Aschermittwoch am 15. Oktober. Thomas Strobl, Landeschef sowie Vize der Bundespartei und stolz darauf, als erster CDU-Promi nach Sondierungsgesprächen mit den Grünen gerufen zu haben, kommt in Tracht. Auf den sechs Dutzend Biertischen sind Brettljausn eingedeckt, die Blaskapelle durchmisst die Fellbacher Alte Kelter mit Marschmusik. Baden-Württemberg-Abend nennt sich die Veranstaltung mit 600 geladenen Gästen. Am Ehrentisch sitzt die Hauptperson. "Günther H. Oettinger wird 60 ...", heißt es auf der Einladung. "... und die Partei feiert sich selber", wäre die richtige Satzergänzung. Der EU-Energiekommissar steht nicht wirklich im Mittelpunkt, vielmehr schwelgen Gastgeber wie Gäste in der Erinnerung an andere, bessere Zeiten.
"Bleib so, wie du sein solltest", lautet der Geburtstagswunsch, den Ex-Finanzminister Willi Stächele nach eigenem Bekunden seit drei und mehr Jahrzehnten überbringt. Ein Appell, wie geschnitzt für den ganzen Landesverband. Noch am Wahlabend haben Demoskopen errechnet, dass Angela Merkel den Baden-Württembergern den Sprung über die 40-Prozent-Marke zu verdanken hat, weil die FDP, vor vier Jahren in ihrem Stammland im Höhenrausch, rund 13 der damals eroberten 18 Prozentpunkte wieder hergeben musste. Die mit Recht so beliebte Analyse der Wählerwanderungen ergab eine Massenflucht zurück zur Union. "Wir sind mit nahezu bayrischen Verhältnissen wieder da", jubelte Fraktionschef Peter Hauk. Dabei sei die Südwest-CDU bereits "totgesagt worden".
Keine ernsthafte Analyse der Situation
Aus der maßlosen Übertreibung, für die sich auch im bestausgestatteten Archiv keine Belegstelle finden wird, spricht eine gehörige Portion Verfolgungswahn. Keine verheißungsvolle Leitlinie für die mühsamen innerparteilichen Versuche einer ernsthaften Analyse der Situation. Zumal eine zweite konstruiert ist aus einer Mischung von trotzendem Selbstvertrauen und realitätsvergessener Selbstbespiegelung, die wie eine Weißwurst aus der zerplatzten Haut quillt. "Wir hier sind geschlossen dafür, dass unsere Heimat 2016 wieder von der CDU regiert wird", ruft Strobl in die Alte Kelter. Augenscheinlich nicht bedenkend, was er damit erkennen lässt: Seiner Partei fehlt sogar die Größe, zum runden Geburtstags eines früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Gäste aus anderen politischen Lagern einzuladen. Als einzige Ausnahmen werden SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel und der Grüne Rezzo Schlauch Zeugen, wie sich der ehemalige Generalsekretär mit Mensurerfahrung in seiner Rede auf das Geburtstagskind an Grün-Rot abarbeitet, als wäre Aschermittwoch und die Feier für Oettinger der "größte Stammtisch des Jahres" (Strobl). Jeden Tag, klagt Wolfgang Schäubles Schwiegersohn, würden seit mehr als zwei Jahren Chancen und die hervorragende Substanz des Landes vergeigt, Baden-Württemberg sei eben "in ganz schlechten Händen".
Selbst in solch einer Nacht dreht irgendwer als letzter das Licht aus. Am Morgen danach bricht – wieder einmal – auf, wie schwer sich die CDU tut in der harten Realität des Alltags. Der schwelende Dauerstreit ausgerechnet beim Megathema Bildung geht in die nächste Runde. Die Frage aller Fragen: weiter so im dreigliedrigen System mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium oder mutig voran auf neuen Wegen? Trotz einschlägiger Beschlusslage der Partei in Bund und Land mag sich die Landtagsfraktion zu Letzterem nicht durchringen. Dabei kämpfen die Abgeordneten Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich längst mit dem von Grün-Rot favorisierten Zwei-Säulen-Modell angefreundet, wollen endlich "Bildungseinigkeit und Schulfrieden".
Auch die Wirtschaft will kein dreigliedriges Schulsystem
Vor allem aber geben die Unternehmer im Land keine Ruhe mehr. Seit fast zwei Jahren liegt ein einschlägiges Papier zur Gemeinschaftsschule auf dem Tisch. "Die Fortentwicklung der Schullandschaft ist für die Wirtschaft eine Standortfrage allerersten Ranges", steht da zu lesen. Von "nachrangiger Bedeutung" dagegen sei die Struktur. Bewegt hat sich seither wenig unter jenen, die die Gemeinschafts- noch immer Einheitsschule nennen. "Es fehlt der politische Wille zur Annäherung", klagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, der in Fellbach natürlich am Tisch neben Oettinger sitzt, und meint die Union. Zwar seien unter Grünen und Roten "viele Reformbaustellen eröffnet", aber am Zwei-Säulen-Modell führe kein Weg vorbei.
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Sepp
am 23.10.2013