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Cécile Lecomte

Medizinversorgung in Haft

Cécile Lecomte: Medizinversorgung in Haft
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Nach einem rechtswidrigen Polizeieinsatz und einer denkwürdigen Gerichtsverhandlung landete die Rheumapatientin Cécile Lecomte drei Tage im Knast. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Haftbedingungen für Menschen mit Behinderung.

Cécile Lecomte fühlt sich auf Bäumen wohl. Die Kletteraktivistin im Rollstuhl, Eichhörnchen genannt, streitet energisch für Klima- und Umweltschutz, kettet sich, wenn es drauf ankommt, auch mal an Brücken, um Atommülltransporte zu blockieren oder steigt bei eisigen Temperaturen ins Wasser, wenn die Castoren über den Neckar verschifft werden sollen. Aktuell kann die 1981 geborene Atomkraftgegnerin ein ganzes Bündel von Aktionen auflisten, die sie gerade umtreiben. Vom Protest gegen die Urananreicherungsanlage in Gronau genauso wie gegen die Endlagerstätte für Atommüll im französischen Bure.

Immer wieder kommt es bei solchen Aktionen des zivilen Ungehorsams zu Räumungen durch die Polizei. Dabei ist Lecomte auch schon in Gewahrsam gelandet. So etwa am 16. November 2017 in Heilbronn, als UmweltaktivistInnen mit Neoprenanzügen frühmorgens baden gingen, um mit aufblasbaren Gummi-Enten gegen Atommülltransporte auf dem Seeweg zu protestieren.

Eigentlich keine besonders wilde Geschichte. Doch das Ordnungsamt Heilbronn sah, wie es zur Begründung heißt, die Gefahr, dass sich die AktivistInnen bei so niedrigen Temperaturen selbst gefährden und löste die Versammlung auf. Sieben Minuten nach der ersten Durchsage räumte die Polizei – und da sich die rheumakranke und bewegungseingeschränkte Lécomte noch nicht von selbst entfernt hatte, langten die Beamten zu. Weil sie selber zu langsam gewesen sei, berechnete die Stadt Heilbronn obendrein ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro.

Das wollte sich die Betroffene nicht gefallen lassen. Und Lecomte schreckt prinzipiell nicht davor zurück, sich auf langwierige Rechtsstreitigkeiten einzulassen – mehrfach hat sie sich Schmerzensgeld erstritten und einen Fall sogar bis vors Bundesverfassungsgericht getragen, wo sie nach acht Jahren juristischer Auseinandersetzung mit einer Klage gegen die Bundespolizei erfolgreich war. Auch beim Heilbronner Vorfall lässt Lecomte nicht locker, und Jahre später, im Juli 2020, stellt das Stuttgarter Verwaltungsgericht fest, dass der Kostenbescheid für die polizeiliche Räumung rechtswidrig war, da bereits die Auflösung der Versammlung mitsamt des Platzverweises nicht rechtens gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Polizeieinsatz aber bereits ein übles Nachspiel nach sich gezogen. So bezeichnet Lecomte die Entscheidung gegenüber Kontext zwar als einen "kleinen Trost". Gleichzeitig sagt sie aber, dass beim Gedanken an die Räumung und ihre Konsequenzen traumatische Erinnerungen hochkommen würden.

Drei Tage Haft für einen Hahnenschrei

Als sich Lecomte im März 2019 vor dem Amtsgericht Heilbronn gegen die Räumung und das Bußgeld wehren wollte, kommt es zum Eklat. Der verantwortliche Richter Michael Reißer lehnt drei Wahlverteidiger von Lecomte ab und gewährt keinen Pflichtverteidiger. Alle 17 Beweisanträge, die Lecomte selbst einbringt, werden ebenfalls abgelehnt. Da rutscht ihr ein verhängnisvoller Satz heraus. "Ich weiß, dass Ihnen meine Beweisführung am Arsch vorbeigeht", sagt sie und Richter Reißer verhängt ein Bußgeld von 300 Euro. Als Lecomte daraufhin einen Hahnenschrei imitiert, erhöht der Jurist das Strafmaß: Fällig wurden nun drei Tage Ordnungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hohenasperg, wo der rheumakranken Rollstuhlfahrerin ihre ärztlich verschriebenen Medikamente entzogen wurden. "Die Behandlung war für mich eher eine Misshandlung", sagt Lecomte heute über die – wie kürzlich vom Stuttgarter Landgericht festgestellt – ebenfalls rechtswidrigen Haftbedingungen.

Als Schmerzmittel bekommt sie medizinisches Cannabis verschrieben. Ihre Kekse wurden jedoch konfisziert und zerstört. Die zuständige Ärztin in der JVA, so berichtet es Lecomte, habe ihr stattdessen Ersatzmedikamente verschrieben. Da diese nicht angeschlagen hätten, habe sie aufgrund der Schmerzen die drei Tage in Haft kaum schlafen können. Auch dass Lecomte am ersten Tag in Haft nicht mit einer Vertrauensperson oder ihrem Anwalt telefonieren durfte, wertete das Stuttgarter Landgericht als unzulässig. Ebenso wurde von den Richtern kritisiert, dass es Lecomte wegen mangelhafter Barrierefreiheit in der Haftanstalt nicht möglich war, alleine eine Toilette zu besuchen.

