Selten waren sich Wissenschaftler der verschiedensten naturwissenschaftlichen Disziplinen so schnell einig wie in der Diagnose und Erklärung des Klimawandels. Das relativ stabile Klima, das sich vor 12.000 Jahren herausgebildet hat und den Menschen erlaubte, sesshaft zu werden und Landwirtschaft zu betreiben, verändert sich durch die "Nebenwirkungen" menschlicher Tätigkeiten, insbesondere die exponentiell steigende Freisetzung von Treibhausgasen, so gravierend und so schnell, dass das Überleben der Menschheit insgesamt in Frage steht. Nur noch einige wenige Jahrzehnte, so die Prognose, verbleiben der Menschheit, um durch Umstellung der energetischen Basis des bisherigen Produktionssystems und der mit diesem verbundenen Lebensform zumindest die gravierendsten Folgen abzumildern.
Seit 40 Jahren wissen wir das alles. Denn die wissenschaftlichen Experten haben sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmitteln sehr schnell und auf den unterschiedlichsten Ebenen an die (Welt-)Öffentlichkeit, an die nationalen und internationalen politischen Akteure und Institutionen gewandt, um in dramatischen und aufrüttelnden Appellen zu einem anderen Handeln aufzufordern. Einem Handeln, das der drohenden Klimakatastrophe adäquat ist und die bereits stattfindende Erderwärmung doch noch global auf durchschnittlich zwei Grad über der Temperatur des vorindustriellen Zeitalters beschränken kann. Mit der Verabschiedung der Klima-Rahmen-Konvention 1992, die im selben Jahr in Rio de Janeiro von den meisten Staaten auch unterschrieben wurde, wurden dann ja ebenfalls sehr schnell weltweit verbindliche Zielsetzungen festgeschrieben, die eine Reduktion der Treibhausgas-Emission hin zu einer Klima-Neutralität bis 2050 beinhalten. Aber in den Fortschreibungen dieser Konvention mit ihren verbindlichen Handlungsvorschriften auf den Klimakonferenzen 1997 in Kyoto, 2009 in Kopenhagen und 2015 in Paris wurden die Vereinbarungen immer weiter aufgeweicht, abgeschwächt und zu bloßen Absichtserklärungen heruntergestuft. Mit dem Effekt, dass trotz verbindlicher Reduktionsvorgaben und im Widerspruch zu den volltönenden Absichtserklärungen die Emission von Treibhausgasen weiterhin weltweit zunimmt.
Dieses Versagen nun damit zu erklären, dass eben kapitalistische Interessen die Durchsetzung der Klimavereinbarungen verhindern, also erst der Kapitalismus abgeschafft werden müsse, um dann, in einem zweiten Schritt, das Klima retten zu können, ist nicht nur zu simpel, sondern schlichtweg falsch. Nicht nur, weil uns so viel Zeit gar nicht mehr zur Verfügung steht, sondern schon allein aus dem Grund, dass völlig unklar ist, welche klimaschonende technisch-energetische Basis dann an die Stelle des bisherigen industriellen Systems treten könnte.
"Die Menschheit" handelt nicht homogen
Aber auch die Adressierung der Handlungsaufforderung an "die Menschheit", wie sie von naturwissenschaftlicher Seite immer noch vorgenommen wird, ist nicht zielführend. Denn es gibt keinen kollektiven Akteur, der in diesem Sinne homogen und einstimmig handeln könnte – "die Menschheit" besteht eben aus der Pluralität, der Heterogenität der vielen einzelnen Menschen mit ihren verschiedenen Traditionen, Interessen, Wünschen und Vorstellungen eines guten Lebens. Schaut man sich die Modellierungen der Klimawissenschaft genauer an, dann wird sehr schnell deutlich, dass mit dem kollektiven Akteur Menschheit nur die biologische Art des Homo sapiens sapiens und deren Stoffwechsel mit anderen biotischen und abiotischen Systemen gemeint ist.
Überspitzt formuliert: In naturwissenschaftlicher Perspektive sind die Folgen der Stoffwechselprozesse von anaeroben Bakterien vor 2,4 Milliarden Jahren durchaus vergleichbar mit den Folgen der Stoffwechselprozesse des Menschen heute. Anaerobe Bakterien setzten über ihren Stoffwechsel Sauerstoff frei, dieser reicherte sich in der damaligen Atmosphäre an, veränderte das Klima – und die anaeroben Bakterien mussten sich, da die mit Sauerstoff angereicherte Atmosphäre für sie giftig war, von der Erdoberfläche zurückziehen. Der Mensch setzt über seinen Stoffwechsel Treibhausgase frei, diese reichern sich in der Atmosphäre, in den Meeren und so weiter an, verändern das Klima – und das Leben des Menschen ist dann an der Erdoberfläche nicht mehr so möglich wie es ihm im Holozän, also den letzten 12.000 Jahren, möglich war.
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Irene Kamm, Bürger*innenrat Klima Stuttgart
am 31.10.2020