"Mitunter frisst die Revolution ihre Kinder. Auch wenn sie nur ein Revolutiönchen ist." Nein, es geht nicht darum, dass Winfried Kretschmann, trotz vorhandener Ampel-Alternative, die zweite Koalition mit der CDU riskiert. Vielmehr endet mit diesem Satz die Analyse der neuen Lage wenige Tage nach der Landtagswahl von 2011 – in der allerersten Ausgabe der Kontext-Wochenzeitung. Zehn Jahre später ist es wieder wenige Tage nach der Landtagswahl. Und die Südwest-Grünen stehen vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte.
Verwundert schauen nicht nur ParteifreundInnen aus der ganzen Republik auf Baden-Württemberg, wo der so erfolgsverwöhnte Grüne die Möglichkeit auslässt, mit einer Ampelkoalition neue Wege zu gehen und die Weichen sogar im Bund für eine mögliche erste grüne KanzlerInnenschaft zu stellen. Der 72-Jährige hat – nicht zuletzt nach mehr als 25 Stunden hartem parteiinternen Ringen – die CDU zu neuerlichen Koalitionsverhandlungen eingeladen. Die Ansage ist unmissverständlich: Ein Weiter-so wird es nicht geben.
Die CDU gibt klein bei
Noch ungewöhnlicher sind die Vorarbeiten, denn Teile des Koalitionsvertrags mussten noch vor Beginn der förmlichen Verhandlungen stehen. Kretschmann und seine StrategInnen haben den auf gut 24 Prozent abgestürzten Schwarzen Zugeständnisse abgerungen, die bisher in die Kategorie unvorstellbar fielen: von der einst fest versprochenen anonymisierten Kennzeichnungspflicht von Polizisten bei Großeinsätzen bis zum Bleiberecht für Geflüchtete in Arbeit, von der Nahverkehrsabgabe bis zu einem umfangreichen Sofortprogramm für Klimaschutz sowie eine neue Energie- und Mobilitätspolitik. Letzteres wollen die neuen alten PartnerInnen nicht irgendwann, sondern "direkt nach der Regierungsbildung auf den Weg bringen".
2011 hatte der Grüne mit der markanten Bürste und Hannah Arendt als ständige Stütze einen neuen Politikstil angekündigt. "Bürgernah, offen, selbstkritisch", schrieben Josef-Otto Freudenreich und Rainer Nübel in der ersten Ausgabe darüber, "dem besonnenen, ausgleichenden Ur-Grünen, der in seinen Wertevorstellungen womöglich Erwin Teufel näher steht als Joschka Fischer, möchte man eine solche Programmatik abnehmen." Der Wahlsieger schwärmte im Überschwang der Gefühle selber davon, wie es mit der SPD "fast zu einer Liebesheirat" kam. Doch schon die 100-Tage-Bilanz im Rosengarten der Villa Reitzenstein war eine heuchlerische Inszenierung, denn der koalitionsinterne Haussegen hing längst extrem schief. Dauerstreit, nicht nur um Stuttgart 21, belastete die Zusammenarbeit.
Bis in Gegenwart wirkt die Erkenntnis nach, wie Koalieren auf Augenhöhe schon mit den Roten eine Qual sein konnte. Mit den zweifellos noch deutlich schwierigeren Schwarzen will der Regierungschef zehn Jahre später weitermachen, weil er in seiner dritten und letzten Amtszeit das dickste aller Bretter bohren möchte: Nicht nur der Welt zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg und Prosperität mit konkreten Antworten auf "die zentrale Menschheits- und Schicksalsfrage" der Erwärmung der Erde zusammen gehen. Vielmehr möchte er ernsthaft versuchen, das Pariser 1,5-Grad-Ziel in jedes Schwarzwalddorf zu tragen und es damit, der jüngsten deutschen Sprachmode entsprechend, vom Watt bis zum Wendelstein, von Muskau bis Merzig auszurollen.
3 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 11.04.2021Gemeinderatsbeschluss 29. Juli 2009 (mit der Stimme vom OB), bei Mehrkosten für S21 ist OB Schuster beauftragt, den Bürgern*Innen einen Bürgerentscheid über die weitere Mitfinanzierung des Projekts zur…