In der schriftlichen Begründung für die Platzverweise heißt es, das Verhalten des Fahrradkorsos stelle "eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar". Ein Polizeisprecher lässt wissen, dass eine Bundesstraße nicht blockiert bleiben dürfe und dass das polizeiliche Einschreiten auch unter Gesichtspunkten des Infektionsschutzes weniger problematisch erscheine. "Denn hier haben fast alle Beteiligten Masken getragen."
Was aber ist mit den tausenden Hygieneverweigerern, die durch ihr Verhalten eine nicht minder "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" darstellen dürften? Laut Polizei sei es "nicht möglich, eine so große Personenzahl festzusetzen", zudem würde das Infektionsrisiko bei einem Einschreiten nur um so höher, da ja kaum jemand Maske trägt.
Nun sind deeskalative Einsatzstrategien aus pazifistisch-liberaler Perspektive grundsätzlich zu befürworten. Und dennoch sticht ins Auge, dass gerade Stuttgart Erfahrungen damit hat, Protest im Zweifel auch unsanft abzuräumen. Dabei muss man kein Jahrzehnt zurückblicken, als die Staatsmacht eine illegale Baumfällaktion ermöglichte, indem sie eine friedliche Schülerdemo mit Wasserwerfen anging und dabei einen unschuldigen Rentner bis zur Erblindung beschoss. Stichwort: Schwarzer Donnerstag. Vor nicht allzu langer Zeit gab es da auch einen Vorfall am Rande einer Demonstration gegen Mietenwahnsinn, bei dem AktivistInnen ein leerstehendes Haus mit Papierzetteln kennzeichneten – und dafür ohne Zaudern und Zögern mit Pfefferspray eingedeckt und Schlagstöcken traktiert wurden.
Bizarres Beschuldigungspingpong
Wenn nun das Auflösen einer großen Demonstration in der Praxis tatsächlich zu erheblichen Komplikationen geführt hätte: Wer trägt dann die Verantwortung für das Desaster vom Samstag?
Hierbei lässt sich nun ein sonderbares Beschuldigungspingpong zwischen Stadt, Land und Polizei beobachten: Niemand will verantwortlich sein. Uwe Lahl, der höchste Beamte im baden-württembergischen Sozialministerium, hat kein Verständnis, "dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat." Die Demonstration hätte nach seiner Einschätzung verboten werden können, wie er bereits vor dem vergangenen Samstag betonte. Das aber verneinen Nopper und sein Ordnungsbürgermeister Clemens Maier vehement.
Wer hat nun recht? In der Corona-Verordnung des Landes heißt es, auch über solche Zusammenkünfte, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, dass diese "verboten werden können, sofern der Schutz vor Infektionen anderweitig, insbesondere durch Auflagen, nicht erreicht werden kann." Das scheint der Stadt Stuttgart einen gewissen Handlungsspielraum zu strikterem Vorgehen einzuräumen.
79 Kommentare verfügbar
Minh Schredle
am 14.04.2021da hier nun mehrfach die Frage nach meiner Definition eines Nazis aufkam, möchte ich dem Informationsinteresse gerne nachkommen. Allerdings kann ich mir dabei die Bemerkung nicht verkneifen, dass in meinem Artikel hier das Wort "Nazi" weder im Text noch in…