Jetzt ist also selbst das raus: Thomas Strobl benutzt eine Küchenwaage. Zumindest sagt er das. Und wenn er wiegt, was die Bundesregierung beim Thema Innere Sicherheit plant, gibt es keinen Ausschlag. Warum? Weil der "zeitgemäße digitale Instrumentenkasten" leer sei. Tatsächlich setzen SPD, Grüne und FDP im Bund laut Koalitionsvertrag "die Eingriffsschwellen für den Einsatz von Überwachungssoftware, auch kommerzieller, hoch". Der Grund liegt insbesondere darin, dass IT-Sicherheitslücken nicht zur Überwachung genutzt werden dürfen. "Ampelstörung" nennt das der Stuttgarter Innenminister, "grob fahrlässig und absolut verantwortungslos".
Natürlich ist zwischen Main und Bodensee und unter seiner Ägide alles besser. Baden-Württembergs grün-schwarzes Polizeigesetz erlaubt ausdrücklich, per Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) mittels Computer und/oder Messenger-Diensten geführte Telekommunikation zu überwachen. Die AnhängerInnen dieser Vorgangsweise durften im vergangenen Juli "mit Zufriedenheit", so Strobl, zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen die Regelungen im Land als unzulässig abgewiesen hat – jedoch nur deshalb, weil der Beschwerdeführerin der fachgerichtliche Weg zumutbar sei.
Allerdings ist die hochumstrittene Quellen-TKÜ im Land noch kein einziges Mal aus dem Instrumentenkasten genommen und angewendet worden. Denn nicht nur die gesetzlichen, auch die (ermittlungs-)technischen Hürden müssen gar nicht mehr hochgelegt werden – sie sind es schon. So müssten die zu überwachenden Geräte erst einmal in die Hand der Polizei gelangen, um überhaupt mit der notwendigen Software ausgestattet werden zu können.
"Bislang erfreut sie sich in der Vollzugspraxis noch keiner großen Beliebtheit, nicht zuletzt aufgrund der erheblichen technischen Umsetzungsprobleme, insbesondere des hohen Aufwands beim Aufspüren einer Sicherheitslücke und der heimlichen Infiltration des konkreten Endgeräts", schreiben die ExpertInnen von netzpolitik.org. Das mache die Quellen-TKÜ zwar noch nicht zu einem Ermittlungs-Placebo, bestätige aber die Erkenntnis des Leonardo da Vinci: "Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung."
Laute Töne, wenig Substanz
Ohnehin ist das Thema für Strobl und seine CDU vor allem Mittel zum Zweck, so wie der §219a, dessen in Berlin anstehende Abschaffung problematisiert wurde, die einrichtungsbezogene Impfpflicht, das Antidiskriminierungsgesetz. Oder ganz aktuell die Verknüpfung von Sozial- und Mobilitätspolitik einschließlich der Forderungen, die Pendlerpauschale unverzüglich anzuheben und die EEG-Umlage abzuschaffen. Es geht darum aufzufallen und – nicht zuletzt – darum, den wohlwollenden Blick des neuen Parteivorsitzenden Friedrich Merz auf die früher so erfolgsverwöhnte Südwest-CDU zu lenken. Flagge will sie zeigen im Spagat und den grünen Koalitionspartner piksen wie eine Voodoo-Puppe. Eingeübt wird eine Strategie in mehreren Aufzügen. Dazu zählt wortreich und theaterdonnernd zu keilen gegen die Bundesregierung. Kretschmanns Grüne sollen sich aber irgendwie mitgemeint fühlen nach dem Motto: "Seht her, es gibt uns noch, und wir sind doch nicht so pflegeleicht, wie ihr meint." Und im dritten Akt wird landespolitisch beigedreht, weil an dem nicht zu rütteln ist, was verhandelt und mit Unterschrift besiegelt wurde.
Der Nutzen für die CDU liegt in Schlagzeilen wie "Strobl: Ampel sicherheitspolitisch Totalausfall" oder "Rote Ampel treibt Haushalte in rote Zahlen". Das Problem ist, dass die Themen bei näherer Betrachtung landespolitisch verpuffen müssen, denn im Stuttgarter Koalitionsvertrag stehen Formulierungen, die da und dort deckungsgleich sind mit jenen im Arbeitsübereinkommen von SPD, Grünen und FDP in Berlin. Und gerade Strobl weiß, dass viele Zugeständnisse der CDU sein eigenes Haus betreffen. Nicht erst seit die gescheiterte CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann vor Weihnachten ihr Schweigen brach und die Öffentlichkeit wissen ließ, sie selbst hätte diesen Koalitionsvertrag nicht unterschrieben, denn ihre Partei habe sich damit den Grünen unterworfen. Ihre Beispiele: die Absenkung des Wahlalters auf 16 und das Antidiskriminierungsgesetz.
Beides wird im Lauf des Jahres kommen und anderes dazu, wie die Reform des Landtagswahlrechts, die anonymisierte Kennzeichnung von PolizistInnen bei Großeinsätzen, ein neues Transparenzgesetz oder die Liberalisierung des Bleiberechts für integrierte Geflüchtete. Denn, auch das passt gar nicht zum Auftritt der CDU als Krawallopposition gegen die Bundesregierung, hinter den Kulissen werden selbst komplizierte Komplexe vergleichsweise geräuschlos verhandelt. "2022 wird das Jahr der Umsetzung vieler Vorhaben", heißt es in der Landtagsfraktion der Grünen. "Sehr vieles ist auf einem guten Weg", sagt einer der involvierten Abgeordneten. Deshalb sei die Begleitmusik der CDU "eigentlich irrelevant".
Mal sehen, ob Kretschmann einknickt
So sind zur Umsetzung der Kennzeichnungspflicht Mittel im Etat eingestellt. Im Innenministerium kursieren Beispiele dafür, wie die Nummernkombination auf den Uniformen platziert werden. Praktisch ausverhandelt sind die neuen Bleiberechtsregelungen nach nordrhein-westfälischem Vorbild. Sie sehen nicht nur einen Aufenthaltstitel für integrierte Geflüchtete und ihre Familien in Arbeit vor, sondern auch die Verkürzung vieler Fristen. Noch in der vergangenen Legislaturperiode hatte sich die CDU gegen Erleichterungen gesperrt. Nach der Landtagswahl 2021 musste sie dann aber eine sehr weitreichende Formulierung hinnehmen: "Das Land wird künftig alle Möglichkeiten nutzen, um gut integrierten, geduldeten Flüchtlingen ein Bleiberecht zu ermöglichen." Entscheidend ist das Wort "alle".
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