärtigen Rassismus in den USA. Der Prohibitions-Urvater Harry Anslinger setzte den schwarzen Agenten Jimmy Fletcher auf sie an, um ihren Konsum zu protokollieren – besser gesagt: um alles zu protokollieren, was sie tat.
In der Rückschau scheint es paradox: Die USA hatten gerade 13 Jahre Alkoholprohibition hinter sich. Eine krachende Niederlage. Denn das Verbot von Suff und Sause hatte die Geburtsstunde des Schwarzmarkts zur Folge. Tausende Menschen starben an Vergiftungen klandestin produzierter Getränke. Runter ging der Konsum keineswegs: Menschen trafen sich klammheimlich in sogenannten "Mondschein-Kneipen", nachts und ohne Licht, um der Kriminalisierung des Stoffs ein Schnippchen zu schlagen und nicht erwischt zu werden. Dennoch verfolgt man dieselbe Strategie – bis heute – wider besseres Wissen.
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R.Gunst
am 21.10.2021