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Ermittlungen gegen Innenminister

Die Wagenburg um Strobl

Ermittlungen gegen Innenminister: Die Wagenburg um Strobl
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Gegen Baden-Württembergs stellvertretenden Regierungschef Thomas Strobl (CDU) laufen staatsanwaltliche Ermittlungen, im Innenministerium gab es eine Hausdurchsuchung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stärkt seinem Kollegen den Rücken – ohne schlüssige Begründung.

Irgendwann am vergangenen Mittwochnachmittag haben der Regierungschef und sein Stellvertreter telefoniert. Es soll kein langes Gespräch gewesen sein: Der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl, dem der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine "überragend wichtige Bedeutung für die Koalition" zuschreibt, hat seine Sicht der Dinge dargestellt. Es geht um Baden-Württembergs ranghöchsten Polizisten, gegen den der Verdacht der sexuellen Belästigung im Raum steht und der einer jungen Kommissarin Karrierevorteile gegen Sex angeboten habe, aber auch um ein Anwaltsschreiben, das Strobl möglicherweise rechtswidrig an die Presse durchgestochen haben soll. Der Innenminister vertrat zu diesem Zeitpunkt noch die Sichtweise, es könne gar nicht zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn kommen. Nach seiner Logik, die Kretschmann bis heute zu teilen scheint, gab es kein Geheimnis, folglich könne er ein solches auch nicht verraten haben.

Keine drei Stunden nach dem Telefonat erklärte jedoch die Staatsanwaltschaft Stuttgart, ein Ermittlungsverfahren "wegen des Verdachts verbotener Mitteilung" gegen den Innenminister eingeleitet zu haben. Die einzig vernünftige Reaktion darauf lässt Kretschmann aus: Statt Strobl sogleich um eine Stellungnahme zu bitten, und nunmehr die Spitzenjuristen im Staatsministerium den Fall prüfen zu lassen, wechselt der Regierungschef die Pferde. Weil jetzt die Ermittlungen laufen, sagt er, werde er sich in dieser Sache überhaupt nicht mehr äußern.

Dass Strobl sich verrannt hat, liegt auf der Hand. Und obwohl die Geschichte komplex ist, ist sie leicht verständlich. Das Innenministerium setzte auf den Paragraphen 353b Strafgesetzbuch, die "Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht" und vor allem auf den Satz "Die Tat wird nur mit Ermächtigung verfolgt". Da Strobl die Ermächtigung nicht erteilte, umschiffte die Staatsanwaltschaft dieses Hindernis elegant und führt 353d ins Feld – und eröffnete damit die Möglichkeit, der Innenminister könnte zur Weitergabe eines amtlichen Dokuments angestiftet haben.

Schon dieser Schwenk hätte den und die Grünen aufschrecken müssen. Und noch mehr die Art und Weise, in der das Innenministerium am frühen Freitagabend das höchst unwillkommene Faktum einer Hausdurchsuchung in seinen Räumlichkeiten an der Willy-Brandt-Straße zu verschleiern versuchte. Der Wortlaut der dürren Pressemitteilung ist deutlich aufschlussreicher, als er eigentlich hätte sein sollen: "Innenministerium setzt auf maximale Kooperation mit der Staatsanwaltschaft und übergibt heute vollumfänglich Informationen – Staatsanwaltschaft im Innenministerium." Und weiter: "Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt den Sachverhalt und trifft die notwendigen Ermittlungsschritte. In diesem Zusammenhang haben wir heute der Staatsanwaltschaft im Innenministerium vollumfänglich und unverzüglich alle Informationen gegeben. Volle Transparenz war, ist und bleibt für uns absolut handlungsleitend. Mit Blick auf das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft bitten wir um Verständnis, dass wir uns als Innenministerium aktuell hierzu nicht weiter in der Öffentlichkeit äußern können."

Transparenz ohne Transparenz

Die angeblich handlungsleitende Transparenz führte nicht zu einer sachlichen Darstellung des Geschehens. Die blieb StrafverfolgerInnen außerhalb des Ministeriums überlassen: "Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat heute aufgrund einer Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Stuttgart im Innenministerium in Stuttgart Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt und Beweismittel sichergestellt."

