"Neue S-Klasse – Zukunft von gestern!" überschrieb Rathgeb 1991 seinen Artikel in der damaligen Daimler-Betriebsratszeitung "Scheibenwischer". Ihm missfielen nicht nur Gimmicks wie maßgeschneiderte Sitze und Kohlefilter gegen Gerüche, sondern die grundsätzliche Denke dahinter. Ein Auto mit bis zu 20 Litern Benzinverbrauch im Stadtverkehr zeigte ihm eindeutig: Der ökologische Gedanke war bei Daimler nicht angekommen. Das war vor 29 Jahren.
Rathgeb ist mittlerweile 75 Jahre alt und als er nach der jüngsten Vorstellung der neuen S-Klasse sah, dass die "Stuttgarter Zeitung" diese Premiere mit der Überschrift "Mit der neuen S-Klasse in die Zukunft" auf die Titelseite hievte, erinnerte er sich an 1991 und schickte Kontext seinen überraschend aktuellen Text von damals. Grund genug, den Mann zu besuchen. In seiner Daimler-Zeit gehörte Rathgeb zur Plakat-Gruppe, das waren Beschäftigte und Betriebsräte, die nicht nur gegenüber dem Management, sondern auch gegenüber der IG Metall kritisch eingestellt waren. "Ökologische Themen kamen damals ja immer mehr hoch", erzählt Rathgeb.
In der Esszimmervitrine drängeln sich Familienfotos und Bücher, das Holzregal ist gespickt mit Literatur über Ökologie, Politik, und Bildbände über ferne Länder. "Unser Markenzeichen war, nicht ausschließlich auf Arbeitsplatzsicherung zu pochen, sondern uns auch die eigenen Produkte anzuschauen", erinnert sich Rathgeb und holt aus dem Nebenzimmer Unterlagen von damals. "Die meisten meiner Papiere habe ich dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben, aber ein paar Sachen habe ich aufbewahrt. Die will ich behalten." Er lächelt.
Dabei könnte Daimler auch anders
Gut kam das nicht an. Weder bei der Gewerkschaft noch bei manchen Betriebsrats-KollegInnen und erst recht nicht beim Management. Als er einen Monat danach auch noch als Mitglied der Kritischen Aktionäre auf einer Pressekonferenz berichtete, dass die Luxuslimousine nicht besonders gut laufe und überhaupt die Modell-Politik des Konzerns kritisierte, bekam er Ärger. Sein Werkleiter in Untertürkheim schrieb ihm, er habe "die Interessen der MBAG und Ihrer (sic!) Arbeitnehmer schwer geschädigt". Auch ein Betriebsratskollege teilte ihm schriftlich mit, er halte Rathgebs Äußerungen für unverantwortlich. Mehr allerdings passierte nicht. Rathgeb zuckt mit den Schultern. "Ich war Betriebsrat und bekannt. Was hätten die machen können?"
4 Kommentare verfügbar
Dr. Diethelm Gscheidle
am 29.09.2020ich finde es eine Unverschämtheit, hier einem Nestbeschmutzer des redlichen Daimler-Automobilkonzerns eine derartige Plattform zu bieten! Es ist eine Unverschämtheit, dass Herr Rathgeb derart frech gegen die Hand, die ihn füttert, aufbegehrt! Das Gehalt hat der…