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Strobl und der Untersuchungsausschuss

Sittengemälde der Polizeiführung

Strobl und der Untersuchungsausschuss: Sittengemälde der Polizeiführung
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Hätte Thomas Strobl sieben Leben wie eine Katze, wären sechseinhalb verbraucht. Im Untersuchungsausschuss rund um die "Brief-Affäre" reichte ein einziger Zeuge, um Baden-Württembergs Innenminister in neue Kalamitäten zu bringen. Im Raum steht der Verdacht der uneidlichen Falschaussage. Auch der Ministerpräsident war da.

Nach dem Ärger ist vor dem Ärger. Eben erst meinte der so oft als Stehauf- oder Marathonmann beschriebene CDU-Landeschef, die ärgste Malaise hinter sich zu haben. Am 20. Oktober auf einer Sondersitzung seiner Landtagsfraktion hatte er sich Rückendeckung von deren Chef Manuel Hagel und allen Anwesenden geholt. Dann zahlte er die Geldauflage von 15.000 Euro, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart sonst weiter ermittelt hätte im komplizierten Fall rund um das Disziplinarverfahren gegen den ranghöchsten Polizisten im Land wegen möglicher sexueller Übergriffe.

Der Minister versuchte vor Journalist:innen seine Überweisungen an den Weißen Ring und die Bewährungshilfe ziemlich kühn als Spende hinzustellen ("Vor Weihnachten darf man Gutes tun"), rückte die Krone des stellvertretenden Regierungschefs zurecht und wollte weiterhin tun, als sei nichts geschehen. Immer im Wissen, dass ihm Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Rücken sogar über die Grenze des Schicklichen hinaus stärken wird.

Aus dem schönen Plan wird wenig bis nichts. Das liegt weniger an den schlechten Noten, die Kretschmann selber zu Wochenbeginn für seinen Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss bekam, bei dem er sich als teils unwissende, teils unzuständige Randfigur der Causa gab, ohne Detailkenntnisse, ohne Durchdringungseifer, allein auf die Wahrheitsliebe des Stellvertreters vertrauend. Nicht einmal daran wirklich interessiert, dass Strobl die Staatsanwaltschaft wochenlang in der Weitergabe des Schreibens gegen Unbekannt ermitteln ließ, wiewohl er selber wusste, dass er der Veranlasser war. "Ich habe keine Aktenlage in meinem Haus", sagte der Grüne mehrfach. Ein Satz, den er seinen Vorgängern zu Oppositionszeiten nie und nimmer hätte durchgehen lassen. Treffend beschreibt die "Stuttgarter Zeitung" den Eindruck, der entstanden sei, "dass nämlich das Staatsministerium geführt wird wie eine Behörde der Kragenweite des Finanzamts Stuttgart III".

Die Aussagen stimmen nicht überein

Aber als noch brisanter stellte sich die Aussage von StZ-Investigateur Franz Feyder heraus, der durch Strobl in den Besitz jenes Briefs gelangt war, in dem der Anwalt des beschuldigten Beamten das Innenministerium um ein Gespräch bittet. Der weiß ein wenig schmeichelhaftes Sittengemälde von Teilen der Polizeiführung zu malen. Vor allem aber lässt er sich in zwei wichtigen Punkten abweichend vom Innenminister ein. Am 11. August sei sowohl ihm selbst als auch dem Minister die Einstellung der Ermittlungen angeboten worden, die wegen dieser Überlassung und einer prompt folgenden Veröffentlichung eingeleitet worden waren.

