Anne, am anderen Ende der Küche auf ihrem Hochstuhl sitzend, klopft mit einem Spielzeug kurze Rhythmen auf ihr Tischchen. Ihre Augen sind immer in Bewegung, können nichts fixieren. Wie viel sie sehen kann, was sie fühlt, ob sie Schmerzen, Hunger oder Durst hat, kann die Mutter nur erahnen. Anne habe keine Verständigungsmöglichkeit für irgendwelche Wünsche. Ohne permanente Hilfe ginge da gar nichts. Laufen kann sie nur mit Unterstützung. Dafür reagiere sie sehr stark auf Stimmen, Stimmungen und Gerüche. Erst vor vier Jahren konnte diagnostiziert werden, woran Anne leidet: unter der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit, ein seltener Gendefekt, der sonst eigentlich nur Jungen trifft. Seit einigen Jahren hat Anne zudem einen Schlauch im Bauch, weil sie beim Atmen ständig Luft hinunterschluckt, so dass sich in kürzester Zeit ihr Magen aufbläht, ein lebensgefährlicher Zustand. Jede Stunde muss deshalb der Schlauch geöffnet werden, um die Luft aus dem Magen entweichen zu lassen. Anne weine nicht, wenn sie Schmerzen habe. Sie werde dann ganz still.
Einmalig: "Das mache ich für Sie"
Vor Annes Geburt arbeitete Hofmann als leitende Hebamme an einem Krankenhaus. Danach musste sie ihre Leitungsposition aufgeben. Ein Schritt, der ihr sehr schwer gefallen sei: "Ich wollte immer eigenständig sein." Schnell seien dann Wut und Frust in ihr hochgekocht, wie sie sagt, weil sie sich mit ihren Problemen von der Gesellschaft so alleine gelassen gefühlt habe. Anlaufstellen, die betroffene Mütter zentral und umfangreich beraten, etwa was die Pflege, Hilfsangebote, das komplizierte System des Pflegegeldes, Zuschüsse, Träger oder Therapien angeht, fehlen bis heute. Niemand fühle sich hier wirklich zuständig für die schwerstbehinderten Kinder. Sie habe bald gelernt, dass man sich selbst helfen müsse, sagt Hofmann. So gründete sie 2006 zunächst eine Elterngruppe Betroffener, um miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen.
"Du musst dir alles aus den Fingern saugen, wegen allem nachfragen", beklagt auch Renate Prinz, Blumenhändlerin und Mutter von Emili (9) und Paul (11), der schwerstbehindert ist wegen schwerem Sauerstoffmangel bei der Geburt. Nur ein Mal in ihrem Leben mit Paul habe sie erlebt, dass jemand ihr in diesen Dingen etwas abgenommen habe. "Da hatten wir den Schulbezirkswechsel beantragt, und es kam ein Schreiben, dass Paul die Schule besuchen dürfe, aber der Fahrdienst nicht bewilligt sei." Man teilte ihr aber nicht mit, wo sie diesen beantragen kann. "Wir haben die Rektorin der neuen Schule gefragt. Sie hat gesagt: 'Das mache ich für Sie'", erzählt Prinz.
2 Kommentare verfügbar
Gundula
am 15.04.2020https://ellasblog.de/haeusliche-pflege-und-systemrelevanz-wie-corona-eine-nichtvorhandene-lobby-sichtbar-macht/
Viele Grüße, Gundula