Beliebt ist auch immer wieder das Argument: Was bringt es, wenn wir beginnen? Wir sind nur ein kleiner Teil der Welt! Dabei lässt sich umgekehrt fragen: Wie wollen wir anderen, ärmeren Nationen, die bisher wenig CO2 emittiert haben, erklären, dass ausgerechnet sie den Umbau starten sollen? Trotzdem werden solche Gegenargumente seit Jahrzehnten aufgewärmt.
Sie dienen nur einem einzigen Zweck. Wir stellen unser aus der Balance geratenes psychisch-körperliches Gleichgewicht wieder her. Wir können die Guten und Schlauen bleiben und unser Gesicht wahren. Und dabei auch noch unser altes Leben behalten.
Statt unsere Auffassung der Realität anzupassen, machen wir es lieber umgekehrt: Wir pressen die Realität in unser altes Bild. Diese vertraute Vorstellung, die sich schon lange bewährt hat. Natürlich könnten wir auch diese Brille anpassen, mit der wir alles filtern und einsortieren. Jede Tatsache könnte der Auslöser dafür sein. Jedes gute Gespräch. Jeder Anflug von Klimaangst oder -wut. Aber das ist ein mühsames Geschäft. Sehr viel einfacher läuft alles, wenn wir unsere Selbst- und Weltbilder, unsere Normen und Werte beibehalten und die Dinge so drehen, dass sie sich dort einfügen. Tatsachen sind in unserem Gehirn nur elektrische Impulse. Kein Problem, sie zu ändern. Wir bestärken uns gegenseitig darin: Die Nachbarn fahren SUV und fliegen in Urlaub? Dann tun wir das auch. Ist doch normal.
Daimler und Porsche müssen schrumpfen
So stellen wir sicher, dass die Welt für uns in Ordnung ist und bleibt. Doch so leicht und erfolgreich wir die Nachrichten in unserem Kopf optimieren können, die äußere Realität beinflusst das nicht die Spur. Die Klimakrise schreitet voran, unabhängig davon, ob wir an sie glauben möchten, und sie tut das dramatisch, auch wenn es uns nicht behagt. Zu den Erkenntnissen der Wissenschaft gehört, dass eine Erde, die sich im Mittel um mehr als 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erhitzt, schwer zu managen sein wird. Häufigere Dürren, Hitzewellen, Starkregen, Stürme, Überflutungen, viele Millionen Menschen auf der Flucht – das alles wird die Folge sein.
Fridays for Future hat beim Wuppertal-Institut eine Studie in Auftrag gegeben, wie wir die 1,5 Grad-Marke doch noch einhalten können. Dazu müssen wir bis 2035 CO2-neutral sein. Neben vielen anderen grundlegenden Maßnahmen würde das für die Automobilwirtschaft bedeuten: Bis 2035 müssen die aktuell 47 Millionen konventioneller Pkw durch 28 Millionen mit alternativen Antrieben, vor allem Elektroautos, ersetzt werden.
Was bedeutet das für Daimler und Porsche? Da die Lebensdauer der Pkw bei über zehn Jahren liegt, müssen die letzten Verbrenner spätestens 2025 vom Band laufen. Die Vorentwicklung neuer Verbrenner muss sofort gestoppt werden, denn sie ist sinnlos. Die Konzerne müssen sofort den Plan für einen Radikalumbau mit Schrumpfung ausarbeiten. Das gesamte Marketing, Vertrieb und Werbung für Verbrenner kann zurückgefahren werden. Die Lobbyisten der Konzerne, die jahrzehntelang aktiv waren, um die CO2-Normen aufzuweichen, brauchen andere Aufgaben. Entsprechende Folgen hat dies für alle Zulieferer – ob sie nun Vergaser, Auspuff oder Bremse beisteuern.
Ist das alles wahrlich unvorstellbar? Mag sein, aber es ist nunmal so. Es handelt sich dabei nicht um verrückte Ideen, sondern um ein vernünftig gebotenes Minimalprogramm. Nach Jahrzehnten der Untätigkeit ist realistische Politik inzwischen sehr, sehr unbequem.
Persönliche Egoismen genießen Priorität
Woran es uns vielleicht am meisten mangelt, sind Pläne, die auch die persönlichen Egoismen von allen bedienen, die der Umbau trifft. So stockte der Windkraftausbau lange, weil Anwohner:innen dagegen kämpften. Wieso sollten sie persönliche Nachteile erleiden, nur weil die Gesellschaft Windräder braucht? Das ist schwer einzusehen. Die einfachste Lösung: Sie werden finanziell beteiligt. Dann haben sie auch einen persönlichen Nutzen, was vollkommen logisch ist, denn sie nehmen ja auch einen persönlichen Nachteil in Kauf. So kann es gelingen, für den dringend benötigten Windkraftzubau mehr Akzeptanz zu erreichen.
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Stefan Urbat
am 28.10.2020