Dieses Datum ist neu, nicht zuletzt für die vor vier Wochen eilends aus dem ganzen Land zusammengetrommelte CDU-Fraktion und ebenso für Kretschmann. Vor allem stimmt es nicht mit Strobls Beteuerung vor der CDU-Fraktion und gegenüber dem Regierungschef überein, er habe erst kürzlich, also im Oktober, von dem konkreten Angebot der Staatsanwaltschaft erfahren. Zu ersten Angeboten legte er sich im Ausschuss mangels Erinnerung ausdrücklich nicht fest. Außerdem berichtet Feyder, dass Strobl Quellenschutz sowohl angeboten als auch von ihm eingefordert hat. Auch das deckt sich nicht mit den Angaben des Ministers. Also steht Aussage gegen Aussage. Die Grünen im Ausschuss und ihr Obmann Oliver Hildenbrand haben nichts dagegen, nach möglichen Widersprüchen zu forschen. Mehr noch: Sie akzeptieren auch, dass schon am 12. Dezember, der nächsten und achten Sitzung des Gremiums, über das weitere Vorgehen und damit über neue staatsanwaltschaftliche Ermittlungen entschieden wird. Und der Koalitionspartner CDU kann oder will dem allen nichts entgegensetzen. Obfrau Christiane Staab ist nicht bereit, sich in der Tradition ihrer Vorgänger in nahezu allen Untersuchungsausschüssen der vergangenen Jahrzehnte schützend vor bedrängte Parteifreund:innen zu stellen.

Die CDU lässt Strobl laufen und wartet ab

Noblesse als Motiv scheidet aus. Die frühere Walldorfer Bürgermeisterin, die erst seit 2021 im Landtag sitzt, ist vielmehr noch nicht so recht angekommen in ihrer Rolle, zu deren Stellenbeschreibung – aus CDU-Sicht – unbedingt gehört, Ungemach vom Minister fernzuhalten. Ohnehin herrscht in ihrer Fraktion eher die Meinung vor, dass nach den vielen Stunden, die Strobl Rede und Antwort stehen musste, und erst recht nach Kretschmanns Auftritten die größten Probleme umschifft sind. Tatsächlich allerdings sind gut drei Dutzend weitere ZeugInnen geladen.

Der gröbste Fehler, abermals aus Sicht der CDU und jener Kräfte im Staatsministerium, die dem Ministerpräsident zur eisernen Schützenhilfe für den Vize raten, war es, der Opposition entgegenzukommen und Strobl als ersten Zeugen zu hören. Beim ersten Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten lief das noch anders: Erst kürzlich wurde bekannt, wie detailliert 2010 der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus auf seinen Auftritt vor jenem U-Ausschuss vorbereitet wurde. Damals war dafür gesorgt worden, dass er der letzte aller Zeugen war und sein Staatsministerium Zugriff auf die Protokolle aller vorangegangenen Vernehmungen hatte. Unter den Gesichtspunkten von Aufrichtigkeit und Transparenz wäre das selbstverständlich alles andere als nachahmenswert. Wie aber gerade CDU-Fraktionäre diesmal bereit sind, den Innenminister durch eine eigene Strategie während der Ausschussarbeit nicht zu stützen, wirft ein bemerkenswertes Bild auf ihr Verhältnis zum eigenen Landesvorsitzenden.

Bisher sind nur zwei weitere Sitzungen, jene im Dezember und eine Ende Januar, terminiert. So wie sich die Arbeit bisher angelassen hat, könnte der Ausschuss aber gut und gerne mindestens bis zu den Pfingstferien 2023 oder gar zur Sommerpause beschäftigt sein. Viele der Beamt:innen und Polizist:innen könnten den 62-jährigen Strobl gerade in den heiklen Fragen von Beförderungen, Beurteilungen und dem Bekanntwerden sexueller Übergriffe entlasten, sie könnten ihn aber auch endgültig die Karriere kosten. Gerade unter Schwarzen wird hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert, wie und warum sich der Innenminister im stetigen Bemühen, wenig gewusst zu haben und nicht eingebunden zu sein in Personalfragen, auf derart dünnes Eis begab. Denn was passiert, wenn sich, wie in der Feyder-Aussage bereits geschehen, in anstehenden Befragungen ebenfalls immer neue Widersprüche zu Strobls Einlassungen ergeben? Nicht von ungefähr stammt der Hinweis auf die sechseinhalb aufgebrauchten der sieben Katzenleben von einem Parteifreund.


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