Das Urteil gehört aktuell zu den wenigen im Zusammenhang mit Behinderung und Haft. Anwalt Oliver Tolmein, der Lecomte mehrfach vertreten hat, erläutert, dass es bei der medizinischen Versorgung häufiger zu Problemen kommen könne – insbesondere wenn Cannabis im Spiel ist. So würden es Justizvollzugsanstalten in der Regel nicht tolerieren, dass Gefangene Cannabis einnehmen, auch wenn es zu medizinischen Zwecken geschieht, sagt der Jurist. Seine Kanzlei in Hamburg hat sich auf die Vertretung von Menschen mit Behinderung spezialisiert. Damit ist Tolmein einer der wenigen Anwälte in Deutschland, die sich systematisch mit der Frage auseinandersetzen, welche Rechte Menschen mit Behinderung im Strafvollzug haben. "Die Haftanstalten sind ganz überwiegend nicht darauf vorbereitet, dass dort auch Menschen mit Behinderungen leben müssen", sagt er gegenüber Kontext.

Dabei geht es nicht allein um die Versorgung mit wirksamen Medikamenten. Tolmein verweist auf einen weiteren Mandanten, den er in einer Hamburger Haftanstalt vertreten hat. Nachdem dieser eine Prothese erhalten hatte, musste er sich daran erst gewöhnen. Dafür benötigte er Zeit für Gehübungen, weshalb er längere Umschlusszeiten brauchte. "Ohne die Strafvollstreckungskammer ging hier nichts", sagt Tolmein. Er kritisiert, dass die Justizvollzugsanstalten meist nicht willens seien, die Rechte von Behinderten umzusetzen. Oft müssten sie sogar für Selbstverständlichkeiten kämpfen. "Man stelle sich vor, ein nichtbehinderter Gefangener hätte nicht die Möglichkeit alleine auf Toilette zu gehen: das würde vermutlich schnell skandalisiert werden. Bei Menschen mit Behinderungen wird es viel eher hingenommen, als gäbe es dafür sachliche Gründe."

Die Politik lässt sich zum Jagen tragen

Nach Einschätzung Tolmeins verstoßen Behörden in der Bundesrepublik häufiger gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat. Artikel 14, Absatz 2 gibt vor, dass Menschen mit Behinderung im Strafvollzug nicht benachteiligt werden dürfen. Auch in den Gefängnissen müssten demnach Barrierefreiheit gewährleistet sein und die Räume beispielsweise groß genug für einen Rollstuhl. Auch die Toilette müsse dem Anwalt zufolge für Menschen mit Behinderungen problemlos zugänglich sein. Zudem müssten Strafgefangene mit Behinderungen wie alle anderen Gefangenen die Möglichkeit haben, in einer Justizvollzugsanstalt zu arbeiten.

Vor diesem Hintergrund begrüßt Tolmein die Entscheidung des Stuttgarter Landgerichts. Dass Cécile Lecomte das Verfahren geführt habe, hält er für enorm wichtig, weil es bislang wenig vergleichbare Urteile gebe und sie mit dem Erfolg auch anderen Betroffenen Mut mache: "Bevor sich die Situation von Menschen mit Behinderungen im Strafvollzug grundlegend verbessert, müssen vermutlich noch einige Prozesse gewonnen werden."

Auch für Lecomte ist die Auseinandersetzung in dieser Sache noch nicht beendet. "Was ich während meiner Haft gesehen habe, hat mich entsetzt", erklärt sie und bezieht das nicht nur auf ihr eigenes Schicksal. So habe sie miterlebt, wie eine ältere Frau in der Haftanstalt bewusstlos zusammengebrochen sei, aber trotz mehrfacher Bitte in den drei Tagen, die Lecomte in Haft verbrachte, nicht ärztlich untersucht wurde.

Bislang allerdings scheint sich die Politik noch nicht so recht um den Themenkomplex kümmern zu wollen. Sie sei enttäuscht, dass sie keine Oppositionspartei im Landtag dazu bewegen konnte, sich in der Angelegenheit Haftbedingungen für Menschen mit Behinderung mit kritischen Anfragen im Parlament an die Regierung zu wenden. Auch von den Grünen in der Koalition zeigt sie sich enttäuscht. "Die Genugtuung, ein Blatt Papier zu erhalten, das die Rechtswidrigkeit bestätigt, halte ich nicht für ausreichend, wenn man tagelang nicht geschlafen hat." Daher hat sie sich nun an das baden-württembergische Justizministerium gewandt, mit einer Forderung nach Schmerzensgeld. Auf Anfrage bestätigt das Ministerium den Eingang des Schreibens, die Eingabe werde nun von den Fachleuten geprüft, so die Auskunft.

Dem Justizvollzug sei es "grundsätzlich ein Anliegen, körperlich behinderten Gefangenen eine adäquate Unterbringung und Behandlung im Justizvollzug zu ermöglichen", heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums gegenüber Kontext. Zwar bestünden "in einzelnen Justizvollzugsanstalten" bereits behindertengerechte Hafträume. Doch auf Nachfrage wird eingeräumt, dass "im Hinblick auf die Gewährleistung einer adäquate Unterbringung und Behandlung auch aus hiesiger Sicht Handlungsbedarf besteht". So würden nun etwa, um die Barrierefreiheit in Haftanstalten zu verbessern, bei Neubauten "entsprechende Schwerpunkte gelegt".


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