"Ja – Wir sollten miteinander reden!" Mit diesem Aufruf luden Mitte Februar das Forum für Rottweil, die Kreisverbände der SPD und der Grünen sowie der Stadtjugendring Rottweil zu einer moderierten Online-Diskussion von "QuerdenkerInnen", "SpaziergängerInnen" sowie GegendemonstrantInnen ein. Im dritten Jahr der Pandemie mit all ihren Verwerfungen sei es "an der Zeit, dass wir damit beginnen, die Mauern in unseren Köpfen wieder einzureißen", heißt es in der Einladung. Debattiert wurde an einem Montagabend, dennoch nahmen auch zahlreiche "Querdenkende" an der Online-Diskussion teil.
Dass die Diskussion online stattfand, hatte nichts mit der Befolgung von Corona-Beschränkungen zu tun, sondern war dem Sachverhalt geschuldet, dass es bei den "Spaziergängen" keine offiziellen Ansprechpartner und damit Verantwortliche gibt. Auch wenn ein solches Angebot nicht von allen Interessierten angenommen wird, weil online-Diskussionen einen beachtlich selektiven Effekt haben, so hat doch insgesamt die Diskussion insofern funktioniert, als sich nahezu alle an die vom Moderator vorgegebenen Gesprächsregeln gehalten haben: Zuhören, andere ausreden lassen, keine Beleidigungen oder Beschimpfungen verwenden. "Online-Debatte sehr manierlich" überschrieb die "Neue Rottweiler Zeitung" ihren Artikel nach der Runde. Am Ende hieß es von den Veranstaltern, man wolle diesen Dialog fortsetzen. In diesem Vorhaben können die Organisatoren nur bestärkt werden, sind es doch Schritte hin zur Ausbildung einer bürgerschaftlichen Streitkultur, in der die Vielfalt sozialer Konflikte zwar im Streit, aber nicht durch Vertiefung von Gräben und Spaltungen mit der Gefahr zunehmender Gewaltexzesse bearbeitet werden – so wie es der große Republikaner Ralf Dahrendorf zeit seines Lebens soziologisch und politisch einforderte.
Es geht um mehr als schlechte Kommunikation
In der Zeit-online vom 16. Februar schreibt Corinna Schöps von der Corona-Krise als einem "kommunikativen Desaster": Politik und Behörden seien unfähig, der Bevölkerung zentrale Erkenntnisse zu vermitteln, die den politischen Entscheidungen und Maßnahmen zugrrunde lagen. Oder über mRNA-basierte Impfstoffe aufzuklären, die ja weder "neu" noch "experimentell" sind, sondern seit über zwanzig Jahren erfolgreich in der Krebstherapie eingesetzt werden. Diese Unfähigkeit sei schlicht ein "Staatsversagen".
Es war und ist aber nicht nur ein kommunikatives Desaster: Potentielle Kanzler-Kandidaten haben die Corona-Krise benutzt, um ihre Wahlaussichten zu verbessern; Länderchefs haben in der Bund-Länder-Kommission gemeinsam und einstimmig etwas beschlossen, um dann zu verkünden, dass in ihrem Bundesland diese Beschlüsse nicht oder jedenfalls so nicht umgesetzt würden. Die "Masken-Affären", die den Verdacht der persönlichen Vorteilsnahme aufkommen ließen. Und dass Lobbyisten massiven Einfluss auf politische Entscheidungen und Gesetze nehmen, ist als belegte Erkenntnis oder Verdacht weder neu noch einmalig – wie also steht es mit der Pharma-Industrie und ihren (möglichen) Beeinflussungen politischer Entscheidungen in der Corona-Krise?
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Uli
am 23.02.2022