Alex ist aufgeregt. Er hat sich schick gemacht, sein Sakko übergeworfen, die beste Hose aus der Waschküche geholt. Die Bus-Seitentüren werden geschlossen, das Radio angeschmissen, die Stimmung ist bestens. Alex murmelt Textfetzen aus Chart-Songs mit, kreist mit seinen Händen rhythmisch durch die Luft. Eine Sitzreihe weiter vorne trampelt Süleyman schreiend auf seinem Platz herum und verlangt von jedem Nebensitzer einen Handschlag. Er solle jetzt mal ruhig bleiben, sagen die anderen leicht entnervt. Organisiert hat die Disko-Fahrt die Lebenshilfe Ludwigsburg.
Am Ziel angekommen, geht es gleich zur Sache. Vorbei am Türsteher, wummern der Truppe die Bässe der DJs entgegen. Es läuft elektronische Musik in Wohnzimmer-Atmosphäre. Süleyman rennt direkt auf die Tanzfläche und wedelt wild mit den Armen. Die Party kocht – und das schon um 21 Uhr. Kein gewöhnlicher Abend, denn heute ist "Inklusive Disko" in der Pano Bar. Sie liegt im Zuffenhausener Stadtteil Rot, umkreist von Dönerbuden und einem Shisha-Café. Ein Szene-Lokal für elektronische Musik, in dem versucht wird, eine Utopie zu leben. Eine Vision einer Gesellschaft, die Menschen nicht in Kategorien einordnet. Das klappt nur bedingt.
Raus aus dem Alltag
Alexander Hartung, kurz Alex, ist ein großer, massiger Typ mit kurz geschorenen Haaren. Mit seinem sanftmütigen Blick scannt er stets die Umgebung. Alex spricht nicht oft. Wenn, dann antwortet er in kurzen Sätzen, und auch Fragen, die er stellt, fallen meist knapp aus. Manchmal sieht er etwas und lacht dann drauf los. Auf dem Info-Bogen seiner Betreuer steht: "geistige Entwicklungsverzögerung". Es gibt kein Syndrom, keine Krankheit, keine Klassifikation, mit der man beschreiben könnte, warum er so ist, wie er ist.
Alex lebt in Remseck-Aldingen in einer Wohnstätte. Fahrrad fährt er nicht mehr, seit er mal runtergefallen ist und sich ein Bein gebrochen hat. "Das hat wehgetan", sagt er, krempelt seine Jeans hoch und zeigt auf die Narben. Familienbilder aus der russischen Heimat, Jesus-Statuen und Engelsfiguren zieren sein Zimmer. Der 27-Jährige ist ein Spielefreak. 34 Videospiele hat er in seinem Wandschrank gehortet, am liebsten spielt er digitales Wrestling. "Willkommen in meiner Welt", sagt er und grinst, als der Ladebildschirm auf der Konsole wegploppt. Alex' Woche ist vollgepackt: Einkaufstouren, Fußball, Behinderten-Werkstatt, Essens-Dienst. Am Wochenende besucht er oft seine Mutter, die nebenan in Ludwigsburg wohnt. Ob sein Vater noch lebe, wisse sie nicht, erzählt die Mutter, Kontakt zu ihm hätten sie seit über 20 Jahren nicht mehr. Disko-Abende wie heute sind für Alex was Besonderes.
Ich fühle was, was ich nicht hör'
Robin Seitter, einer der Veranstalter des Abends, hat selbst ein Handicap. Mit zwölf Jahren hatte er einen Unfall beim Fußballspielen, dabei verlor er das Gehör auf dem linken Ohr. Das hat ihn nicht davon abgehalten, Platten aufzulegen. Er misst seinem Handicap nicht viel Bedeutung bei, ebenso wenig denen der Gäste mit Behinderung. "Menschen einfach als Menschen betrachten", ist sein Credo.
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