All das ficht Kretschmann nicht an, aber er will ganz sicher sein, dass Strobl recht hat, wiewohl der bekanntermaßen gerne plaudert. Und nur allzu plausibel wäre die Vermutung, dass es dem stellvertretenden Ministerpräsidenten bei der Weitergabe des Briefs gar nicht um die vielfach beschworene "maximale Transparenz" ging, sondern darum, einem Journalisten eine höchstbrisante Info zu stecken. Jedenfalls ist Strobl Wiederholungstäter, weil er – unter anderem – 2018 und zur Unzeit einen Einsatz verdeckter Ermittler in Sigmaringen öffentlich machte und damit gefährdete. "Jedem Polizisten, der im Vorfeld von Polizeimaßnahmen über den Einsatz von verdeckten Ermittlern spricht, droht ein Disziplinarverfahren, aber für den Innenminister gelten andere Regeln", kritisierte damals der SPD-Fraktionsvize Sascha Binder und beklagte, dass auf diese Weise ein erhoffter Erfolg von Polizeimaßnahmen torpediert worden sei.

Diesmal fährt die Opposition noch schwerere Geschütze auf und verlangt von der Staatsanwaltschaft, das dienstliche und das private Handy des Ministers ebenfalls zu beschlagnahmen. Und sie fordert von Strobl, auch die Ermächtigung zu Ermittlungen nach Paragraph 353b zu erteilen. "Ansonsten bestätigt sich unser Eindruck weiter, dass diese maximale Transparenz an der Tür des Ministerbüros endet", schimpft der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Nico Weinmann. Dienstagnachmittag beschäftigten sich beide Regierungsfraktionen in getrennten Sitzungen mit der Causa. In der CDU wundern sich Juristen über Strobls Aktion, ohne sie aber für strafrechtlich relevant zu halten. Und bei den Grünen bekamen hinter verschlossenen Türen Kretschmann und Fraktionschef Andreas Schwarz noch einmal die Gelegenheit, den Innenminister zu verteidigen.

Vom Ende her gedacht ist die Strategie nicht, weil sich weiterhin jede Menge brisanter Fragen stellen. Darunter die, was geschieht, wenn ein Strafbefehl gegen den Minister ergeht? Muss er, wenn er noch immer im Amt bleiben will, dann nicht zwangsläufig vor Gericht dafür kämpfen, dass seine Rechtsauffassung die richtige ist? Kommt es zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, in dem zumindest Mauscheleien rund um Beförderungen und Karrierevorteile bei der Polizei öffentlich werden könnten? Was passiert, wenn der Sachverhalt, der die Brief-Affäre ausgelöst hat, nicht mehr zum Tragen kommt, weil ein geordnetes Disziplinarverfahren durch die Veröffentlichung des Briefs unmöglich wird? Den verdächtigten Inspekteur der Polizei Andreas Renner hat das Innenministerium schon vor Monaten vom Dienst suspendiert.

Gerade Andreas Schwarz und sein CDU-Fraktionsvorsitzenden-Kollege Manuel Hagel beteuern, wie sehr es ihnen darum geht, dass die Anschuldigungen der sexuellen Belästigung nicht unter den Tisch fallen. Klug wäre, gerade in diesem Punkt eine sinnvolle Strategie zu entwickeln anstatt die Wagenburg um Strobl zu bauen. Die Chance auf ein Ende mit Schrecken ist verstrichen, jetzt müssen alle, ob sie wollen oder nicht, für einen Schrecken ohne Ende zumindest Vorbereitungen treffen.


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5 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 26.05.2022
    Antworten
    Und welche Rolle spielt der Innenausschuss?
    Wenn "aus Kreisen des Innenausschusses" Inhalte aus Chatprotokollen zwischen Beschuldigtem und mutmaßlichem "Opfer", die den Abgeordneten vorliegen--an die Medien weitergeleitet werden--ist das dann nicht auch ein "Geheimnisverrat"? Immerhin läuft das…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 8 Stunden
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