Das wollte sich die Betroffene nicht gefallen lassen. Und Lecomte schreckt prinzipiell nicht davor zurück, sich auf langwierige Rechtsstreitigkeiten einzulassen – mehrfach hat sie sich Schmerzensgeld erstritten und einen Fall sogar bis vors Bundesverfassungsgericht getragen, wo sie nach acht Jahren juristischer Auseinandersetzung mit einer Klage gegen die Bundespolizei erfolgreich war. Auch beim Heilbronner Vorfall lässt Lecomte nicht locker, und Jahre später, im Juli 2020, stellt das Stuttgarter Verwaltungsgericht fest, dass der Kostenbescheid für die polizeiliche Räumung rechtswidrig war, da bereits die Auflösung der Versammlung mitsamt des Platzverweises nicht rechtens gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Polizeieinsatz aber bereits ein übles Nachspiel nach sich gezogen. So bezeichnet Lecomte die Entscheidung gegenüber Kontext zwar als einen "kleinen Trost". Gleichzeitig sagt sie aber, dass beim Gedanken an die Räumung und ihre Konsequenzen traumatische Erinnerungen hochkommen würden.
Drei Tage Haft für einen Hahnenschrei
Als sich Lecomte im März 2019 vor dem Amtsgericht Heilbronn gegen die Räumung und das Bußgeld wehren wollte, kommt es zum Eklat. Der verantwortliche Richter Michael Reißer lehnt drei Wahlverteidiger von Lecomte ab und gewährt keinen Pflichtverteidiger. Alle 17 Beweisanträge, die Lecomte selbst einbringt, werden ebenfalls abgelehnt. Da rutscht ihr ein verhängnisvoller Satz heraus. "Ich weiß, dass Ihnen meine Beweisführung am Arsch vorbeigeht", sagt sie und Richter Reißer verhängt ein Bußgeld von 300 Euro. Als Lecomte daraufhin einen Hahnenschrei imitiert, erhöht der Jurist das Strafmaß: Fällig wurden nun drei Tage Ordnungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hohenasperg, wo der rheumakranken Rollstuhlfahrerin ihre ärztlich verschriebenen Medikamente entzogen wurden. "Die Behandlung war für mich eher eine Misshandlung", sagt Lecomte heute über die – wie kürzlich vom Stuttgarter Landgericht festgestellt – ebenfalls rechtswidrigen Haftbedingungen.
Als Schmerzmittel bekommt sie medizinisches Cannabis verschrieben. Ihre Kekse wurden jedoch konfisziert und zerstört. Die zuständige Ärztin in der JVA, so berichtet es Lecomte, habe ihr stattdessen Ersatzmedikamente verschrieben. Da diese nicht angeschlagen hätten, habe sie aufgrund der Schmerzen die drei Tage in Haft kaum schlafen können. Auch dass Lecomte am ersten Tag in Haft nicht mit einer Vertrauensperson oder ihrem Anwalt telefonieren durfte, wertete das Stuttgarter Landgericht als unzulässig. Ebenso wurde von den Richtern kritisiert, dass es Lecomte wegen mangelhafter Barrierefreiheit in der Haftanstalt nicht möglich war, alleine eine Toilette zu besuchen.
Das Urteil gehört aktuell zu den wenigen im Zusammenhang mit Behinderung und Haft. Anwalt Oliver Tolmein, der Lecomte mehrfach vertreten hat, erläutert, dass es bei der medizinischen Versorgung häufiger zu Problemen kommen könne – insbesondere wenn Cannabis im Spiel ist. So würden es Justizvollzugsanstalten in der Regel nicht tolerieren, dass Gefangene Cannabis einnehmen, auch wenn es zu medizinischen Zwecken geschieht, sagt der Jurist. Seine Kanzlei in Hamburg hat sich auf die Vertretung von Menschen mit Behinderung spezialisiert. Damit ist Tolmein einer der wenigen Anwälte in Deutschland, die sich systematisch mit der Frage auseinandersetzen, welche Rechte Menschen mit Behinderung im Strafvollzug haben. "Die Haftanstalten sind ganz überwiegend nicht darauf vorbereitet, dass dort auch Menschen mit Behinderungen leben müssen", sagt er gegenüber Kontext.
Dabei geht es nicht allein um die Versorgung mit wirksamen Medikamenten. Tolmein verweist auf einen weiteren Mandanten, den er in einer Hamburger Haftanstalt vertreten hat. Nachdem dieser eine Prothese erhalten hatte, musste er sich daran erst gewöhnen. Dafür benötigte er Zeit für Gehübungen, weshalb er längere Umschlusszeiten brauchte. "Ohne die Strafvollstreckungskammer ging hier nichts", sagt Tolmein. Er kritisiert, dass die Justizvollzugsanstalten meist nicht willens seien, die Rechte von Behinderten umzusetzen. Oft müssten sie sogar für Selbstverständlichkeiten kämpfen. "Man stelle sich vor, ein nichtbehinderter Gefangener hätte nicht die Möglichkeit alleine auf Toilette zu gehen: das würde vermutlich schnell skandalisiert werden. Bei Menschen mit Behinderungen wird es viel eher hingenommen, als gäbe es dafür sachliche Gründe."
Die Politik lässt sich zum Jagen tragen
Nach Einschätzung Tolmeins verstoßen Behörden in der Bundesrepublik häufiger gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat. Artikel 14, Absatz 2 gibt vor, dass Menschen mit Behinderung im Strafvollzug nicht benachteiligt werden dürfen. Auch in den Gefängnissen müssten demnach Barrierefreiheit gewährleistet sein und die Räume beispielsweise groß genug für einen Rollstuhl. Auch die Toilette müsse dem Anwalt zufolge für Menschen mit Behinderungen problemlos zugänglich sein. Zudem müssten Strafgefangene mit Behinderungen wie alle anderen Gefangenen die Möglichkeit haben, in einer Justizvollzugsanstalt zu arbeiten.
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