Es wäre nun falsch, daraus den Schluss zu ziehen, wir hätten es mit Natur-Prozessen zu tun, ausgedrückt etwa in dem Bild: "Die Natur schlägt zurück". Nein, wir haben es mit Prozessen zu tun, die in einer gesellschaftlich überformten und modifizierten Natur stattfinden. Die katastrophalen Brände in Sibirien – einer weitgehend unbewohnten Region, weswegen auch keine Löschversuche unternommen werden – mit der Freisetzung ungeheurer Mengen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas verweisen zurück auf die verfehlte Landwirtschaftspolitik der Sowjetunion in den 1950er-Jahren, die damit Sibirien für Getreideanbau nutzen wollte. Ganze Wälder wurden gefällt und tiefe Eingriffe in die sibirischen Flusssysteme unternommen. Nach anfänglich guten Erträgen sanken die Erträge in Folge der Auslaugung der Böden so stark, dass das Projekt aufgegeben wurde. Sibirien aber war durch diese Eingriffe verändert.
Oder das verheerende "Dixie-Fire" in Kalifornien wie auch das Camp-Fire 2018 in Kalifornien – dort wurde die Stadt Paradise zum größten Teil vernichtet und 86 Menschen fielen dem Feuer zum Opfer: Beide Feuer wurden wohl ausgelöst durch Funkenflug von einer Stromleitung des insgesamt völlig maroden Stromsystems in den USA in einer Periode extremer Hitze und Trockenheit verbunden mit starken Winden. Auch hier eine Kombination sozialer und naturaler Verhältnisse, die die katastrophalen Ereignisse erst ermöglichten. Schließlich: Betrachtet man sich eine geographische oder geologische Karte der Ahrschleife im Landkreis Ahrweiler, dann sieht man sofort, dass es sich um ein Überschwemmungsgebiet handelt. Und historisch sind dort eine Reihe von Überschwemmungen dokumentiert mit ähnlich hohen Hochwasserscheiteln – das Risiko, ein solches Gebiet zu besiedeln, war also eigentlich bekannt. Dazu kommen als verstärkende Faktoren für die Katastrophe im Juli die Bach- und Flussbegradigungen, die Erhöhung der Ablaufgeschwindigkeit des Regenwassers von den umgebenden Weinbergen durch Ablaufrinnen und vieles mehr – so landschaftlich schön auch das Ahrtal anmutet, es ist beileibe keine Natur (mehr), sondern eben gesellschaftlich überformte und gestaltete Natur.
In der Natur gibt es keine Katastrophen und die vielen dokumentierten, vielfach ja gravierenderen Prozesse des Klimawandels sind natürlich erklärbar. Wenn wir den gegenwärtigen Prozess eines Klimawandels thematisieren als "Naturkatastrophe" und aufgefordert werden, "das Klima" und "die Natur" zu retten, begehen wir schlichtweg einen Kategorienfehler, der ein wirklich problemlösendes Handeln im Zusammenhang des anthropogenen Klimawandels behindert, vielleicht sogar eher verhindert. Der Klimawandel verursacht Sozialkatastrophen. Erst so wird die Tiefe und Tragweite der "großen Transformation", die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2011 als "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" einforderte, als konkreter, das Gemeinwohl in Freiheit und Gerechtigkeit neu zu entwickelnder Handlungsauftrag für alle politischen und gesellschaftlichen Akteure bearbeitbar.
Welche Möglichkeiten es für einen neuen Gesellschaftsvertrag gibt, wird Michael Weingarten in zwei Wochen in Kontext-Ausgabe 548 erläutern.
5 Kommentare verfügbar
D. Hartmann
am 21.09.2021Einfach mal die vorletzte These unten in dieser Sammlung lesen und "genießen":
Dr. Nils-Axel Morner: “If you go around the globe, you find no sea level rise anywhere.”
So, so. Wie meinen? Alle anderen haben also falsch gemessen und messen immer noch falsch. Erinnert mich…