Wie, Autobahnen weg? Also ersatzlos, komplett rückbauen und keine neuen Straßen dafür? Völlig verrückte Idee. Da kann doch nur jemand total Durchgeknalltes draufkommen. Oder die Südkoreaner:innen. Sowohl in der Hauptstadt Seoul als auch in der Millionenstadt Suwon ist genau das in den letzten Jahren geschehen, "da können wir verschwundene Autobahnen besichtigen", sagte der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim am Montag in Stuttgart. Da, wo vorher die Stadtautobahnen waren, "fließen jetzt Flüsse, da ist jetzt grün". Monheim gab diesen Einblick in innovative Mobilitätskonzepte als Redner der 666. Montagsdemo gegen Stuttgart 21, und darauf hatten ihn womöglich ungewöhnliche Besucher:innen bei der Kundgebung gebracht: Eine Delegation der südkoreanischen NGO Ecopeace Asia und der Grünen Partei Südkoreas waren zu Besuch. Ecopeace-Mitglied Myoungeun Lee gab in einem Grußwort einen kurzen Einblick in unnötige, allein der Profitgier geschuldete Bauprojekte in ihrem Land, die sich in ihrer Art nicht sonderlich von hiesigen unterscheiden. "Rücksichtslose Entwicklungen sind unsere große und gemeinsame Herausforderung", sagte sie und betonte: "Solidarität ist enorm wichtig. Wir müssen gemeinsam kämpfen." Und sie ermutigte die Stuttgarter:innen zum Weiterkämpfen: "Wir drücken Ihnen die Daumen!"
Internationale Aufmerksamkeit kriegt der Protest gegen das Milliardenprojekt S 21 also fast 14 Jahre nach der ersten Montagsdemo, und zum schnapszahligen Jubiläum sollte es ein besonderes Programm sein: Neben Monheim, einer der renommiertesten Verkehrsplaner des Landes, der in seiner Rede den Tunnelbauwahn im Land, dessen Geschichte und Ursachen nachzeichnete, steuerte der Stuttgarter Wortkünstler Timo Brunke mit seinem Poem "Vor allen Dingen: Merklingen" herrlich dadaistische "Verse aus dem Tunnel" bei. Mit am meisten Applaus bekam wohl der Investigativjournalist Arno Luik (die ganze Demo auf Video zum Nachgucken gibt's hier, Monheims Manuskript – das von der gehaltenen Rede stark abweicht – hier). Luik sprach nach der Demo noch im Sitzungssaal des Rathauses über sein neues Buch "Rauhnächte", in dem er über den Umgang mit seiner Krebserkrankung schreibt – und noch über einiges mehr, wie Kontext-Redakteur Minh Schredle festgestellt hat.
Zumindest auf der Montagsdemo-Bühne war in gewisser Weise noch ein Vierter dabei: der Journalist, Aktivist und Kontext-Autor Winfried Wolf, der am 22. Mai dieses Jahres gestorben ist, viel zu früh. Monheim erinnerte daran, dass sie beide oft in verschiedenen Initiativen und Bündnissen eng zusammengearbeitet hatten, und wer einige Texte der beiden kennt, weiß, dass es ein ziemlich ungleiches Paar gewesen sein muss – sehr nüchtern, sachlich, wissenschaftlich: Monheim. Eher engagiert-kämpferisch und auch gerne mal scharf zuspitzend: Wolf. Und vielleicht war es eine Reminiszenz an den Weggefährten, dass sich in Monheims Rede immer mal wieder ein für ihn ziemlich untypisches Wort verirrte: die "Betonmafia", ein klassischer Wolf. Am Samstag, dem 15. Juli soll es nun für den Autor und S-21-Kritiker der ersten Stunde ein Fest geben, das hatte er sich noch kurz vor seinem Tod ausdrücklich gewünscht. Unter dem Motto "Brav gewühlt, alter Maulwurf!" werden ab 17 Uhr im Württembergischen Kunstverein unter anderem Kontext-Kolumnist Joe Bauer, Theaterregisseur Volker Lösch und Ex-Linken-Stadtrat Tom Adler an Winfried Wolf erinnern.
Noch auf keiner Montagsdemo gesichtet wurde bislang Arnold Schwarzenegger. Dabei gäbe es thematisch durchaus Anknüpfungspunkte. Der Ex-Gouverneur Kaliforniens drohte schon mehrfach, wegen des Klimawandels Auto- und Ölindustrie vor Gericht zu bringen. Und kürzlich äußerte er auch Verständnis für radikale Klimaproteste, "das sind Leute, die es gut meinen", sagte er im Mai der BBC. Nicht so gut mit denen, die es in Arnies Sinne gut meinen, meint es Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper. Nachdem es am vorvergangenen Wochenende gerade mal einen Tag gab, an dem Aktivist:innen der Letzten Generation koordiniert den Verkehr auf mehreren Straßen lahmlegten, initiierte er eine "Allgemeinverfügung zu Versammlungen im Zusammenhang mit Straßenblockaden und Protestaktionen von Klimaaktivist*innen" – sowas hat in Deutschland bislang nur München.
Ein schönes Beispiel von Aktionismus und Schaufensterpolitik, denn gegen Straßenblockaden vorgehen können Ordnungskräfte ohnehin. Die Allgemeinverfügung soll das Prozedere allerdings beschleunigen, da die Auflösung der (grundgesetzlich geschützten) Versammlungen dadurch überflüssig werde, wie die Stadt informiert. Doch auch das entpuppt sich als Luftnummer: "Eine Auflösungsverfügung ergeht regelmäßig als mündlicher Verwaltungsakt und bedarf daher nur einer kurzen Begründung", ist in einem lesenswerten Beitrag auf dem "Verfassungsblog" zu erfahren: "Dies dürfte selbst im landesväterlichen Sprachduktus Winfried Kretschmanns nur wenige Sekunden benötigen."
Gegen die Verfügung gab es flugs Proteste von den Gemeinderatsfraktionen der Grünen (gemäßigt) und der FrAktion (scharf). Letztere sprachen von "Polizeistaatsmethoden", Linken-Stadtrat Luigi Pantisano sah "Fragen nach dem Demokratieverständnis des Oberbürgermeisters" aufgeworfen. Vielleicht sollte Nopper mal einen Besuch in Seoul oder Suwon machen und sich dortige Antworten auf die Herausforderungen von Mobilität und Stadtplanung anschauen.
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Rollator-Brigade gegen Stuttgart 21
am 12.07.2023